Odenwaldschule: Viele Jahre sind Hunderte Kinder an der Odenwaldschule, einem renommierten Internat, sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen. Nun erinnert ein Mahnmal an sie.
Es hat fast zehn Jahre gedauert, bis an der Odenwaldschule im Heppenheimer Stadtteil Ober-Hambach ein von den Opfern gefordertes Mahnmal gegen den Missbrauch vor der früheren Odenwaldschule enthüllt worden ist. Im Opferverein "Glasbrechen" ist darüber allerdings ein heftiger Streit entbrannt.
Das Jahr 2010 war ein Wendepunkt in der Geschichte der einst renommierten und 1910 von Paul Geheeb gegründeten Odenwaldschule. Nach einem Pressebericht der "Frankfurter Rundschau", der sich eines der Missbrauchsopfer anvertraut hatte, stand die Vorzeigeschule für Reformpädagogik plötzlich am Pranger. Während der Trägerverein der Schule noch versuchte, die Vorfälle zu vertuschen, beauftragte die damalige Schulleiterin mit der inzwischen verstorbenen früheren Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt, Brigitte Tilmann, und der Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller zwei von der Schule unabhängige Personen mit der Bearbeitung der Missbrauchsvorwürfe. Mehr als 130 Opfer meldeten sich, mehr als 1000, vor allem Jungen, sagt der Künstler und ehemalige Schüler Adrian Koerfer bei der Einweihung des Denkmals in dieser Woche, sollen von mehr als einem Dutzend Lehrer missbraucht worden sein. Die Verbrechen wurden von den sechziger Jahren bis in die neunziger Jahre begangen. Wegen der Verjährung der Taten wurde keiner der Täter zur Rechenschaft gezogen.
Treibende Kraft für den Missbrauch soll Schulleiter Gerold Becker gewesen sein, ein in der damaligen hessischen Landesregierung unter Kultusminister Ludwig von Friedeburg gern gesehener Ratgeber in Fragen der Schule. Becker wird von Opfern beschuldigt, gezielt Lehrer mit pädophilen Neigungen an die Odenwaldschule geholt zu haben.
Standort des Mahnmals umstritten
Schon unmittelbar nach Bekanntwerden des Missbrauchs hatte der frühere Odenwaldschüler Daniel Brenner ein Kunstwerk mit dem Titel "Keimen und wachsen" geschaffen. Es wurde an der Schule auf einem Privatgelände aufgestellt und ist heute für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich.
Für den Opferverein "Glasbrechen" ist das nicht genug. Maßgebliche Mitglieder des Vorstandes wollten ein weiteres Mahnmal in Wiesbaden vor dem hessischen Kultusministerium, das damals Hinweisen auf den Missbrauch an der Vorzeigeschule nicht nachgegangen sei. Hessens Sozialministerin Heike Hofmann (SPD) sprach bei der Einweihung des neuen Denkmals am Montag deshalb von einem "staatlichen Versagen".
Der Künstler Adrian Koerfer, Mitbegründer des Opfervereins, setzte schließlich seine Idee und das von ihm geschaffene Denkmal sowie den Standort direkt an der Einfahrt zu dem heutigen Wohnpark durch. Die drei riesigen Metalltüren mit Klinken und Schlössen hoch oben in für Kinder unerreichbarer Nähe sollen an den Missbrauch erinnern. Mitglieder des Opfervereins demonstrierten während der Feierstunde gegen den Standort.
Seit 2015 ist die Odenwaldschule Geschichte. Versuche, sie nach dem Missbrauch auf einen neuen Weg zu bringen, scheiterten. Vor allem, als 2014 bei einem der Lehrkräfte kinderpornographische Darstellungen auf dessen Rechner gefunden wurden. Die Schülerzahlen sanken stetig, die Schule geriet in finanzielle Turbulenzen und wurde schließlich abgewickelt. Ein Investor kaufte das Areal und errichtete dort in den alten, unter Denkmalschutz stehenden Häusern einen Wohnpark. Das neue Denkmal vor den Häusern, in denen einst die Schüler missbraucht wurden, soll ein Zeichen setzen, dass die Opfer nicht vergessen sind. "Kindesmissbrauch ist Seelenmord", steht dort zu lesen. © Frankfurter Allgemeine Zeitung
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