Boxabend in Gemünd – wer da zwielichtige Gestalten, verrauchte Hinterzimmer und illegale Wetten erwartete, wurde enttäuscht.

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Mehr wie eine familienfreundliche Sportveranstaltung wirkte das Treiben rund um den Boxring, der als ungewohntes Element im Zuschauerraum des Kursaals steht. Einige Kinder und Jugendliche waren unterwegs und jubeln ihren Eltern zu, die an diesem Abend im Ring standen. 32 Kämpfe erwarteten die rund 300 Zuschauer, die sich das nicht entgehen lassen wollten.

Es war ein gelungenes Experiment für Botan Göcmen, Headcoach im Euskirchener Studio "Fit and Fight", denn nach einem Testballon in Mauel vor einigen Jahren fand im Kursaal nun die erste Profiboxveranstaltung in Gemünd statt. Besonders attraktiv waren dabei die Plätze auf der Galerie im Obergeschoss, die wohl den besten Blick auf das Kampfgeschehen boten.

Hier hatte sich auch der Anhang einiger Kämpfer positioniert. Etwa die Familie von Natalie Bongartz. Die dreifache Mutter aus Heimbach hatte an diesem Abend ihren zweiten Kampf nach der Babypause. Anfang des Jahres hat sie wieder mit dem Training begonnen. "Angefangen habe ich vor 14 Jahren mit Kickboxen", berichtet die 38-Jährige, die mit ihrem Mann in Heimbach das "Haus Diefenbach" betreibt. Doch dann sei sie zum Boxen gekommen, das liege ihr mehr. "Ich kann damit nicht aufhören", gab sie lächelnd zu.

Wenn die Kinder versorgt sind, fährt Natalie Bongartz zum Boxtraining

In ihrem Familien- und Freundeskreis habe sie damit allerdings nicht sehr viel Begeisterung entfacht. Die meisten fänden es zwar cool, dass sie so etwas mache. "Aber dass ich Boxen als Hauptsport betreibe, ist schon ungewöhnlich", berichtete sie. Doch daran wird ihr Umfeld sich wohl gewöhnen müssen, denn für Bongartz fängt es jetzt erst an. Vier- bis sechsmal pro Woche fährt sie nach Euskirchen, um zu trainieren. Abends, wenn die Kinder versorgt sind und Zeit ist. Und dann kommen die Kämpfe obendrauf, die nicht unbedingt in der Nachbarschaft stattfinden. "In zwei Wochen kämpfe ich in Osnabrück", sagt sie.

In Gemünd wärmte sie sich mit ihrer Sportkameradin Ilona Zündorf auf, die wie sie bei "Fit and Fight" von Botan Göcmen trainiert wird. Immer wieder, so die Frauen, komme das Vorurteil auf, dass Boxen kein Frauensport sei. "Mir macht das Boxen Spaß", sagt Zündorf. Umso mehr, da sie den Sport mittlerweile professionell betreibt. Ihren zweiten Kampf als Profi hatte sie an diesem Abend.

Auch Noorollah Shujaj und Osman Nawabi sind als Profi-Kämpfer unterwegs. Shujaj war in Gemünd für den Hauptkampf nominiert, während Nawabi an diesem Abend zur Weltmeisterschaft im Kickboxen antrat. "Eigentlich mache ich MMA, Mixed Martial Arts", erklärte Nawabi. Dabei könne man alles einsetzen – und das mache ihm Spaß. Seit acht Jahren betreibe er den Sport bereits. Vor vier Jahren sei er aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Hier trainiere er jeden Tag, sagt der 20-Jährige. Seinen Gegner, den amtierenden Weltmeister, kannte er zuvor nicht. "Ich werde im Ring gucken, was er drauf hat", sagte Nawabi selbstbewusst lächelnd.

18-jähriger Boxer träumt vom Weltmeistertitel

So ging es auch dem 18-jährigen Shujaj. Erst kurz vor dem Kampf sollte er seinen Gegner sehen: "Und im Ring sprechen dann die Fäuste." Im Leichtgewicht, das von 60 bis 63 Kilo reicht, tritt der 18-Jährige an. Seitdem er elf ist, trainiert er in Euskirchen. "Ich habe Plakate gesehen und bin dann einfach mal hingegangen", erzählte er von den Anfängen. Jetzt gehe die Reise weiter durch die Ringe in Europa: "Der nächste Kampf ist in Österreich." Sein Ziel ist klar: der Weltmeistertitel.

Da macht man sich den ganzen Tag wegen der sechs Minuten verrückt, und es ist dann so schnell vorbei.

Boxerin Natalie Bongartz nach ihrem gewonnenen Kampf

Erfolgreich im Ring war Zinar Jamal. Obwohl der Superschwergewichtler seinen Kampf gewann, war er anschließend nicht zufrieden. Er habe mehr von sich erwartet. Doch so sei das im Ring, da gebe es keine Ausreden – anders als in einem Teamsport. "Mir hat der erste Lebertreffer gleich 80 Prozent meiner Kraft genommen", berichtete er.

Trotzdem sei für ihn Boxen der beste Sport der Welt: "Und ich habe alles ausprobiert." Boxen sei so schön "oldschool", Mann gegen Mann, man könne sich austoben, Frust ablassen. "Im Ring ist das legal und sportlich fair. Hinterher fühlst du dich gut", sagt er. Er liebt seinen Sport – auch wenn es oft schwierig sei, den Berufsalltag als Polizist am Kölner Hauptbahnhof mit dem Leistungssport unter einen Hut zu bringen – gerade, wenn man, wie er, noch zwei Söhne habe, die auch Ansprüche stellen.

Boxabend: Organisatoren halten Wiederholung in Gemünd für möglich

Weitaus zufriedener mit ihrer Leistung war dagegen Bongartz, obwohl sie nach den drei Runden im Ring am Ende ihrer Kräfte war: Sie hat ihren Kampf gewonnen. "Da macht man sich den ganzen Tag wegen der sechs Minuten verrückt, und es ist dann so schnell vorbei", berichtete sie lachend. Auch wenn ihr am Ende die Kraft ausgegangen war, gelang es ihr, mit einem stürmischen Beginn ihre Gegnerin zu überraschen. "Sie hat damit nicht gerechnet, das hat ihr Respekt eingeflößt", sagt sie zufrieden.

Shujaj, der nach sechs Runden von den Kampfrichtern einstimmig zum Sieger erklärt wurde, und Nawabi, der den Weltmeistertitel durch einen K.O. in der dritten Runde gewann, trugen zu der guten Bilanz bei, die Göcmen, Cheftrainer bei "Fit and Fight" in Euskirchen, an dem Abend in Gemünd verbuchen konnte. Und auch mit der Zuschauerresonanz war der erfahrene Trainer durchaus zufrieden: "Es spricht nichts gegen eine Wiederholung."

Euskirchener Trainer hat viel Erfahrung im Ring

Neben rund 150 Sportlern, die bei "Fit and Fight" Selbstverteidigung und Boxen trainieren, werden in dem Studio in Euskirchen drei Profiboxer und knapp 20 Amateurboxer betreut. "Wir sind fast alle zwei Wochen auf Boxveranstaltungen aktiv", so Göcmen.

Seine Erfahrungen im Ring und in Selbstverteidigung gibt er gemeinsam mit seinem Bruder Özgür Göcmen und Marc Schreiber weiter. Bis zum vergangenen Jahr stand er selbst noch im Ring, war Deutscher Meister im Boxen, amtierender Weltmeister im Kickboxen WCO und vierfacher Europameister im Kickboxen. (sev)

Lange Boxnacht am 14. Dezember 2024 in Mechernich

Die Fight Night im Gemünder Kursaal ist Geschichte, da wirft die nächste schon ihre Schatten voraus. Baker Barakat, Betreiber des Energy Gym in Euskirchen, veranstaltet am 14. Dezember in Mechernich eine lange Boxnacht. Stattfinden wird sie in der Dreifachturnhalle, Bruchgasse 3. Los geht es um 16 Uhr mit dem Einlass. Der erste Gong an diesem Tag soll nach Angaben von Organisator Baker Barakat um 18 Uhr ertönen. Es wird nicht nur geboxt, sondern auch Kickboxen steht bei der Fight Night auf dem Programm.

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Karten gibt es in folgenden Vorverkaufsstellen: Energy Gym Euskirchen, Walramstraße 3, 53879 Euskirchen. Kundencenter der SVE, Oststraße 1, 5 53879 Euskirchen. Reisebüro Schäfer, Dr.-Felix-Gerhardus-Str. 11, 53894 Mechernich. Abendkasse während der Fightnight: Dreifachturnhalle, Bruchgasse 3, 53894 Mechernich. (tom)  © Kölner Stadt-Anzeiger

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