Irgendwann müssen der Angeklagte und sein späteres Opfer auch mal gut miteinander ausgekommen sein. Denn man fuhr gemeinsam im Auto nach Köln, um dort den Abend zu verbringen.
Und als Erdal B. (alle Namen geändert) sein Portemonnaie im Auto von Dilan M. liegen ließ, sorgte dieser dafür, dass Erdal B. die Geldbörse wieder zurückbekam. Man kannte sich also.
Das aber hielt Dilan M. Ende 2023/Anfang 2024 nicht davon ab, mit dem Messer auf Erdal B. loszugehen, als man sich für eine Aussprache am Werner-Heisenberg-Gymnasium traf. "Ich bringe dich um", soll der 27-jährige Kurde damals gerufen haben. Das jedenfalls steht es in der Anklageschrift gegen Dilan M., die die Staatsanwältin am Freitagmorgen im Saal 27 des Kölner Landgerichts verlas. Erdal B. wehrte sich bei dieser Gelegenheit erfolgreich mit Pfefferspray gegen den Angreifer. Warum die Aussprache überhaupt nötig war
Opfer verteidigt sich mit Pfefferspray
Pfefferspray hatte er auch dabei, als er am 14. Juni dieses Jahres in einem Friseurstudio in den Luminaden saß und Dilan M. ihn dort traf. Gemeinsam verließen sie den Friseur um kurz vor 17 Uhr, doch auf dem Weg aus den Luminaden heraus in Richtung Wöhlerstraße bemerkte Erdal B., dass Dilan M. wie schon beim Treffen am Gymnasium bewaffnet war. Der Anklageschrift zufolge soll er in der Passage in Richtung Wöhlerstraße das Messer gezogen und gezielt versucht haben, auf Brust und Bauch seines Kontrahenten einzustechen. Zwar konnte der 28-Jährige die Angriffe zunächst abwehren. Einem hinzukommenden Zeuge gelang es, Dilan M. kurzzeitig von seinem Opfer wegzudrücken.
Erdal B. setzte wieder das Pfefferspray zu seiner Verteidigung ein, doch irgendwann ging er vor einer Schneiderei in der Passage zu Boden und fiel auf den Rücken. Dilan M. stach erneut auf ihn ein und fügte dem jungen Mann eine etwa acht Zentimeter tiefe und zwölf Zentimeter breite Stichwunde am linken Oberschenkel hinzu. Der Täter floh zunächst vom Tatort. Ende Juni machte die Polizei ihn ausfindig. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Erdal B. leidet seit der Tat unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Leverkusen: Streit um eine Frau?
Das Motiv für die gewalttätigen Angriffe liegt wohl im Streit um eine Frau, so viel war am ersten Verhandlungstag zu erfahren. Mehr aber auch nicht. Als Thomas Stollenwerk, Vorsitzender Richter der 9. Großen Strafkammer, den Angeklagten fragte, ob er zu den Vorwürfen der Anklage direkt etwas sagen wolle, teilten dessen Anwälte mit, dass Dilan M. sich frühestens beim nächsten Verhandlungstag im Januar äußern werde.
Und dabei blieb es auch, nachdem der Rechtsanwalt des Angegriffenen, der als Nebenkläger an dem Verfahren teilnimmt, auf die Anwälte des Täters mit einem Gesprächsangebot zuging. Denn Dilan M. wolle ungern die Weihnachtstage in der U-Haft verbringen, wie dessen Anwälte zuvor mitteilten. Zwar beredeten sich die Juristen eine halbe Stunde lang, doch das Gespräch über ein mögliches "Geständnis und Schmerzensgeld verlief ergebnislos", wie Richter Stollenwerk schließlich mitteilte.
Geboren in der kurdisch-türkischen Stadt Cizre, kam Dilan M. als Kind mit seinen Eltern 2002 nach Deutschland. Er brach nach dem Hauptschulabschluss einen Berufsschul-Ausbildungsgang zum Koch ab, weil er viel lieber Kfz-Mechatroniker werden will, und fand dann eine Anstellung bei TMD, zunächst als Lagerist und später in der Produktion, doch damit war es vorbei, als TMD just seine Abteilung nach Essen verlagerte. Sein befristeter Vertrag wurde nicht verlängert. Zum Zeitpunkt der Taten, die ihm vorgeworfen werden, war Dilan M. in einer Alkenrather Spielhalle beschäftigt. Obwohl er den größten Teil seines Lebens in Deutschland zugebracht hat, ist Dilan M. nach wie vor türkischer Staatsbürger.
Er bleibt also einstweilen in U-Haft. Zum Leidwesen auch der Familienangehörige des Angeklagten, die die Verhandlung auf den Zuschauerplätzen verfolgten. Eine junge Frau warf dem Angeklagten eine Kusshand zu, als die beiden Justizwachtmeister ihn wieder aus dem Gerichtssaal begleiteten. Und jemand anderes aus der Gruppe fragte, ob sie Dilan M. wohl dessen Lieblingsjacke geben könnten.
Am 10. Januar wird der Prozess mit der Befragung zahlreicher Zeugen fortgesetzt. "Wir wollen dann eine weitgehende Klärung erreichen", sagte der Vorsitzende Richter zum Schluss der Verhandlung. © Kölner Stadt-Anzeiger
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