Aus gutem Grund arbeitet die evangelische Telefonseelsorge im Verborgenen. Arno Molter, Leiter der Einrichtung des Kirchenkreises An der Agger, weiß von einem Fall der Berliner Kollegen: Ein offenbar emotional labiler Mann versuchte, in die Dienststelle vorzudringen.

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Ein Ausnahmefall zwar, und so in Oberberg bislang nicht vorgekommen. Trotzdem ist es für den seelsorgerischen Dienst oberstes Gebot, seine ehrenamtlichen Mitarbeiter - wie auch die Anrufenden - durch Anonymität zu schützen.

Gerade über die Weihnachtszeit ist der Griff zu Handy oder Hörer für viele Menschen der rettende Anker. Ohne einander zu kennen, ohne Vorbehalte, können Anrufer und Mitarbeiter sprechen. Wobei der Redeanteil der Helfer am Hörer oft gering ist; vielen Menschen reicht es schon, sich den Ballast von der Seele zu reden. Ratschläge geben die Mitarbeiter nur dann, wenn sie darum gebeten werden. Und sie bieten Kontakte zu Einrichtungen, die weiterhelfen können, etwa, wenn es um Überschuldung oder drohende Wohnungslosigkeit geht.

Psychische Erkrankungen in 40 Prozent aller Fälle

Neben solchen Existenzängsten ist Einsamkeit oft das Thema, und bei knapp 40 Prozent aller Anrufer spielt eine psychische Erkrankung in die Sorgen mit rein, erklärt Molter: "Angststörungen, Depressionen, bipolare Störungen sind da einige Beispiele." In ihrer mehrmonatigen Ausbildung werden die Ehrenamtler auch auf solche Fälle vorbereitet, in Supervisionen und Schulungen geht es dann regelmäßig explizit um psychische Erkrankungen. Längst ist es ein gesamtgesellschaftliches Problem, dem das Gesundheitswesen kaum noch gewachsen scheint – Arno Molter sagt, dass sogar Psychiater in ihren Praxen und psychiatrische Kliniken ihre Patienten mit Schildern auf die Telefonseelsorge hinweisen.

Bei Oberbergs Telefonseelsorge sind im zu Ende gehenden Jahr bislang 7807 Anrufe aufgelaufen, für das Jahr 2023 sind 8251 "Kontakte" gezählt, wie es in der Statistik heißt. Stets gibt's ein paar hundert Anrufe ohne Beratung, etwa weil der Anrufer sich angeblich verwählt hat oder einfach nur in den Hörer schweigt. Auch das gibt es. Im Durchschnitt dauert ein Gespräch rund 25 Minuten. Oberbergs Telefonseelsorger könnten noch mehr Anrufer betreuen, nicht nur eine Leitung besetzen, wenn das Team denn größer als die derzeit 43 Frauen und Männer wäre – das übrigens nicht nur aus Protestanten besteht, sondern auch aus Katholiken, freien Christen und Konfessionslosen.

Spende von der Sparkasse

Aber weil's organisatorisch nicht zu stemmen ist, soll der nächste Ausbildungskurs erst im Sommer 2026 beginnen. Alles ist auch eine Finanzierungsfrage. So gefragt und wertvoll die Telefonseelsorge auch ist, wird sie in Oberberg allein von der Diakonie des Kirchenkreises getragen. Umso willkommener sind Geldzuwendungen, um den Betrieb weiterzuführen. Einen Spendenscheck über 2500 Euro von der Sparkasse Gummersbach brachte kurz vor dem Heiligen Abend Bürgermeister Frank Helmenstein vorbei – auch, um mit seinem Besuch die "unverzichtbare Arbeit" ins Licht zu rücken. Pfarrerin Birgit Iversen-Hellkamp, Leiterin des Bereichs Seelsorge im Kirchenkreis, und Superintendent Michael Braun dankten für die Unterstützung.

Der Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg verdeutliche, wie gesellschaftlich wichtig die Betreuung psychisch auffälliger Menschen ist. Doch was kann ein Telefonseelsorger tun, wenn ein Anrufer anderen Menschen tatsächlich Gewalt androht? "Die seelsorgerische Schweigepflicht endet in einem solchen Fall", erklärt Superintendent Braun: "Dann müssen wir die Polizei informieren."

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Eine der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen, die seit sechs Jahren dabei ist, schildert ihre so schlicht klingende Motivation: "Ich möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben." Und was wünscht sie sich für ihre vielen Anrufer von der Gesellschaft? "Statt Gesellschaft brauchen wir viel mehr Gemeinschaft: Vielen Menschen fehlen einfach die persönlichen Kontakte."

Die Telefonseelsorge bietet Beratung unter den kostenlosen Nummern 0800/1110111 und 0800/1110222.  © Kölner Stadt-Anzeiger

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