Jetzt ist es offiziell – das Kölner Dreigestirn ist offiziell proklamiert. Die Macher der Prinzenproklamation im Gürzenich in diesem Jahr erneut einen feierlichen Abend in drei Akten konzipiert – alles passend zum Sessionsmotto "FasteLOVEnd – wenn Dräum widder blöhe". Eine Rückschau.
Der rührendste Moment: Definitiv die Darbietung von Biggi Fahnenschreiber, ein Auftrittsgeschenk des Festkomitees an das Dreigestirn. Fahnenschreiber, die Mutter aller Mariechen, wirbelte über die Bühne: anmutig, gefühlvoll, mitreißend – und sichtlich überglücklich. Geführt wurde sie von Jens Hermes, Jungfrau des Dreigestirns 2014. "Ich will ihr Alter nicht verraten, aber wenn ich mit 93 Jahren noch so tanzen könnte...", sagte Kuckelkorn im Anschluss. Für ihr Lebenswerk zeichnete das Festkomitee die sichtlich gerührte Tänzerin anschließend unter tosendem Applaus mit dem Verdienstorden in Gold mit Brillanten aus – die höchste Auszeichnung, die das Festkomitee vergeben kann.
Der beste Wortbeitrag: In der Rede von Jungfrau Marlis steckten viele Wahrheiten, viele gute Gedanken, die selbstverständlich sein sollten, es aber oft nicht zu sein scheinen ("Und ist es dabei nicht schön, dass wir alle irgendwie verschieden sind?", "Wir müssen uns aber mit Wertschätzung, Respekt und Toleranz gegenüber begegnen", "Besonders in Zeiten wie diesen, wo sich vielfach wieder braunes Gestrüpp breitzumachen versucht, ist es wichtiger denn je, zu zeigen, dass bunt viel schöner ist als braun.") In Erinnerung blieb vor allem ihr letzter Satz, vier Worte mit Herz: "Ich habe euch lieb."
Tanzcorps der Stattgarde räumt ab
Die "Entschuldigung" des Abends: Die Proklamation des Vorjahres, bei der JP Weber in seiner Rede als Horst Muys die Oberbürgermeisterin scharf angegangen war, hatten viele noch im Gedächtnis. Allen voran die OB selbst. Darauf angesprochen, sagte sie vor Beginn auf dem Roten Teppich: "Ich weiß seit dem vorigen Jahr, warum meine Eltern Horst Muys nicht mochten. Und wenn man sich eine Figur aussucht, die sexistisch, homophob und populistisch ist, wird zumindest manches Mal der Eindruck erweckt, dass man sich thematisch dahinter versteckt." Spätestens jetzt stand es unentschieden. Wohl auch zu Rekers Überraschung überreichte Weber ihr dann bei seinem Auftritt einen Blumenstrauß.
Ist jetzt alles wieder gut? "Frau Reker hat mich gefragt, ob der Blumenstrauß eine Entschuldigung sei", berichtete Weber dem "Kölner Stadt-Anzeiger" am nächsten Tag am Rand der Volkssitzung. "Ich habe gesagt: Nein, so ist der Kölner Karneval." Im Publikum kam die Geste jedenfalls gut an, zum Beispiel bei Hänneschen-Intendantin Mareike Marx: "Der Auftritt vergangenes Jahr war nämlich schon eher an der Grenze, beziehungsweise über der Grenze."
Der Szenenapplaus: Diesmal hielt sich Weber mit seinen Attacken für seine Verhältnisse zurück. "Eigentlich wollte ich die Rede so böse machen, dass der WDR sie nicht übertragen wird", meinte er und knöpfte sich unter anderem Herbert Reul ("Die Eule") oder auch Donald Trump vor: "Der dürfte im Sauerland-Stern kein Tablett tragen – und jetzt hat er den Atomkoffer in der Hand." Was JP Weber auch kann, sind Emotionen. Sein Lied "Ich bin doch nur ein Narr, ein Jeck im Karneval" reimt sich zwar nicht wirklich, aber als er es sang, war er plötzlich so ergriffen von sich selbst, dass er stockte und eine Träne verdrückte. So etwas kommt immer an – wie der Applaus zeigte.
Der Tonhänger: Hatte es im vergangenen Jahr viel Kritik am Tonbrei im Gürzenich gegeben, der auf die Aufzeichnung für den WDR zurückzuführen war, sollte in diesem Jahr alles besser werden. Wurde es auch. Aber ganz ohne Panne ging es dann doch nicht. Als Marc Metzger seine Ballade "Kopp voll Dräum" sang, war er über weite Strecken im Saal fast nicht zu hören. Erst zur Hälfte des Lieds hatte jemand in der Technik den richtigen Regler gefunden. Die Menge johlte, als Metzger plötzlich zu verstehen war. Aber da war das Lied auch schon fast zu Ende.
Der Durchhänger: Nach der Premiere im Vorjahr sollte Fatih Cevikkollu erneut "den Paten" geben. Und seit Freitagabend steht wohl fest, dass es ein drittes Mal nicht geben wird. Nach der Tanzgruppe Colonia Rut-Wiess wurde es im Saal merklich unruhig, und als Cevikkollu seine Pointen setzen wollte, nahm der Geräuschpegel so zu, dass man Mitleid haben konnte. Ungeniert standen Gäste auf und unterhielten sich lautstark. Ungeachtet der Tatsache, dass Cevikkollu schon bessere Reden gehalten hat, so sollte den Programmmachern aus Erfahrung bekannt sein, dass Kabarettisten fernab des Karnevals auf einer Prinzenproklamation stets ein Wagnis sind.
Die Abräumer: Klassik und Moderne – zwei Tanzgruppen bildeten im Gürzenich die ganze Bandbreite ab. Da war zunächst das Tanzcorps Colonia Rut Wiess, das im Programm zwischen JP Weber und Fatih Cevikkollu angesiedelt war und hervorragend beim Publikum ankam. Dass Cevikkollu nach diesem ersten Stimmungshoch kam, hat die Lage für ihn sicher nochmal schwieriger gemacht. Und dann war da noch das Tanzcorps der Stattgarde selbst, das akrobatisch beeindruckend, schnell, mitreißend und überdies hochsympathisch tanzte, als gäbe es kein Morgen mehr. Nicht traditionell – und dennoch oder gerade darum absolut sehenswert.
Die Stars: Sollte noch irgendwer im Vorfeld der Prinzenproklamation Zweifel daran gehabt haben, ob dieses Dreigestirn – Prinz René, Bauer Michael und Jungfrau Marlis – die Richtigen für diesen Job sind, dürfte dieser Abend im Gürzenich diese Zweifel weggefegt haben. Die drei waren alles: begeistert dabei, emotional, lustig, auf den Punkt, sogar wortgewaltig. Immer wieder hielten sie einander an den Händen, genossen ganz offenkundig und absolut gemeinsam den Abend. Wäre dieser Dreigestirns-Auftritt ein Gradmesser für den Verlauf der Session, bräuchte man sich keine Sorgen zu machen.
Astronomische Preise für das Kölsch
Die Überraschung: Die Stadt mit K und scha-la-la-la-laa – Kasalla zündete erwartungsgemäß zum Finale. Dass die Band mit Charly Brand einen Altmeister auf die Bühne holte, der dem Karneval mit den Räubern Hits wie "Wenn et Trömmelche jeht" geschenkt hat, war die erste Überraschung. Die zweite folgte, als Brand Lieder seiner Jugend anstimmte. Und die stammten nicht von Ludwig Sebus oder Freddy Quinn: Mit Songs von Creedance Clearwater Revival gab es rockige Klänge aus den 60er Jahren.
Das Publikum: Dass Gästen bei der Prinzenproklamation nicht jeder Programmpunkt gleich gefallen kann: geschenkt. Dass man zwischendurch den Raum verlassen und die Toilette aufsuchen muss: menschlich. Dass man die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler oder die Dramaturgie eines solchen Abends kritisch sehen kann: klar. Was allerdings ebenso klar sein sollte: dass alle, die da vorn auf der Bühne stehen, Respekt verdient haben – und keinen Saal, der sich so lautstark unterhält, als sei gerade Pause und man befinde sich auf einem Schulhof. © Kölner Stadt-Anzeiger
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