Im österreichischen Spielberg findet am Sonntag der verspätete Start der Formel-1-Saison 2020 statt. Der ehemalige F1-Pilot und heutige RTL-Kommentator Christian Danner spricht im Interview über die Titelchancen von Sebastian Vettel, über Vergleiche zwischen Lewis Hamilton und Michael Schumacher sowie über die Zukunft der Formel 1 in Deutschland.

Ein Interview

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Wie groß ist die Chance, dass Sebastian Vettel sich in seinem letzten Jahr bei Ferrari den Traum vom WM-Titel erfüllt?

Christian Danner: Die Chance ist gering, denn er hat gleich zwei Probleme. Zunächst einmal hat er nicht das schnellste Auto. Und dann hat er in Charles Leclerc auch noch einen sehr schnellen Teamkollegen, der ihm gegenüber nicht sonderlich freundlich gesonnen ist. Diese Probleme haben seine Konkurrenten nicht: Lewis Hamilton ist die klare Nummer 1 bei Mercedes, Max Verstappen die klare Nummer 1 bei Red Bull. Daher hat Sebastian die schwierigste Ausgangssituation.

Ferrari setzt künftig auf Charles Leclerc. Ist er wirklich der bessere Fahrer?

Nein, Leclerc ist keinesfalls der bessere Fahrer – auch wenn er genauso schnell ist. Er muss erst noch beweisen, dass er auch viermal Weltmeister werden oder ein Team durch schwierige Zeiten steuern kann. Erst dann wäre er genauso gut wie Sebastian Vettel.

Formel-1-Weltmeisterschaft: Wer könnte Hamilton gefährlich werden?

Lewis Hamilton könnte seine siebte Weltmeisterschaft gewinnen und dadurch mit Michael Schumacher gleichziehen. Wem trauen Sie am ehesten zu, dies zu verhindern?

Die größte Chance hat Max Verstappen, weil er in seinem Team die klarste Nummer 1 ist. Man darf auch Valtteri Bottas, den Teamkollegen von Lewis Hamilton, nicht unterschätzen. Charles Leclerc hat wiederum das Problem, dass Sebastian Vettel ihm sicherlich einige Punkte wegnehmen wird. Sebastian befindet sich in seinem letzten Jahr bei Ferrari. Also wird er Leclerc keine Geschenke machen.

Allgemein glaube ich, dass die Saison 2020 für Mercedes und Hamilton keinesfalls ein Spaziergang wird. Wir befinden uns am Ende eines Reglement-Zyklus: 2021 wird es so gut wie keine Veränderungen geben, erst 2022 tritt das neue Reglement in Kraft. Aber jetzt fahren wir noch unter den gleichen Bedingungen wie im Vorjahr. Die Teams haben voneinander so viel gelernt und abgeschaut, dass die Spitzenteams näher zusammenrücken.

Ist Hamilton auf einem Niveau mit Michael Schumacher?

Die beiden lassen sich nicht miteinander vergleichen, weil sie zu unterschiedlichen Zeiten in der Formel 1 gefahren sind. Die Technologien haben sich im Motorsport verändert – und somit auch die Anforderungen an die Fahrer. Daher sind auch keine Vergleiche mit anderen Formel-1-Legenden wie Juan Manuel Fangio, Niki Lauda oder Ayrton Senna möglich. Aber natürlich spielen Lewis Hamilton und Michael Schumacher in einer ganz besonderen Liga.

Blicken wir einmal nach vorne: Welche Optionen sehen Sie für Sebastian Vettel in der nächsten Saison? Können Sie ihn sich als Teamkollegen von Lewis Hamilton bei Mercedes vorstellen?

Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube nicht, dass Sebastian zu einem Team wechseln möchte, bei dem es bereits einen Platzhirsch wie Hamilton gibt. Und ich wage zu bezweifeln, dass Mercedes sich zwei Alphatiere im Team antun möchte.

Zukunft für Vettel: Pausieren und Analyse - oder Rücktritt

Welche Perspektiven hat Vettel dann?

Ich sehe momentan keine Chance, dass Sebastian für 2021 bei einem Topteam unterkommt. Dass er in einem mittelklassigen Team einsteigen wird, glaube ich ebenfalls nicht. Ich halte es für wahrscheinlicher, dass er ein Jahr Pause macht und die Lage analysiert. Dann stellt sich die Frage, ob er überhaupt weiterfahren möchte und ob er für 2022 bei einem Topteam unterkommen könnte. Eines ist aber klar: Sebastian könnte nach vier WM-Titeln seine Karriere auch durchaus beenden.

Die Formel 1 könnte kommende Saison ohne deutschen Fahrer dastehen. Außerdem wandert die Rennserie ab 2021 größtenteils ins Pay-TV ab. Droht der F1 in Deutschland dann ein ähnliches Nischendasein wie dem Boxsport?

Natürlich. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen: Dieses Schicksal droht der Formel 1 nicht nur, es ist mit einer 100-prozentigen Sicherheit abzusehen. Wenn wir auf RTL bei einem Rennen fünf Millionen Zuschauer haben, hat Sky vielleicht ein Zehntel davon. Mit Pay-TV erreicht man viel weniger Menschen. Die Formel 1 wird für die breite Bevölkerung überhaupt nicht mehr stattfinden. Der Sport fällt auf das Niveau der 1980er-Jahre zurück, als ich selber noch in der Formel 1 gefahren bin. Damals wurden viele Rennen in Deutschland überhaupt nicht übertragen. Die Formel 1 befindet sich auf einem sehr schlechten Weg und wird in der Versenkung verschwinden. Es sei denn, es ändert sich noch etwas, sodass die Formel 1 der Breite zugänglich gemacht wird.

Große Hoffnungen im deutschen Rennsport ruhen auf Mick Schumacher, dem Sohn von Michael Schumacher. In der Formel 2 belegte er in der vergangenen Saison Platz 12. Ist er wirklich so ein Ausnahmetalent wie viele deutsche Rennsportfans hoffen?

Ich würde mich sehr freuen, wenn wir Mick Schumacher in der Formel 1 sehen würden. Das Problem ist nur: Die Erwartungen, an denen er gemessen werden würde, wären sehr hoch. Es wäre anders als zu meiner Zeit, als ich gelegentlich ein paar Punkte geholt habe und alle haben sich gefreut. Heute sind wir an den siebenfachen Weltmeister Michael Schumacher, den viermaligen Weltmeister Sebastian Vettel und den einmaligen Weltmeister Nico Rosberg gewöhnt.

Das bedeutet?

Ich persönlich bin ein Fan von Mick Schumacher. Ich halte ihn für einen richtig guten Rennfahrer und für einen sehr netten Kerl. Aber wir müssen erst einmal abwarten, wie erfolgreich nun sein zweites Jahr in der Formel 2 sein wird. Wenn man einen Vergleich zu Michael Schumacher, Lewis Hamilton oder Nico Rosberg zieht, dann muss man ehrlich sagen, dass die in jungen Jahren in den Nachwuchs-Rennserie ein anderes Kaliber waren. Aber jeder entwickelt sich anders und Mick Schumacher hat sich in der Vergangenheit immer sehr gut steigern können, ich sehe ihn auf jeden Fall in der Formel 1.

Über den Experten: Christian Danner (Jahrgang 1958) fuhr zwischen 1985 und 1989 in der Formel 1 und bestritt insgesamt 36 Rennen. Der gebürtige Münchner war auch in anderen Rennserien, zum Beispiel der IndyCar World Series und der DTM, unterwegs. Seit 1998 arbeitet er für RTL als Formel-1-Kommentator und -Experte.
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