Erfurt (dpa) - Nach dem brutalen rassistischen Angriff in einer Erfurter Straßenbahn hat die Opferberatung Ezra darauf hingewiesen, dass solche Attacken in der Landeshauptstadt keine Seltenheit sind.
Rassismusbetroffene erlebten bestimmte Stadtteile oder auch Straßenbahnen und ihre Haltestellen als Angsträume. "Es gibt Berichte darüber, dass Menschen sich nicht mehr trauen, mit der Straßenbahn zu fahren - und das seit Jahren schon. Weil es da immer wieder zu rassistischen oder echten Angriffen kommt", sagte der Sprecher der Thüringer Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, Frank Zobel.
Ein Viertel der insgesamt 102 Angriffe, die die Beratungsstelle im vergangenen Jahr landesweit dokumentierte, sind nach der Zählung von Ezra in Erfurt passiert. Es sei wichtig, zu sehen, dass rassistische Angriffe Deutscher kein Einzelfall, sondern "ein massives Problem in Erfurt" sind, so Zobel. Es brauche eine konsequente und effektive Strafverfolgung der Täterinnen und Täter sowie eine intensive Auseinandersetzung in der Stadtpolitik.
In Erfurt hatte ein 40 Jahre alter polizeibekannter Mann am vergangenen Freitag einen 17-jährigen Syrer in einer Straßenbahn rassistisch beleidigt, bedroht, bespuckt und brutal angegriffen. Ein Video des Angriffs hatte sich zu Beginn der Woche rasant in den Sozialen Netzwerken verbreitet und Empörung hervorgerufen.
Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) zeigte sich erschüttert und beschämt über die Tat. Dieser "widerliche und verachtenswerte Vorfall" müsse ein Warnzeichen sein, appellierte der Oberbürgermeister zugleich an die Zivilcourage. Zuvor hatten bereits Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sowie die Landtagsfraktionen von CDU und Linker die Tat scharf verurteilt. Bausewein bot dem jungen Syrer zudem Hilfe an. "Wenn er sich psychisch dazu in der Lage fühlt und er das möchte, werde ich ihn besuchen und ihm persönlich unsere Hilfe und Unterstützung anbieten, um das Erlebte zu verarbeiten", sagte Bausewein am Dienstag.
Wie der Anwalt des Syrers, Juri Goldstein, am Dienstagnachmittag mitteilte, geht es dem jungen Mann "den Umständen entsprechend". Sein Mandant sei "von dem Vorfall stark mitgenommen und versucht das Geschehen zu verarbeiten", so Goldstein. Auch er fühle mich von der unglaublichen Brutalität, Aggression und dem Hass des rassistischen Angriffs zutiefst betroffen. "Das ist feige, widerlich und an Abscheulichkeit nicht zu überbieten."
Dass der mutmaßliche Täter schon wenige Stunden nach dem abendlichen Übergriff ausfindig gemacht und in Folge inhaftiert werden konnte, wertete Goldstein als einen ersten und schnellen Ermittlungserfolg. Er erwarte ein zügiges und konsequentes Ermittlungsverfahren seitens Polizei und Staatsanwaltschaft. "Wir wollen, dass der Angreifer für seine brutale Tat zur Rechenschaft gezogen wird und dass im Zuge dieses Verfahrens einmal mehr klar gemacht wird, dass Hass, Hetze und Rassismus keinen Platz in unserer Stadt, unserem Land und in unser Gesellschaft haben."
Auch der Ausländerbeirat der Landeshauptstadt Erfurt zeigte sich schockiert über den rassistischen Übergriff und forderte eine harte Strafe für den Täter. "Der Stadtrat, die Stadtverwaltung und die Erfurter Bevölkerung müssen sich klar gegen Rassismus und Diskriminierung positionieren", forderte der Vorsitzende des Ausländerbeirats, Jose Paca. Es brauche zudem mehr Zivilcourage in der Gesellschaft.
Der Flüchtlingsrat Thüringen rief gemeinsam mit Thüringer Organisationen und Initiativen neben besagter Zivilcourage auch zu Solidarität im Umgang mit rassistischer Gewalt und Alltagsrassismus. "Längst haben wir erfahren müssen, dass wir uns auf die nicht verlassen können, die die Warnungen, Ängste und Erfahrungen von Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt nicht ernst nehmen, nicht hinhören und nicht handeln." Menschen erführen rassistische Gewalt auf der Straße, in Sammelunterkünften, in den Ausbildungsplätzen und den Betrieben. Täter blieben allzu oft unbekannt, organisierte Schläger zu schnell wieder auf freiem Fuß.
Der Aufschrei sei nach jeder dieser Taten groß, es passiere allerdings recht wenig, kritisierte Ezra-Sprecher Zobel. Seit Jahren forderten Opferberatungsstellen ein Bleiberecht für Opfer rassistischer Gewalt. "Wenn Täter aus rassistischen Gründen Menschen angreifen, sollten sie genau das Gegenteil erreichen: Dass der Mensch dann hier blieben kann", so Zobel.
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