Frau Dr. Antz, in unserer Redaktion sind viele meiner Kolleginnen und Kollegen erkältet, manche fallen krank aus. Wie ist die Lage in Ihrer Praxis?

Mehr News aus Nordrhein-Westfalen finden Sie hier

Mirjam Antz: Sehr viele Leute kommen im Moment erkältet in unsere Hausarztpraxis. Obwohl gerade Schulferien waren, haben sich offenbar viele Menschen in den letzten Wochen angesteckt. Jetzt hat die Schule wieder begonnen, die Menschen treffen sich häufiger. Also werden auch die Infektionszahlen vermutlich noch deutlich hochgehen. Die Zahl der Infektionen mit Grippe und RSV steigt bereits. Es ist also damit zu rechnen, dass in den kommenden Wochen noch mehr Patientinnen und Patienten zu uns kommen. Um dem gewachsen zu sein, besetzen wir unsere Akutsprechstunde derzeit mit zwei Ärzten statt einem. In den nächsten Wochen werden wir das Jahresmaximum erreichen.

Wie viele von denen, die zu Ihnen kommen, könnten wohl arbeiten – statt sich krankschreiben zu lassen?

Es gibt nach meinem Gefühl wenige Leute, die sich vor der Arbeit drücken wollen. Jeder, der erkältet ist, ist zumindest an den ersten fünf Tagen ansteckend. Und wer dann nicht im Homeoffice arbeiten kann, muss schon aus Infektionsschutzgründen krankgeschrieben werden. Manchmal denke ich, dass es hinten raus ein bisschen schneller gehen könnte, dass manche früher wieder arbeiten könnten.

Allianz-Chef Oliver Bäte bemängelt, dass deutsche Arbeitnehmer im Vergleich mit anderen Ländern häufig krankgeschrieben seien. Er fordert, dass Arbeitnehmern am ersten Tag der Krankschreibung der Lohn nicht gezahlt wird. Was halten Sie davon?

Gar nichts. Ich fürchte, dass es eher dazu führt, dass Leute krank zur Arbeit kommen, Kollegen anstecken – und damit für mehr Krankheitstage sorgen, als wenn sie nicht arbeiten. Da haben Arbeitgeber dann auch nichts davon, nehme ich an.

Gibt es Fälle in Ihrer Praxis, in denen Sie dennoch denken: Dieser Patient könnte doch arbeiten?

Das denke ich selten. Meistens ist es nachvollziehbar, dass ein Patient krank ist. Und die Krankenlast ist immer subjektiv. Es kommt auch auf den Beruf an. Wer stark körperlich arbeitet, muss sich anders schonen als der, der am Schreibtisch sitzt. Und wer in der Gastronomie arbeitet, darf auf keinen Fall ins Essen husten. Wer aber Homeoffice machen kann, kann das auch mit Husten machen. Wer sich sehr krank fühlt, bekommt vom Körper ein Zeichen, dass er eine Pause braucht.

Da sitzen nicht lauter Leute, die eine AU abgreifen wollen, weil sie keine Lust haben, zu arbeiten

Mirjam Antz, Hausärztin

Und auf den sollte man hören?

Genau. Diese Zeichen können zum Beispiel Fieber, Herzrasen, Luftnot oder Schwindel sein – mit diesen Symptomen kann man nicht arbeiten und muss sich schonen. Nochmal: Da sitzen nicht lauter Leute, die eine AU abgreifen wollen, weil sie keine Lust haben, zu arbeiten.

Hat die Möglichkeit zur telefonischen Krankschreibung bei Ihnen zu mehr Krankschreibungen geführt?

Nein. Wir dürfen sowieso nur die Leute krankschreiben, die wir kennen. Und wir können auch entscheiden, das nicht zu machen. Wenn wir das Gefühl haben, da lässt sich einer zu oft krankschreiben, bestellen wir ihn ein.

Die Praxis, in der Sie arbeiten, gibt es seit über 80 Jahren. Hat sich in dieser Zeit die Einstellung gegenüber Krankschreibungen verändert?

Ich bin erst vor einigen Jahren aus dem Krankenhaus in die Praxis gewechselt. Diejenigen, die schon länger in der Praxis sind, stellen aber zunehmend fest, dass der allgemeine Umgang mit Kranksein und Erkältungen nicht mehr gekonnt wird. Was früher an Hausmitteln bekannt war und an Selbsttherapie geleistet wurde, ist vielen, vor allem jungen Menschen unbekannt.

Sie meinen etwa die Wadenwickel bei Fieber?

Davon spreche ich schon gar nicht. Eher, dass nicht mehr daran gedacht wird, Ibuprofen oder Paracetamol selbst zu kaufen, zu inhalieren, ausreichend zu trinken, sich auszuruhen, Nasenspray und Nasenduschen einzusetzen. Wir haben deswegen in unserer Praxis einen Infoflyer erstellt, der genau erklärt: Wie verhalte ich mich, wenn ich erkältet bin oder einen Magen-Darm-Infekt habe?

Vielen Dank für Ihr Interesse
Um Zugang zu allen exklusiven Artikeln des Kölner Stadt-Anzeigers zu erhalten, können Sie hier ein Abo abschließen.

Noch einmal zurück zur Zahl der Krankschreibungen: Würde es Sie nicht entlasten, wenn die Hemmschwelle größer wird?

Es ist gut so, wie es ist. Als Hausärztin will ich ja in Kontakt mit den Leuten sein. Immer wieder ist jemand dabei, der einen gefährlichen Verlauf hat oder bei dem ich Alarmzeichen erkenne.  © Kölner Stadt-Anzeiger

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.