Ein Riese auf dem Trockenen, fast wie eine Schildkröte, die auf dem Rücken liegt: Mindestens bis zur ersten Januarwoche ist am Seeufer in Rurberg eine imposante Attraktion zu bestaunen.

Mehr News aus Nordrhein-Westfalen finden Sie hier

Es ist ein seltenes Schauspiel, das es nur alle fünf Jahre gibt. Das Fahrgastschiff Aachen der Rursee-Flotte konnte im zweiten Anlauf sicher zur Inspektion aus dem kalten Wasser der Talsperre gezogen werden.

Wie berichtet, war der erste Anlauf für diese Slip-Aktion am 4. Dezember krachend gescheitert – und das durchaus im Wortsinne: Das Zugseil der Winde riss plötzlich, als das Schiff schon fast komplett geliftet war. Danach rollte die Aachen, die zuvor auf einen stabilen Schlitten bugsiert worden war, mit einem lauten Knall steuerungslos zurück in den Rursee. Der Schrecken beim Team der Rursee-Schifffahrt um den Reeder Franz-Josef Heuken war enorm.

Die missglückte Slip-Aktion hat keine großen Schäden verursacht

Nun also das große Aufatmen am Ufer der Talsperre: Nachdem Heuken sich das dieselgetriebene Schiff näher angeschaut hatte, konnte er sich ziemlich entspannen. Er habe nur einige Schrammen im Lack an der Unterseite der Aachen feststellen können. Diese müssten beigeschliffen werden, um die zerkratzten Flächen neu lackieren zu können. "Im Moment ist dafür nicht die richtige Witterung", sagte Heuken: "Es ist einfach zu kalt."

Einige Spuren am Schiff hat inzwischen auch der Lammersdorfer Schlosser Michael Breyer hinterlassen: Eine undicht gewordene Kühlschleife für den 299 PS starken Antrieb sei von dem Handwerker abgeflext worden, berichtet Franz-Josef Heuken. Nach der Weihnachtspause soll der Fachmann dieses Teil durch neue Leitungen ersetzen. Die dafür notwendigen Ersatzteile seien bestellt.

Riskiert man einen Blick auf die Unterseite des "aufgebockten" Schiffs, fallen neben der jetzt freischwebenden Antriebsschraube ein wenig pockenartig wirkende Flächen auf. Hier hat erkennbar der Zahn der Zeit im Laufe der Jahrzehnte gefressen. Das vor fast 50 Jahren gebaute Stahlschiff mit einem Gewicht von rund 100 Tonnen hat einiges an Rost angesetzt.

Der Rost an dem fast 50 Jahren Rursee-Schiff ist nicht gefährlich

Da die Aachen ständig den Fluten des Rursees ausgesetzt ist, zeigt sich Schiffsbesitzer Heuken davon nicht überrascht. Denn für die Sicherheit des Rumpfes bedeute dieser "Rostfraß" keinerlei Beeinträchtigung, macht er deutlich und beruhigt Zweifler.

Dies habe ihm der Prüfingenieur Hans-Josef Braun, ein freier Sachverständiger im Auftrag der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes in Mainz, mit seiner aktuellen Expertise bestätigt, nachdem er das am 11. Dezember herausgezogene Schiff unter die Lupe genommen habe, so der Reeder: Per Ultraschall-Untersuchung habe Braun festgestellt, dass die Blechdicke immer noch ausreichend stark sei. Franz-Josef Heuken weiter: "Ich kann Ihnen Gutachten von vor 30 Jahren zeigen, da hat sich seitdem nichts verändert."

Auffällig ist an dem Schiff im provisorischen Trockendock in Rurberg, gegenüber dem Restaurant "Paulushof" an der Straße Seeufer, schon von weitem ein spezieller Aspekt: Rund um die Aachen wurden metallene Stützen aufgestellt, wie man sie beim Einschalen von Betondecken bei Neubauten kennt. "Das nennt sich ‚Abpallen‘", erklärt Heuken die auffällige Konstruktion auf dem Liegeplatz.

"Auf Pfähle setzen", fügt er an. Dies solle aus Sicherheitsgründen dem Winddruck entgegenwirken, damit nicht etwa ein massiver Sturm auch einen 100-Tonnen-Brocken "vom Schlitten wehen kann", wie es Heuken formuliert. Die Stützen halten das Schiff im Gleichgewicht und sorgen für Stabilität. Wenn das fast 37,5 Meter lange und knapp 6,50 Meter breite Schiff wieder genügend Wasser unterm Kiel habe, sei eine solche Gefahr auf dem Rursee wohl gebannt.

Das Schiff auf dem Trockenen ist derzeit eine Attraktion in Rurberg

Interessiert schlendert der Rurberger Axel Wiederhold am Liegeplatz der Aachen vorbei über den Eiserbachdamm. Solch ein großes Schiff an Land habe er am Rursee noch nicht gesehen, erzählt er. Von hier oben haben Passanten einen schönen Blick in der Vogelperspektive auf das manövrierunfähige Schiff. Sein Hund Toni von der Rasse Lagotto Romagnolo – italienisch für Wasserhund der Romagna, einer Landschaft im Norden nahe Mailand, Verona und Venedig – zerrt an der Leine, will weiter.

Doch Wiederhold bleibt stehen und erklärt. "Das ist eine gute Sache, so ein Check, wie bei einem Auto", sagt der frühere Stadtteilarbeiter und Supervisor beim Bistum Aachen. Jetzt genießt er mit seiner Frau Ingrid den Ruhestand, führt Toni regelmäßig Gassi. So hat er auch zufällig beobachtet, als unter dem Schiff "die Funken stoben", wie er sagt, als der Schlosser mit seiner Flex Hand anlegte.

Oft nutzt das Ehepaar, das erst seit zweieinhalb Jahren in Rurberg lebt, die Rursee-Flotte. "Am liebsten auf dem Obersee die elektrisch angetriebenen Schiffe", erklärt Wiederhold: "Oft kombinieren wir eine Fahrt mit Spazierengehen und erfreuen uns an der schönen Landschaft. Schon als Kind war ich oft am Rursee."

Vielen Dank für Ihr Interesse
Um Zugang zu allen exklusiven Artikeln des Kölner Stadt-Anzeigers zu erhalten, können Sie hier ein Abo abschließen.

Beobachtung per Webcam

Auch aus der Ferne können Interessierte das Fahrgastschiff "Aachen" auf dem Rursee in Rurberg wenigstens ein bisschen per Webcam in Augenschein nehmen – ein kleines Stück des Oberdecks und die Mastspitze. Denn der weitaus größte Teil des 100-Tonners "verbirgt" sich hinter dem Eiserbachdamm. Dafür sind Panoramaaufnahmen vom Nationalpark zu sehen. Damit wird klar, wo die Webcam montiert ist, um rund um die Uhr zu senden: "Sie hängt von außen am Antoniushof", erklärt Sabine Herfort von der Rursee Touristik GmbH, die in dem gläsernen Gebäude am Seeufer ihren Sitz hat.

Auch auf der Seite von Meteoblue sind unter Webcams und dem Suchbegriff "Rurberg" Bilder zu finden, die jedoch nur in Abständen aktualisiert werden.  © Kölner Stadt-Anzeiger

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.