Hamburg nennt sich selbst das "Tor zur Welt". 1992 landete ein 15-jähriger Junge in der imposanten Hafenstadt: Hasan Salihamidzic war dem Krieg in seiner bosnischen Heimat entkommen. Knappe 30 Jahre später bestimmt dieser Junge, den alle nur "Brazzo" rufen, bei einem der besten Fußballklubs der Welt darüber mit, für wie viele Millionen er welche Stars verpflichtet.

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Hasan Salihamidzic ist einer der bekanntesten Funktionäre der Bundesliga, nachdem der gebürtige Bosnier zuvor einer der bekanntesten Spieler der Bundesliga gewesen war. Als Salihamidzic aber vor knapp 30 Jahren in Deutschland ankam, war er nur einer unter vielen, die in einer Flüchtlingsstatistik auftauchten.

"Ich war 15, als mein Vater mich nach Split brachte und dort in den Bus nach Deutschland setzte. Allein", erzählte Salihamidzic im Herbst 2015 der "Bild"-Zeitung. Als seinerzeit die Flüchtlingskrise in Deutschland das Land in Befürworter und Ablehner von entsprechender Hilfe teilte, war Salihamidzic nicht als Gesprächspartner zu irgendeinem Transfergerücht beim FC Bayern München gefragt. Salihamidzic sollte der Flüchtlingsproblematik ein Gesicht geben. Er sollte erzählen, was er selbst erlebt hatte.

Salihamidzic: "Ich weiß, wie sich Flüchtlinge fühlen"

Salihamidzic kam im Dezember 1992 in einem ihm unbekannten Land an, dessen Sprache er nicht beherrschte. "Ich kann einigermaßen nachempfinden, wie sich die geflohenen Menschen heute fühlen", sagte der spätere Bundesligastar im Gespräch mit der "Bild" einen immergültigen Satz. Und er fügte an, zu glauben, dass es "die Menschen heute schwerer" hätten, wenn sie ihr Wohl in Deutschland suchen.

In einem Interview in der "Sport Bild" beschrieb Salihamidzic die Ausnahmesituation für Flüchtlinge noch deutlicher: "Man wird plötzlich aus seinem normalen Umfeld, aus seinem Leben gerissen, kommt irgendwo hin, man weiß nicht, wie es dort ist, was aus einem wird, man hat nichts mehr, außer die Kleider am Leib und hofft, das Fremde ihnen die Hand reichen. Man ist dort Ausländer."

Um das "Bürschchen" aus Bosnien, wie sein Spitzname "Brazzo" ins Deutsche übersetzt lautet, kümmerte sich in Hamburg erst eine befreundete Familie - und dann der Verein.

Brazzos Schicksal erinnert an Bakery Jattas

"Ich durfte ein Probetraining machen, kam nach sechs Monaten ins HSV-Internat", erinnerte sich Salihamidzic. Vergleichbar mit dem späteren Fall Bakery Jattas, der heute im Profikader des Hamburger SV seinen festen Platz hat, fasste Salihamidzic dank seiner fußballerischen Begabung in Deutschland Fuß. Daheim in Bosnien hatte er für den FK Velež Mostar gespielt und das Fußballspielen als Zehnjähriger in seiner Geburtsstadt beim FK Turbina Jablanica begonnen.

Seinerzeit herrschte im Vielvölkerstaat Jugoslawien noch Frieden. Der aber hielt nicht. Im Frühjahr 1992 begann es für Salihamidzic und dessen Familie, brenzlig zu werden. "Im Mai kamen die Frontlinien des Krieges bis auf 20 Kilometer an meine Heimatstadt heran", erzählte Salihamidzic im Herbst 2015 im "Sport Bild"-Interview.

Nicht nur, dass der Heranwachsende nicht mehr Fußball spielen konnte. Er habe zudem kellnern müssen, "um meine Familie zu ernähren. Meine Mutter war Lehrerin, mein Vater Polizist. Aber in der Zeit reichte das nicht mehr für uns."

Nur der Fußball bot dem Kapitän der bosnischen U15-Nationalmannschaft die Möglichkeit, dem Morden und dem Dienst an der Waffe zu entgehen. "Ein Freund meines Vaters, Herr Halilhodzic, konnte mich zum HSV bringen. Das war die Voraussetzung für meine Flucht."

Sie begann mit einer Autofahrt nach Kroatien. Von dort ging es mit dem Bus weiter bis nach Dortmund. "Die Grenzen waren zu", so Salihamidzic. Doch er hatte Glück. "Wir kamen durch."

Felix Magath wird sein Förderer

In Hamburg hatte er nochmals Glück. Salihamidzic bestand das Probetraining, fand Aufnahme in die U19 des HSV und landete schließlich beim damaligen Amateurtrainer Felix Magath.

Die einstige Spielerlegende war 1986 als Manager Nachfolger des erfolgreichen Günter Netzer geworden, hatte den HSV aber 1988 für fünf Jahre verlassen. Nach seiner Beförderung zum Cheftrainer der Profis nahm Magath Salihamidzic auch dorthin mit.

Beim 2:1 in Kaiserslautern startete am 13. April 1996 die Bundesligakarriere des damals 19 Jahre alten Flüchtlings aus Bosnien. Salihamidzic legte sogleich das zwischenzeitliche 2:0 für seinen Kollegen Harald Spörl auf.

"Über Felix Magath lasse ich absolut nichts kommen", sagte Salihamidzic im Januar 2012 in der Münchner "Abendzeitung". Ein halbes Jahr zuvor hatte Magath seinen inzwischen 34 Jahre alten Schützling aus Turin in die Bundesliga zum VfL Wolfsburg zurückgeholt. "Ich kenne ihn lange und habe ihm sehr viel zu verdanken."

Nach Ausflügen zu Sky und dem ZDF, kehrte Salihamidzic im Sommer 2017 abermals zurück. Diesmal zum FC Bayern München. Für den Rekordmeister hatte der auf dem Platz nimmermüde Allrounder "Brazzo" zwischen 1998 und 2007 365 Pflichtspiele bestritten und sich einen Kultstatus bei den Fans erworben.

Tor im Elfmeterschießen des Champions-League-Endspiels 2001

Sportlicher Höhepunkt für Salihamidzic bei den Bayern war der Gewinn der Champions League im Endspiel von Mailand 2001 gegen den FC Valencia. "Das war das wichtigste Spiel meiner Karriere", schwärmte Salihamidzic im April 2006 im Fußball-Magazin "Rund". "Dieser Titel hat mein Leben verändert." Dieser Titel war dem Klub zwei Jahre zuvor, mit Salihamidzic, in einem unvergessenen Endspiel gegen Manchester United durch ein 1:2 in der Nachspielzeit aus den Händen geglitten: "Das war ganz bitter gewesen."

Gegen Valencia in Mailand bewies Salihamidzic Nerven aus Stahl. Die Entscheidung fiel erst im Elfmeterschießen. "(Paulo, Anm. d. Red.) Sergio hatte den ersten verschossen. Ich musste unbedingt treffen." Als sei nichts einfacher, sei er angelaufen und "habe das Ding reingemacht. Am Ende hieß es 6:5."

Es sei "ein unglaubliches Glücksgefühl" gewesen, "den Pokal in meinen Händen zu halten. Neun Nächte hintereinander haben wir gefeiert."

Heute jagt Salihamidzic als Funktionär dem Henkelpott und einem vergleichbaren Glücksmoment nach. Er merkt dabei, dass seine Meriten aus der Spielerzeit nichts mehr zählen. Salihamidzic wird nur noch daran gemessen, ob die von ihm ausgesuchten Spieler und Trainer zum FC Bayern München passen und funktionieren. Dieses Funktionieren bemisst sich am Ausstoß an Silberware am Saisonende.

Die 30. Meisterschaft ist unter Dach und Fach

In der zu Ende gehenden Saison ist die Pflicht bereits zur Hälfte erledigt, die 30. Meisterschaft seit dem 1:0 in Bremen am 32. Spieltag eingefahren. Der 20. Gewinn des DFB-Pokals soll im Endspiel am 4. Juli in Berlin gegen Bayer Leverkusen folgen. Drei Tage vorher wird Salihamidzic zum Sportvorstand der FC Bayern München AG befördert.

Der dritte Triumph in der Champions League nach 2001 und 2013 soll die Saison nach dem Wunsch des einstigen Bürschchens, das aus Bosnien kam, krönen. Dieses Triple gelang dem dominierenden deutschen Verein in dessen ruhmreicher Historie bisher nur 2013 - in der Saison nach Salihamidzics Karriereende beim VfL Wolfsburg.

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