Auf den ersten Blick sieht die Bundesliga-Saison nicht so schlecht für den Rekordmeister aus. Aber das haben vor Thomas Tuchel schon ganz andere Bayern-Trainer gedacht – und mussten vorzeitig gehen.

Eine Kolumne
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Erstens kommt es anders - und zweitens anders, als man denkt. Großspurig habe ich im Podcast die Prognose gewagt, dass Bayern München Werder Bremen mit 5:0 aus der Allianz Arena schießt. Als am Sonntagnachmittag das 0:1 feststand, also der Auswärtssieg von Werder Bremen in München, fragte ich mich schon: Wie konnte das passieren? Zumindest bin ich mit meiner Frage nicht alleine.

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In einem Nebensatz legte Trainer Thomas Tuchel vor der Blamage das Geständnis ab, dass er nicht wüsste, wie man so trainiert, dass eine Mannschaft "hungrig" ist. Das Ergebnis sah man hinterher: Das teambildende Trainingslager unter der Woche brachte nicht die erhoffte Wirkung. Der Rekordmeister hing, um es in der Boxer-Sprache zu sagen, "in den Seilen". Keine Spur von Gier.

Die hatte man am Tag zuvor bei Tabellenführer Bayer 04 Leverkusen gesehen. Die Mannschaft von Trainer Xabi Alonso lag gegen RB Leipzig zweimal hinten und gewann am Ende doch - durch ein Tor in der Nachspielzeit (zum 3:2). Wie schon eine Woche zuvor beim Gastspiel in Augsburg (zum 1:0). So geht Meisterschaft: Die Spieler in Leverkusen sind gierig, endlich die Silberschüssel heimzubringen.

Gier kann man sehr wohl in eine Mannschaft bringen:

  • mit treffender Kaderplanung (€ 80,8 Mio. investiert bei € 12,6 Mio. Saldo),
  • mit einem erfahrenen und in der Führung modernen Trainer (Xabi Alonso),
  • mit einer besonnenen Führung (Fernando Carro & Simon Rolfes).

Tuchel in der Bredouille?

Nun muss man fair zu Bayern München sein. Die Mannschaft hat seit zehn Jahren alle Meisterschaften gewonnen, zweimal die Champions League, etliche DFB-Pokale und nebenbei Weltpokal und Reputation. Dass da die Konzentration irgendwann nachlässt, der Heißhunger, ist nicht verwunderlich. Und die zweite Niederlage nach 17 Bundesliga-Spieltagen bedeutet nicht den Weltuntergang.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Bei Bayern München sind Trainer schon wegen kleinerer Vergehen rausgeflogen. Thomas Tuchel hat einen Torjäger, der die Liga in Grund und Boden schießt (22 Tore Harry Kane), einen Kader mit einer Milliarde Euro Marktwert und deshalb keine Ausrede, warum er trotzdem sieben Punkte hinter Leverkusen liegt (vorm Nachholspiel gegen Union Berlin).

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Nicht nur das. Wenn er im Supercup untergeht (gegen RB Leipzig) und im DFB-Pokal rausfliegt (in Saarbrücken), muss er zur Kompensation in der Champions League mindestens das Halbfinale erreichen und nebenbei die Meisterschale in die Höhe halten. So ist der FC Bayern: knallhartes Leistungsprinzip. Erklärungen werden als Ausreden gewertet und mit Schweigen quittiert.

Wenn Tuchel jetzt seine Spieler in den Senkel stellt, wie die "Bild"-Zeitung schreibt ("zerlegt seine Bayern-Stars"), ist das ein gefährliches Spiel. Die wissen, wie man sich wehrt und dem Trainer den Nerv raubt. Wir dürfen uns mit Popcorn genüsslich aufs Sofa zurückziehen und die nächste Episode in der Dramaverfilmung beim FC Hollywood einschalten. Die wird kommen, gar keine Frage. Jetzt wird's heiter!

Über den Autor

  • Pit Gottschalk ist Journalist, Buchautor und Chefredakteur von SPORT1. Seinen kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit'ch erhalten Sie hier.
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