Vor dem Bundesliga-Spitzenspiel des FC Schalke gegen den FC Bayern spricht unsere Redaktion mit dem früheren S04-Trainer Jens Keller über Unruhe in Gelsenkirchen, Herausforderungen für Philippe Coutinho und Ratschläge an Niko Kovac.

Ein Interview

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Er hielt sich zäh und beharrlich: Jens Keller beim FC Schalke. Der 48-jährige Schwabe ist Beleg dafür, dass man in der Bundesliga erfolgreich arbeiten kann, und dennoch seinen Posten räumen muss.

FC Schalke empfängt den FC Bayern

Königsblau führte er als Trainer einst zweimal in die Champions League, wovon der Verein in dieser Saison nur träumen kann. Vor dem Samstagabendspiel seines Ex-Klubs gegen den FC Bayern (18:30 Uhr, bei uns im Liveticker) unterhielt sich der Fußballlehrer mit unserer Redaktion – über Leadertypen, Weltstars und Kreuzbandrisse.

Herr Keller, Sie wurden zuletzt mit Erzgebirge Aue in Verbindung gebracht. Oder denken Sie wieder an die Bundesliga?
Jens Keller:
Fußball ist nicht nur Geschäft, sondern auch mein Hobby. Deswegen verfolge ich die Bundesliga ständig. An den Gerüchten mit Erzgebirge Aue ist aber nichts dran.

Ihr mittlerweile sechster Nachfolger beim FC Schalke, David Wagner, wird mit Lob überhäuft. Dabei hat er noch nichts erreicht in Gelsenkirchen. Ist das typisch Königsblau?
Es wird mal wieder Zeit, dass bei Schalke positiv gedacht wird. Es gab die letzten Jahre viele negative Einflüsse. Ich finde es gut, wenn man ihm eine reelle Chance gibt und rund um den Verein eine positive Stimmung erzeugt wird.

Keller: "Tönnies hat einen Fehler gemacht"

Zuletzt gab es aber mächtig Unruhe um Clemens Tönnies, nachdem sich der Aufsichtsratsboss abfällig über Afrikaner geäußert hatte.
Sicherlich war das sehr unglücklich. Er hat einen Fehler gemacht. Aber das hat nichts mit Schalke und der Mannschaft zu tun.

Gerne wird im Profifußball die Phrase bemüht, dass das Drumherum ausgeblendet werde. Geht das in solch einem Fall überhaupt?
Clemens Tönnies hat ja nicht unmittelbar mit der Mannschaft zu tun. Er ist nicht jeden Tag in der Kabine. Sicher wird über sowas gesprochen. Aber ich glaube nicht, dass die Spieler das so sehr beschäftigt, dass sie ihre Leistung nicht abrufen können.

Dafür ist Wagner zuständig. Wie denken Sie über den neuen Trainer von S04?
David ist ein ganz ruhiger, sympathischer Kerl. Wir haben zusammen den Fußballlehrer gemacht. Er sagt seine Meinung, steht klar dahinter.

"Der FC Bayern hat kein gutes Spiel gemacht"

Und spielt Umschaltfußball, der den Bayern gar nicht passt.
Wenn man gegen die Bayern nur hinten reinsteht, kann man darauf warten, bis man ein Tor bekommt. Schalke muss mutig sein, das Spiel im eigenen Stadion in die Hand nehmen. Der FC Bayern hat gegen Hertha nur unentschieden gespielt, kein gutes Spiel gemacht.

Warum?
Ich war im Stadion. Sie haben wenig zwingende Chancen herausgespielt, waren im letzten Drittel nicht so gefährlich, dass man sagt, sie müssten drei, vier Tore machen.

An der Säbener Straße herrschte zuletzt leichte Nervosität. Joshua Kimmich soll einem "Bild"-Bericht zufolge Coach Niko Kovac in der Kabine kritisiert haben. Hat man als Trainer solch einen Lautsprecher gerne in der Mannschaft?
Ob das so war, kann ich nicht sagen. Grundsätzlich werden Probleme mit dem Trainer aber unter vier Augen angesprochen, schon gar nicht öffentlich. Joshua Kimmich ist ein Leader, wächst in diese Rolle hinein. Man redet immer, es braucht Anführer, Leute, die eine Meinung haben.

Ex-Schalke-Coach: "Coutinho hat das Auge"

Und sein neuer Kollege Coutinho ist ein Spieler, wie ihn die Bundesliga lange nicht gesehen hat?
Um Gottes Willen! Wir haben klasse Spieler. Arjen Robben und Franck Ribéry waren lange da, Robert Lewandowski ist ein Weltklasse-Spieler, in Dortmund sind mehrere Weltklasse-Spieler. Aber er tut der Bundesliga gut, hat in Liverpool und in Barcelona bewiesen, dass er enorme Qualitäten hat.

Was nicht zwangsläufig heißt, dass er auch hierzulande funktioniert...
Es ist ein neues Land, die deutsche Mentalität muss man erst erlernen. Hier gelten Werte, die man so in anderen Ländern vielleicht nicht kennt. Aber: Fußball wird, ob in England, Spanien oder Deutschland, immer elf gegen elf gespielt.

Er hat das Auge, spielt feine Bälle, ist einer, der immer wieder ins Zentrum hineinzieht und mit seinem starken rechten Fuß torgefährlich ist. Das passt zu einer Mannschaft, die mit sehr hohen Außenverteidigern spielt.

Die Frage wird sein, wer bei dem neuen Überangebot weichen muss – Thomas Müller?
Bayern München wird mit dem DFB-Pokal und der Champions League sehr viele Spiele haben. Deshalb ist es wichtig, einen breiten Kader zu haben. Es gibt Verletzungen und Sperren. Wenn der FC Bayern seine Ziele erreichen will, braucht es 18, 19 Spieler mit enormer Qualität. Da muss keiner weichen. Alle Spieler werden genügend Einsatzzeiten bekommen.

"Es wäre ein Risiko, auf Sané zu setzen"

Die Bayern wollten auch einen einstigen Schalker Schützling von Ihnen unbedingt verpflichten: Leroy Sané. Doch er hat sich einen Kreuzbandriss zugezogen.
Es wäre in der jetzigen Situation ein Risiko, auf Sané zu setzen und Geld für ihn auszugeben, und dann hat man ein halbes Jahr lang keinen Spieler. Nichtsdestotrotz kommen heute Spieler nach Kreuzbandrissen wieder zurück, und zwar mit derselben Qualität. Er ist ein junger Spieler. Wenn man die Zeit und die Möglichkeiten hat, Sané zu bekommen, würde ich es machen.

Sané galt – vor seiner Verletzung – schon als kommender Weltstar.
Leroy hat ein Wahnsinns-Tempo mit Ball und auch ohne Ball. Er läuft die Schnittstellen enorm gut an, weiß, wann er reinlaufen muss. Er hat einen feinen linken Fuß, spielt sehr gute Pässe. Ein toller Spieler. Aber als Weltstar muss man schon einiges gewonnen haben.

Keller: Kovac darf sich nicht verbiegen lassen

Die Konkurrenz wäre in München ohnehin enorm. Kovac muss alle Stars zufriedenstellen – und wirkte zuletzt strenger. Geht es für einen Trainer irgendwann nicht mehr anders?
Das ist typabhängig. Man darf sich nie verbiegen lassen. Ob er strenger ist, kann ich nicht beurteilen. Er hat bisher gegen alle Widerstände einen tollen Job gemacht, wurde Meister und Pokalsieger.

Superstars darf man nicht mit Härte begegnen. Ihnen muss man Spaß und Freude vermitteln, sie mitnehmen. Ich habe den Eindruck, dass Niko nah an der Mannschaft dran ist.

Zur Person: Jens Keller spielte in der Bundesliga für den VfB Stuttgart, den TSV 1860 München, den VfL Wolfsburg, den 1. FC Köln und Eintracht Frankfurt. Nach seiner Laufbahn als Spieler stieg der heute 48-Jährige ins Trainergeschäft ein und coachte den VfB Stuttgart (2010), den FC Schalke (2012 – 2014) und Union Berlin (2016 – 2017). Mit Königsblau erreichte er zweimal in Serie die Champions League. Seine bisher letzte Station war der FC Ingolstadt in der Zweiten Liga (bis April 2019).
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