Borussia Dortmund lässt die Saison offenbar nur noch austrudeln. Das wirft erneut die Frage nach der Mentalität der Mannschaft auf und taucht eine an sich gute Saison in ein schlechtes Licht.
Zu den wenigen interessanten Dingen der Post-Corona-Phase in der Bundesliga gehört sicherlich der Umstand, dass der aufmerksame Fan seitdem so ziemlich alles haarklein mitbekommt, was dort unten so gesprochen wird. Das fängt bei der Kommunikation zwischen Trainern und Schiedsrichtergespann an und hört da auf, wo sich Innenverteidiger und Mittelfeldspieler über die letzten Abwehraktion unterhalten. Oder beide vom verärgerten Torhüter zurechtgestutzt werden.
Und wieder geht‘s um Mentalität
Das 0:2 gegen Abstiegskandidat Mainz war nicht einfach nur eine Niederlage für den BVB: Das Spiel riss alte Wunden auf, die doch schon lange ausgeheilt schienen. Zwölf von 14 Bundesligaspielen hatte die Mannschaft von
Im Herbst hatte der Klub mit der unangenehmen Mentalitätsfrage zu kämpfen. Obwohl niemand so recht umreißen kann, was das eigentlich sein soll: "Mentalität". Jedenfalls zeigte sich die Mannschaft damals gleichermaßen anfällig für Rückschläge wie dünnhäutig bei der Suche nach Erklärungen. Im Gedächtnis geblieben ist unter anderem die brüske Reaktion von Kapitän Marco Reus auf ein paar kritische Fragen. Die Umstellungen von Trainer Favre, die konzentriertere Arbeit der Mannschaft und die resultierenden positiven Ergebnisse brachten den BVB wieder auf Kurs, sogar die Meisterschaft schien ein erreichbares Ziel, oder wenigstens eine der Vorschlussrunden in der Champions League, oder das Pokalfinale in Berlin. Oder am besten alles zusammen.
Aber während in der Königsklasse Paris im Achtelfinale die Endstation war, flog Dortmund in Bremen im Februar aus dem DFB-Pokal. Gegen einen Gegner, der davor gegen einen anderen Erstligisten genau ein Spiel vor eigenem Publikum gewinnen konnte, irgendwann Anfang September. Dortmund hatte den Gegner damals unterschätzt. Es war eine letzte Zuckung des Schlendrians, ein letzter Warnschuss. Bis zur Niederlage im Spitzenspiel gegen die Bayern vor ein paar Wochen lief dann fast alles wie am Schnürchen - seitdem ist aber die Luft raus. Mit der schwindenden Aussicht auf den Titel hat sich in Dortmund wieder diese Gleichgültigkeit breitgemacht, die so schädlich ist auf dem Weg zu höheren Zielen.
"Das vielleicht schlechteste Spiel zu Hause"
„Wir stehen auf Platz zwei und werden alles daran setzen, diesen Platz zu verteidigen und so schnell wie möglich die Qualifikation für die Champions League zu erreichen. Wir wollen am Ende auf Platz zwei stehen", sagte Sportdirektor Michael Zorc nach dem erst in der zweiten Halbzeit herausgespielten Kantersieg beim wenig bundesligatauglichen SC Paderborn. Die beiden 1:0-Siege gegen Hertha und Düsseldorf - einer mühsam erarbeitet, der andere überaus glücklich - ließen schon einen gewissen Spannungsabfall erahnen. Gegen Mainz drückte diese Entwicklung dann voll durch.
Nun ist mit der feststehenden Qualifikation für die Champions League das Minimalziel zwar schon erreicht, den Spielbetrieb sollte die Mannschaft deshalb aber nicht einstellen. "Wir haben definitiv zu wenig investiert. Die Mainzer wollten unbedingt gewinnen und sind insgesamt neun Kilometer mehr gelaufen. Von uns war es viel zu wenig, das müssen wir uns ankreiden", sagte der Leiter der Lizenzspielerabteilung Sebastian Kehl bei "Sky". Und Thorgan Hazard wollte "das vielleicht schlechteste Spiel von uns zu Hause" gesehen haben.
Schon mehrmals abgeschenkt
In den Debatten um die entrückten Bayern und deren Vorherrschaft in der Bundesliga mischt sich auch immer der Blick auf die Kontrahenten der Münchener. Während die Bayern scharf und gierig bleiben, unter Hansi Flick von Sieg zu Sieg eilen, sich auch im Hinblick auf die anstehenden Belastungen im Pokal und in der Königsklasse nicht schonen und ziemlich sicher in den verbleibenden beiden Bundesligaspielen die 100-Tore-Marke werden knacken wollen, straucheln der BVB, aber auch Leipzig oder Leverkusen in schöner Regelmäßigkeit. Das dürfte in erster Linie eine Frage der Qualität sein, hat aber auch etwas mit Haltung und Widerstandsfähigkeit zu tun.
Oft genug rückte Favre dabei in den Mittelpunkt der Kritik. Dem Schweizer wird latent die Fähigkeit abgesprochen, eine Mannschaft auch mal emotional zu entzünden, sie über ihre Grenzen hinaus zu treiben, ein bisschen auch Rumpelstilzchen zu sein an der Seitenlinie. Aber das weiß man alles schon sehr lange. Ebenso war der BVB in einigen Jahren zuletzt immer mal wieder eher negativ damit aufgefallen, in der Schlussphase einer Saison nicht mehr bei der Sache zu sein. Vor zwei Jahren verloren die Borussen am vorletzten Spieltag fast gegenwehrlos im letzten Heimspiel, damals ebenfalls gegen das vom Abstieg bedrohte Mainz. Es war der erste Mainzer Sieg überhaupt in Dortmund.
Vor sieben Jahren durfte 1899 Hoffenheim, ausgerechnet, im Westfalenstadion am letzten Spieltag noch den Kopf aus der Schlinge ziehen. Die Leidtragenden waren Düsseldorf, das damals absteigen musste und wenig später der VfL Wolfsburg, der in die Relegation musste. Diesmal kommen die Wehklagen erneut aus Düsseldorf und Bremen - unabhängig davon, dass jeder dieser Klub für sein Schicksal höchstselbst verantwortlich ist. Ein fader Beigeschmack bleibt trotzdem.
Am kommenden Wochenende reist die Borussia nach Leipzig. Das geht es im direkten Duell um Platz zwei und damit die Vizemeisterschaft. Der Beste hinter den Bayern zu sein, das wäre doch immer noch ein guter Antrieb. Und es geht gegen das wenig geliebte Brause-Konstrukt ja auch ums Prestige. Vielleicht kann sich Dortmunds Mannschaft ja im eigenen Interesse noch einmal aufraffen.
Quelle:
- "Sky.de": Nagelsmann über Vize-Titel: "Ist mir scheißegal" - auch Kehl bedient
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