Neapolitanische Krippen: Neapolitanische Krippen sind von einer Vielzahl an Figuren bevölkert – und die Leidenschaft von Pfarrer Holger Daniel. Häuser und Landschaften baut er selbst.

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Auf den Tischen vor der Osteria liegen karierte Decken, Schneidebretter mit Käse und Wurst versprechen eine leckere Mahlzeit. "Man sieht sogar die Teigporen im aufgeschnittenen Brot", sagt Holger Daniel. Der Pfarrer von Sankt Marien kann sich für solche Details begeistern. Denn das Brot ist kaum so groß wie eine Fingerkuppe. Im erleuchteten Innern des urigen Gasthauses sind die Tische reich gedeckt, mit Weinflaschen, Gläsern und bemalten Tellern. An den Wänden hängen Peperoni und Zitronen. Doch das Paar, das mit dem Wirt verhandelt, wird nicht einkehren können. Die Herberge ist voll.

Sein Büro im Pfarrhaus Sankt Anna in Hausen, das mit vier weiteren Kirchorten in Bockenheim, Praunheim und Rödelheim die katholische Gemeinde Sankt Marien bildet, teilt sich Daniel von Mitte November bis Ende Januar mit einer neapolitanischen Weihnachtskrippe. Ein Dutzend Häuser, Türme und Fassaden in zwei Reihen bilden eine kleine italienische Stadt, in der das pralle Leben blüht.

Vom Balkon herunter halten die Leute ein Schwätzchen, die Heiligen Drei Könige müssen sich ihren Weg auf dem Kamel durch eine enge Gasse bahnen. Die Wand hinter der Krippe ist mit einem dunkelblauen Tuch bespannt, das als Stoffhimmel einem Engel und einem leuchtenden Stern Halt gibt.

"Kinder bekommen ebenso leuchtende Augen wie Alte"

Die Figuren sind gekauft, die Kulisse jedoch hat der Pfarrer selbst gebaut. "Das ist meine private Leidenschaft, das hat mit der Pfarrei nichts zu tun." Ein bisschen doch: Vor einigen Jahren suchte er Fotos mit Krippenmotiven für die Internetseite der Gemeinde. Daraufhin hat er sich im Basteln versucht. "Vielleicht wird’s was", sagte er sich. Der zweite Anlass liegt gut fünf Jahre zurück. Als der Frankfurter Pfarrer und Schriftsteller Lothar Zenetti starb, hinterließ er Daniel drei Krippenfiguren. "Dafür wollte ich eine schöne Kulisse bauen, das war ich Pfarrer Zenetti schuldig."

Maria, Josef und Jesuskind, 1760 als Teil einer spanischen Hauskrippe entstanden, stehen jetzt im Eingang des Hausener Pfarrhauses. Hinter ihnen erheben sich Reste eines Tempels. "Die abgebrochene Säule erinnert an die Antike und steht für das, was mit der Geburt Jesu zu Ende geht", sagt Daniel zur Symbolik einer solchen auf das Stammpersonal reduzierten Tempelkrippe.

Die beiden in Büro und Diele sind nicht die einzigen Krippen im Pfarrhaus. Daniel geht ein Stockwerk hinauf und schließt die Wohnungstür auf. Im Wohnzimmer erhebt sich ein dreidimensionales Wimmelbild, das sich auf drei Ebenen einen Berg hinaufzieht. "Die 200 Figuren sind aus Terrakotta und nur etwa zehn Zentimeter hoch", sagt der Pfarrer. "Sie kosten nicht viel, das können sich auch arme Leute leisten." Denn für die größeren, in Gewändern aus Brokat und Seide, würden mindestens 800 Euro verlangt.

Die Krippenlandschaft steht auf einem etwa 1,40 Meter hohen Schrank – der Katzen wegen. "Eine hat mir mal das Jesuskind geklaut, sonst blieb alles unversehrt", sagt Daniel. Seither klemmt er zusätzlich ein Brett davor, wenn er die Wohnung verlässt. "Ich ergründe noch, was das Faszinierende an einer solchen Krippe ist", sagt der Pfarrer. "Ich weiß nur, Kinder bekommen ebenso leuchtende Augen wie Alte." Voriges Jahr öffnete er das Pfarrhaus für Besucher. "Es kamen 200 Leute."

Herbergssuche, Stall und Flucht nach Ägypten

Wer vor den Krippen steht, dessen Augen gehen auf die Reise in eine barocke Welt, wandern in Hinterzimmer und auf einen belebten Markt. Die Heilige Familie ist auf den ersten Blick nicht leicht zu finden. Dabei ist sie sogar dreimal zu sehen: Auf Herbergssuche, im Stall und auf der Flucht nach Ägypten. Diese Gleichzeitigkeit ist typisch. Ebenso wie die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart.

Daniels bester Freund, der auf Sizilien lebt, stammt aus Neapel, und so kam er mit der Stadt in Berührung. "Ich fahre mit leerem Koffer hin und mit vollem zurück." In der Via San Gregorio Armeno in der Altstadt, in der die Krippenschnitzer ihre Läden haben, werden auch zeitgenössische Figuren angeboten. Maradona etwa, in seiner Zeit beim SSC Neapel zum Stadtheiligen geworden. "Trump ist jetzt wieder der Schlager", sagt Daniel.

Er hat in seiner Wohnzimmerkrippe lieber dem Komiker Totò einen Platz im Gewusel gegeben, auch der aus Neapel stammende Schauspieler Eduardo di Filippi taucht dort auf. "Lebensfreude ist das Grundprinzip jeder neapolitanischen Krippe", sagt Daniel. Und viele Details haben eine tiefere Bedeutung. Die Brunnen, in denen natürlich Wasser plätschert, stünden für die Taufe, die Mühlen für die Zeit, erläutert der Pfarrer.

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Straßenlaternen in der Bürokrippe sind ebenso Ausdruck des Zeitenmix’ wie einer Spezialität Daniels, der subtilen Beleuchtung. Die Arbeit an den Krippen im Büro nebenan, das er mangels priesterlichem Personal nach und nach mit Schneidwerkzeug und Lötkolben in Beschlag genommen hat, ist für ihn handwerklicher Ausgleich zur geistigen Arbeit. Denn die Krippen wachsen jedes Jahr. Das Ergebnis kann diesmal am 3. Januar zwischen 14 und 17 Uhr sowie zwischen 19 und 22 Uhr im Pfarrhaus, Am Hohen Weg 19, besichtigt werden.  © Frankfurter Allgemeine Zeitung

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