Nach der peinlichen Niederlage von Borussia Dortmund gegen den FSV Mainz 05 stellt sich erneut die Frage, ob Trainer Lucien Favre die Mannschaft nicht ausreichend motivieren kann.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Christopher Giogios dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Vor nicht ganz einem Monat ging nach der 0:1-Niederlage gegen den FC Bayern bei Borussia Dortmund mal wieder eine kleine Trainerdiskussion los. Angefacht wurde sie durch eine etwas unglückliche formulierte Aussage von Lucien Favre, man werde nach der Saison über die nicht erfüllten Erwartungen an ihn und seine Mannschaft sprechen. So schnell diese Diskussion begann, so zügig wurde sie von ihm und den BVB-Verantwortlichen auch wieder im Keim erstickt.

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Nachdem der BVB sich in den folgenden Spielen eigentlich sportlich wieder gefangen hatte, warfen vor allem die letzten zwei Begegnungen wieder Fragezeichen auf. Gegen Fortuna Düsseldorf gewann man noch glücklich durch ein Last-Minute-Tor. Gegen Mainz 05 verlor man zuhause mit 0:2. Drei schmeichelhafte Punkte gegen zwei Abstiegskandidaten – das kann und darf nicht der Anspruch der Borussen sein.

Man möchte einwenden, dass es in dieser merkwürdigen Corona-Saison seit der Niederlage im Spitzenspiel gegen die Bayern für die Dortmunder um nicht mehr viel geht: die Champions-League-Qualifikation ist eingetütet, die Meisterschaft kein Thema mehr. Aber gerade das zeigt, dass der BVB vor allem im Spiel gegen Mainz ein Motivationsdefizit aufwies. Sportliche Konkurrenten der Mainzer im Abstiegskampf, allen voran Werder Bremen, weisen zurecht darauf hin, dass der Wettbewerb hierdurch verzerrt wird.

Gewinnermentalität und der Blick nach München

Aber auch unabhängig von externer Kritik muss sich der BVB einmal mehr die Frage stellen, ob die Mannschaft in solchen Spielen – aber auch in den wichtigen Spielen wie gegen Bayern, bei den CL-Spielen in Paris, oder im DFB-Pokal bei Werder Bremen – die richtige Einstellung auf den Platz bringt. Anders gefragt: Kann Lucien Favre diese sportlich hochtalentierte Mannschaft ausreichend motivieren?

Vor allem der Blick nach München zeigt einen deutlichen Unterschied. Klar: Letztlich ging die Meisterschaft mal wieder an den Verein, der mit Abstand die größten finanziellen Möglichkeiten hat. Das kann und darf man bei der Bewertung nicht außer Acht lassen. Aber das muss man dem FC Bayern lassen: Sie liefern in den entscheidenden Momenten ab. Und das, obwohl der FCB die Schale Jahr für Jahr nach Hause bringt. Auch der Blick in den Sommer 2019 zeigt: Die Dortmunder haben den Mund erst recht voll genommen, was in Anbetracht von Verpflichtungen wie Mats Hummels und Julian Brandt nicht unberechtigt war. Trotzdem trat man dann in den entscheidenden Momenten nicht wie eine Mannschaft auf, die eine totale Gewinnermentalität versprüht.

Favre und die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Und damit kommen wir zum Thema Lucien Favre. Der hat in dieser Saison zweifellos sehr viel richtig gemacht, wie die dringend notwendige taktische Umstellung auf die Dreierkette, die dem BVB wieder die notwendige defensive Stabilität verlieh. Wie Favre aber die teilweise leblosen Vorstellungen des BVB verkauft, wirft Fragen auf. Immer wieder betont der Schweizer, dass man nicht jedes Spiel mit zwei, drei Toren Unterschied gewinnen könne und auch ein 1:0-Sieg manchmal ausreichen müsse. So sehr das auch zutreffend mag, wird doch deutlich, dass Favre nicht für die unbedingte Gier nach Siegen steht. Er ist vielmehr ein cleverer Taktiker, dessen Qualitäten eher nicht darin liegen, eine Mannschaft auf den Platz zu schicken, die bis in die Haarspitzen motiviert ist. Passend sein Kommentar zum Spiel gegen Mainz: "Wir haben den Gegner unterschätzt".

Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Und selbst wenn man seinem Credo folgen würde, dann zeigt sich, dass der BVB es eben auch oftmals gegen spielerisch unterlegene Mannschaften nicht verstand, die von ihm angesprochenen knappen Siege zu erringen. Somit klafft nicht nur in der Einstellung, sondern auch in der sportlichen Bewertung eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Schließlich bleibt das bekannte Problem: Man muss erst einmal jemanden finden, der es besser macht. Favre bringt immerhin den besten Punkteschnitt aller BVB-Trainer mit. Ein weiterer Punkt: Einstellung, Gier, Siegermentalität - all das muss von einem Trainer vorgelebt werden. Aber man muss eben auch die Spieler in die Verantwortung nehmen, die diese Attribute auf den Platz bringen müssen. Der BVB wird in der Sommerpause wieder vor grundsätzlichen Fragen nach der Ausrichtung des Vereins stehen, sollte man es mit der Meisterschaftskampfansage ernst meinen.

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