Eine Razzia der Bonner Ermittlungsgruppe "Camillo" lenkte am 11. Dezember die Augen der Öffentlichkeit auf ein hässliches Kapitel der Flutkatastrophe.
Das Ausmaß der Schäden, die das Hochwasser vom 14./15. Juli 2021 im Kreis Euskirchen und in der Region anrichtete, das große Leid so vieler Menschen und das Bemühen der öffentlichen Hand, so schnell und unbürokratisch wie möglich zu helfen, rief auch Betrüger auf den Plan. Und zwar in enormem Ausmaß, wie die Großrazzia von 80 Einsatzkräften in Euskirchen und Mechernich zeigte, wo insgesamt 16 Wohnobjekte durchsucht wurden. Allein bei der die Ermittlungsgruppe der Bonner Polizei laufen bislang 182 Ermittlungsverfahren, in denen 136 Beschuldigte unter Verdacht stehen, unberechtigt mehr als neun Millionen Euro beantragt zu haben.
Doch das ist nur ein Teil der Verfahren. Denn die Ermittlungsgruppe "Camillo"des Kriminalkommissariats 23 der Bonner Polizei wird nur dann aktiv, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass es sich um Fälle organisierten Betrugs handelt.
Es gab auch Firmen, die Flutbetroffene betrogen haben
Schon seit 2022 macht das in Schleiden angesiedelte Kriminalkommissariat 3 kreisweit Jagd auf Fluthilfebetrüger. Im Visier sind dabei sowohl Menschen, die versucht haben, an Geld zu gelangen, obwohl sie gar nicht geschädigt waren, als auch Menschen oder Firmen, die die Not der Betroffenen ausgenutzt haben. Denn immer wieder gab es Fälle, in denen Flutbetroffene für Sanierungsleistungen gezahlt haben, die dann gar nicht oder nicht korrekt durchgeführt wurden.
Kriminaloberrat Ulrich Linden, Leiter der Kriminalpolizei im Kreis Euskirchen, hatte selbst von den Geschehnissen in der Flutnacht nicht so wirklich etwas mitbekommen: "Doch als ich morgens zum Bäcker gefahren bin, habe ich gesehen, was passiert war. Und dann begreift man die Lage. Schon in dem Moment, in dem ich das Ausmaß erkannt habe, war mir klar, dass damit auch betrogen werden würde."
Er sollte recht behalten: Seitdem das KK3 im Kreis möglichen Betrugsfällen nachgeht, hat es rund 120 Ermittlungsverfahren gegeben. Das begann schon bei der Auszahlung von Soforthilfen durch die Städte und Gemeinden direkt nach der Flut und setzte sich bei der Wiederaufbauhilfe fort. Die Dimensionen erstrecken sich von einem niedrigen fünfstelligen Bereich bei Hausratschäden bis hin zu mehreren hunderttausend Euro bei vorgeblichen Gebäudeschäden.
In vielen Fällen war das Geld im Zuge der schnellen Hilfe schon ausgezahlt worden, bevor die prüfenden Bewilligungsstellen Verdacht schöpften und die Polizei einschalteten. In anderen Fällen wurden sie bereits bei den Anträgen misstrauisch. Und auch der versuchte Betrug, so Linden, stehe unter Strafe.
Wie die Polizei genau ermittelt, da lässt sich der Kripo-Chef nicht in die Karten schauen. Am einfachsten ist es für die Fahnder in den Fällen, in den für Objekte Anträge gestellt oder Gelder gezahlt wurden, die schon geo- oder topografisch nicht von der Flut betroffen sein konnten. Aber auch dort, wo auf einen tatsächlich entstandenen Schaden noch was draufgepackt wurde, wurde und wird die Polizei aktiv.
Die Betrugssumme in den 120 von der Kreispolizei bearbeiteten Fällen beziffert der Kripo-Chef insgesamt mit mehreren Millionen Euro in einem einstelligen Bereich.
Die ersten Täter wurden auch schon verurteilt
Landrat Markus Ramers, Chef der Kreispolizei: "Wichtig ist das Zeichen, dass die Polizei auf allen Ebenen mit Hochdruck an der Aufklärung solcher Fälle arbeitet." Die Zahl der Fälle, die sowohl von der Ermittlungsgruppe "Camillo" als auch von der Kreispolizei bearbeitet wurden, mache deutlich, dass es nicht nur wenige Einzelne seien, die auf diesem Sektor unterwegs seien, sondern es sich durchaus um ein größeres Phänomen handele. Ramers: "Deswegen ist es wichtig, dass es da auch Konsequenzen für die Täter gibt: Strafbefehle, Anklagen und schon erste Verurteilungen." Das sei verbunden mit Vorstrafen und bei einigen natürlich auch deshalb, weil es um die Rückzahlungsverpflichtungen gehe, mit möglichen Privatinsolvenzen.
Ramers: "Ich glaube, dass das richtig ist. Denn wenn sich ein Staat solidarisch zeigt, um wirklich notleidenden Menschen zu helfen, dann ist es nicht hinnehmbar, dass es Einzelne gibt, die versuchen, sich daran zu bereichern." Daher sei die gezielte Verfolgung solcher Fälle genauso wichtig wie die gezielte Verfolgung von dubiosen Firmen, die versucht haben, aus dem Leid von Betroffenen für sich Kapital zu schlagen.
Die Fluthilfeanträge begleiten den Landrat seit der ersten Stunde: "Wir haben dafür geworben, das Verfahren so einfach wie möglich zu machen." Er selbst habe kritisiert, dass das rein online geschah, weil das für ältere Menschen schwierig gewesen sei. Daher habe der Kreis Beratungen angeboten. Mehr als 9000 dieser Beratungen zur Antragstellung seien bis heute durchgeführt worden. Ramers: "Ich halte das einfache Verfahren nach wie vor für richtig. Wenn Missbrauch betrieben wird, dann darf das aber niemals politisch zum Argument dafür werden, dass die große Anzahl derjenigen, die sehr verantwortungsvoll und korrekt damit umgehen, dafür bestraft werden, dass es welche gibt, die Missbrauch betreiben."
Aber er habe auch stets um Verständnis dafür geworben, dass die Anträge geprüft werden müssen. Und dass das manchmal nicht so schnell gehe, wie von manchen Antragstellern erhofft. Es gebe auch die Erwartung der Bevölkerung, dass das Steuergeld wirklich nur für die Betroffenen da sei, und nicht für die, die sich an der Katastrophe bereichern wollten.
Trotz der erschreckenden Zahl der Betrugsfälle ist Ramers eines wichtig: "Die Tatsache, dass es zu Betrugsfällen gekommen ist, sollte die, die wirklich von der Flut betroffen waren, aber noch keine Anträge gestellt haben, nicht davon abhalten, diese Anträge zu stellen." © Kölner Stadt-Anzeiger
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