Er will Günter Netzer nicht einwechseln, der das dann selbst erledigt: Das vielleicht beste Finale des DFB-Pokals überlebt dessen siegreicher Trainer Hennes Weisweiler nur um zehn Jahre. Als ihn ein tödlicher Herzinfarkt ereilt, ist er gerade wieder Meister geworden und Vater eines kleinen Jungen.
Am Tag vor seinem Tod lebte Hennes Weisweiler in vollen Zügen. Der Meistercoach tobte mit seinem 22 Monate alten Sohn John, trainierte die Grasshopper aus Zürich und aß abends zum Nachtisch Crepe Suzette. "Alles war wie immer", erinnert sich seine Frau Gisela in der Biographie "Hennes". Doch wenige Stunden später, am frühen Morgen des 5. Juli 1983, riss ein Herzinfarkt Weisweiler aus dem Schlaf. Wenig später war er tot - mit nur 63 Jahren.
Sein Grabstein verrät es: Hennes Weisweilers Leben gehörte dem Fußball
Die Nachricht verbreitete sich in der Fußball-Welt in Windeseile - und sorgte für Fassungslosigkeit, egal ob in Mönchengladbach, Köln, Barcelona oder New York. Denn Weisweiler hatte in seinem viel zu kurzen Leben Spuren hinterlassen, egal, wo er wirkte. "Ein Leben dem Fußball", steht auf seinem Grabstein in Lechenich, einem Vorort von Köln. Mehr Worte braucht es nicht.
Mit Stars wie Günter Netzer, Wolfgang Overath, Johan Cruyff, Heinz Flohe oder Giorgio Chinaglia mag der mitunter knorrige Kauz so seine Probleme gehabt haben. "Weisweiler konnte nur mit Spielern, die ihn ohne Wenn und Aber bewunderten", sagte Overath, den Weisweiler 1977 beim 1. FC Köln aussortierte. "Er konnte nicht mit Spielern umgehen, die große Erfahrung und damit eine eigene Meinung haben." Doch alle Stars sprachen und sprechen trotzdem auch stets voller Hochachtung über ihren Hennes, der mit gnadenlosem Offensivfußball die Herzen eroberte. "Weisweiler war sicher ein großer Trainer", so Overath, "man konnte viel von ihm lernen."
Unvergessen ist der 23. Juni 1973, als Overath Weisweiler als Kölner Kapitän und Gegner gegenüberstand und Weisweiler Netzer in dessen letztem Pflichtspiel für Borussia Mönchengladbach in Düsseldorf nicht in der Startelf aufbot. Netzers Mutter war eine Woche vor dem DFB-Pokalfinale gegen Weisweilers Ex-Klub 1. FC Köln gestorben, und Netzer wies Trainingsrückstand auf. Doch in der Pause vor der Verlängerung erkannte Netzer, dass sein Kollege Christian Kulik mit seinen Kräften am Ende war. "Ich spiel' dann jetzt", habe er dem düpierten Weisweiler mitgeteilt. Und in der 92. Minute erzielte Netzer nach einem Doppelpass mit Rainer Bonhof das unvergessenste seiner 153. Pflichtspieltore. Später sagte Netzer mal: "Wenn der Ball im Tor ist, war das immer eine gute Maßnahme", aber auch: "Freiheiten, die sich Günter Netzer einst in Gladbach herausnahm, würde ich heute nicht gestatten."
Titel in Deutschland, den USA und in der Schweiz
Netzer war schon dabei, als Weisweiler die sogenannten "Fohlen" 1965 zum Aufstieg in die Bundesliga führte, und er gewann auch die ersten beiden der Meisterschaften 1970, 1971 und 1975 mit. Danach ging Weisweiler zum FC Barcelona. Bei den Katalanen verlor er den Machtkampf gegen das niederländische Fußball-Genie Johan Cruyff, anschließend sorgte Weisweiler - seit 1976 zurück in Köln - mit dem Double aus Meisterschaft und DFB-Pokal 1978 für den bislang größten Triumph der Vereinsgeschichte.
Weiter ging es zum schillernden US-Klub Cosmos New York. Dort traf Weisweiler unter anderen auf
Dort starb Weisweiler, drei Wochen nach dem Gewinn eines erneuten Doubles, und nur zwei Wochen nach seiner Hochzeit. Er hinterließ eine Lücke. "Als Hennes starb, war Johnny 22 Monate alt - er hat so gut wie keine Erinnerung an seinen Vater", sagte seine 23 Jahre jüngere Frau Gisela einmal und verriet in der Biographie von Klaus Bockelkamp aus dem Jahr 2000: "Hennes wäre gerne Bundestrainer geworden, auch wenn er das öffentlich immer abgestritten hat."
Nur die Trauer um Adenauer trieb mehr Menschen in den Kölner Dom
Die Trauerfeier glich einem Staatsbegräbnis. Mehr als 20.000 Gäste versammelten sich im und um den Kölner Dom. Mehr waren es nur beim Tod von Altkanzler Konrad Adenauer.
Extra aus den USA eingeflogen kam auch Franz Beckenbauer. "Sein plötzlicher Tod hat mich tief berührt", sagte Beckenbauer einmal: "Es ist schon seltsam: Von seinem Tod habe ich morgens in dem Bett erfahren, in dem er in New York geschlafen hat, denn ich habe in dem Apartment gelebt, das er in seiner New Yorker Zeit bewohnt hat."
Weisweilers Andenken lebt bis heute. Die Borussia ist seit 2004 an der Hennes-Weisweiler-Allee 1 zu Hause, in Köln heißt der FC-Geißbock seit jeher Hennes, der DFB bildet seine Trainer an der Weisweiler-Akademie aus. Und ab und an treffen sich noch Gladbacher Altstars, um für einen guten Zweck gegen den Ball zu treten. Ihr Name ist Programm. Es ist die Weisweiler-Elf. (sid/hau)
Verwendete Quellen:
- Redelings, Ben: Das neue Buch der Fußball-Sprüche (2020)
- Schmidt, Hermann: Wolfgang Overath - Der Spielmacher (2016)
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