Würde Anne Böcker ihre Höchstgeschwindigkeit auf die lange Distanz halten, könnte sie in ziemlich genau einer Stunde von Waldbröl in die Gummersbacher City laufen.

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Anne ist Sprinterin, die Rechnung natürlich Unsinn. Aber sie verdeutlicht: Die 17-Jährige gehört momentan zu den schnellsten Frauen Oberbergs. Florian Sauer hat sie in ihrer Heimatstadt Waldbröl getroffen.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie schneller sind als andere?

Anne Böcker: Ich habe praktisch schon mit vier Jahren beim TuS Waldbröl mit der Leichtathletik angefangen und lange auch so ziemlich alle Disziplinen trainiert, auch später beim SC Olpe. Der Sprint hat mir immer am besten gefallen. Ich mag die Geschwindigkeit, die Drucksituation am Startblock und dann das befreiende Gefühl beim Lauf. Spätestens seit dem Wechsel Ende 2022 zum TSV Bayer 04 Leverkusen konzentriere ich mich aber auf die Kurzstrecke.

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) setzt offenbar große Hoffnungen in Sie. Sie gehören inzwischen sogar zum Nationalkader I für den Kurzsprintbereich.

Zusammen mit vier anderen Athletinnen aus ganz Deutschland werde ich dort gefördert, das ist wirklich eine tolle Entwicklung. Unterstützung bekomme ich mittlerweile aber auch von der Sportstiftung NRW, von der Deutschen Sporthilfe und vom Olympia-Stützpunkt Rheinland.

Wie oft trainieren Sie in der Woche?

Dreimal fahre ich nach Leverkusen, an zwei Tagen bereite ich mich in Waldbröl nach Plänen vor, die die Trainer genau auf mich zuschneiden, und donnerstags ist mein Physio-Tag.

Der Laie könnte ja denken: Nun ja, beim 100-Meter-Lauf startet man, gibt dann Vollgas und ist auch ziemlich flott schon im Ziel. Was bitte trainiert man da so zeitraubend?

Der Sprint über 100 Meter hat ja ganz verschiedene Phasen. Du musst explosiv aus dem Startblock kommen, die ersten 30 Meter ist dein Oberkörper noch tief, du baust die Geschwindigkeit erst auf. Dann richtest du dich allmählich auf. Und die letzte Phase ist dann der freie Sprint.

Das Training berücksichtigt also diese verschiedenen feinen Stufen.

Genau. An manchen Tagen verbessern wir die Explosivkraft für den Start, an anderen gibt es Läufe mit niedriger Intensität, um weiße Blutkörperchen aufzubauen. Tempoläufe über 120 oder 150 Meter fördern die sogenannte Sprintausdauer. Und an wieder anderen Tagen ziehen wir die Laufschuhe gar nicht an, da steht reines Krafttraining auf dem Plan. Es geht in der Leichtathletik immer darum, zu einem Wettkampf auf den Punkt genau die beste Leistung abrufen zu können.

Der 6. Juli dieses Jahres war also genau solch ein Moment für Sie?

Richtig, wir haben uns gründlich auf die Deutsche Meisterschaft der U18 in Mönchengladbach vorbereitet und dann habe ich dort tatsächlich die Vize-Meisterschaft über 100 Meter geholt, mit neuer persönlicher Bestzeit. Mit der 4x100-Meter-Staffel konnte ich dann auch noch Bronze gewinnen. Ich war tatsächlich auf den Punkt fit, hatte mit diesem Erfolg allerdings nicht gerechnet.

Die 11,75 Sekunden aus dem Silberlauf bedeuteten dann sogar sofort die Qualifikation für die Europameisterschaft nur anderthalb Wochen später in der Slowakei.

Ich bin im Zielbereich direkt von den Bundestrainern angesprochen worden, es ging praktisch direkt nach der Siegerehrung zur Einkleidung, da habe ich einen riesigen Koffer für die EM bekommen.

Mit welchen Gefühlen sind Sie zur EM gereist?

Das war ziemlich aufregend. Der ganze deutsche Kader hat sich in München getroffen, dort gab es ein Pre-Camp und dann sind wir mit Bussen in die Slowakei. Es hat riesigen Spaß gemacht, so viele Menschen aus den unterschiedlichen Nationen kennzulernen und Kontakte zu knüpfen. Die EM war absolut professionell organisiert. Unser Bus wurde sogar mit Blaulicht zum Stadion eskortiert.

Im Vorlauf waren Sie die Zweitschnellste, damit war das Ticket für das Halbfinale gelöst...

Wo mir dann leider sechs Hundertstel fürs Finale gefehlt haben. Der Start war nachmittags, es war total heiß und ich hatte die Nacht zuvor nicht wirklich gut geschlafen.

Zum Abschluss der EM hat der DLV Ihnen aber vertraut und Sie als Startläuferin für die Medley-Staffel nominiert.

Der Staffelstart war ein echter Gänsehaut-Moment. Plötzlich startest du nicht nur für dich selbst, sondern fürs Team, für ein ganzes Land. Auf deiner Startnummer steht nicht mehr der Name Böcker, sondern Germany. Dazu kam, dass die Staffel die letzte Disziplin der EM war, es waren so viele Menschen im Stadion und alle feuerten an. Mit dem vierten Platz haben wir eine Medaille ganz knapp verpasst, obwohl wir deutschen Rekord gelaufen sind.

Haben Sie die Sommersaison 2024 danach für sich beendet?

Ich bin im August noch bei der deutschen U20-Meisterschaft in Koblenz über 200 Meter Sechste geworden. Ich bin dort aber bewusst nicht über 100 Meter gestartet, weil ich die Saison in dieser Disziplin mit den Erfolgen aus dem Juli für mich persönlich beenden wollte.

Wie genau unterscheiden sich die Läufe über 100 und 200 Meter?

Ich würde sagen, beim 200-Meter-Lauf brauchst du typischerweise einen großen und kraftvollen Schritt, über 100 Meter sind kleine explosive Schritte besser.

Gucken wir ins nächste Jahr: Welche Termine sind für 2025 gesetzt?

Anfang Januar werde ich in die Saison einsteigen, die deutschen U20-Hallenmeisterschaften in Dortmund Mitte Februar sind dann das erste Ziel. Und im August finden die U20-Europameisterschaft in Finnland statt, die Qualifikation dafür wäre natürlich toll.

Letzte Frage: Bereuen Sie es manchmal, dass die Leichtathletik so viel von Ihrer Zeit beansprucht?

Ganz klar nein. Mir macht das Training unheimlich viel Spaß. Und ich habe eine Clique, die dafür Verständnis hat – wo ich einfach mal nur Anne bin, es nicht um den Sprint geht und ich den Kopf frei bekomme. Andererseits steht der Sport nicht über allem. Wenn alles klappt, werde ich im Sommer mein Abitur machen. Ein Trainingslager habe ich schon verkürzt, weil es parallel zur Mottowoche stattfinden würde. Abitur macht man nur einmal im Leben – das ist mir dann einfach wichtiger.

Zur Person

Anne Böcker, Jahrgang 2007, ist in Waldbröl zu Hause und Schülerin im Abschlussjahrgang des Hollenberg-Gymnasiums. Nach dem Abitur plant sie ein freiwilliges soziales Jahr im Sportbereich, danach möchte sie Grundschullehrerin werden.

Disziplin: 100 Meter

Bisherige Vereine: TuS Waldbröl, Ski-Club Olpe und seit 2022 TSV Bayer 04 Leverkusen. Mitglied im Nationalkader I des Deutschen Leichtathletik-Verbandes.

Bestzeiten und Erfolge: 11,75 Sekunden (Zweite U18-DM), 47,23 Sekunden mit der 4x100-Meter-Staffel (Dritte U18-DM).

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Vorbild: keins, allerdings verfolgt Anne interessiert die Karriere von Gina Lückenkemper, Europameisterin über 100 und 4x100 Meter, sowie Bronzemedaillengewinnerin mit der Staffel bei Olympia in Paris.   © Kölner Stadt-Anzeiger

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