Robert Lewandowski spielt die wohl beste Saison seiner Karriere. Als erster Bundesligaspieler seit Jahrzehnten könnte er den Titel Weltfußballer des Jahres gewinnen. Dabei spielt er so mannschaftsdienlich wie vielleicht noch nie. Gerade deshalb hätte er die Auszeichnung in diesem Jahr verdient.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Steffen Meyer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Messi, Messi, Messi, Ronaldo, Ronaldo, Messi, Ronaldo, Ronaldo, Modric, Messi. Ein Blick auf die Weltfußballer der vergangenen zehn Jahre zeigt, wie sehr zwei herausragende Spieler den internationalen Fußball in der letzten Dekade beherrscht haben. Lionel Messi und Cristiano Ronaldo. Einzig Luka Modric, der 2018 mit Real Madrid die Champions League gewann und mit Kroatien ins WM-Finale einzog, gelang es ein einziges Mal, die Phalanx zu durchbrechen.

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Der Titel Weltfußballer des Jahres ist die wichtigste individuelle Auszeichnung, die es im Fußball gibt. Die Wahl für das Jahr 2020 ist zwar noch einige Zeit hin, doch Bayern-Coach Hansi Flick brachte nach dem gewonnenen DFB-Pokalfinale gegen Bayer Leverkusen und 51 Pflichtspieltoren schon mal mit Nachdruck den Namen Robert Lewandowski ins Spiel. "Man kann schon mal darüber nachdenken, einen Spieler aus der Bundesliga zum Weltfußballer zu machen. Warum nicht? Er hat da alle Voraussetzungen." Auch Lothar Matthäus, der den Ballon d'Or 1990 selbst gewann, sprach sich zuletzt für den polnischen Bayern-Stürmer aus.

Lewandowski spielt inzwischen mannschaftsdienlicher

Seit einigen Jahren gibt es gleich zwei Weltfußballer-Titel. Zum einen den Ballon d'Or als Auszeichnung für den besten Fußballer der Welt unter der Regie des Fachmagazins France Football. Vergeben wird er von einer Journalisten-Jury, bestehend aus je einem Vertreter aus den 53 Mitgliedsverbänden der UEFA sowie 53 Juroren aus den Ländern derjenigen außereuropäischen Verbände, die an mindestens einer Weltmeisterschaftsendrunde teilgenommen haben. Zum anderen gibt es den FIFA Weltfußballer. Bei der Wahl der FIFA sind Journalisten, Fans auf der FIFA-Website, die Cheftrainer sowie die Spielführer aller Nationalteams stimmberechtigt. Durchaus verwirrend. In den letzten Jahren gingen beide Titel aber jeweils an den gleichen Spieler.

Es ist schon etwas paradox, dass Lewandowski ausgerechnet in dem Jahr für einen solchen Individualtitel gehandelt wird, indem er so selbstlos und mannschaftsdienlich spielt wie noch nie. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich der ehrgeizige Angreifer öffentlich mit Teamkollegen um die Ausführung von Freistößen oder Elfmetern stritt. Im Pokalfinale ließ er vor dem 1:0 David Alaba den Vortritt für einen Freistoß aus optimaler Position. Und in der Hinrunde schenkte er dem damals frisch nach München gewechselten Coutinho einen Elfmeter. Das sind nur zwei kleine Momente in einer langen Saison, doch sie stehen sinnbildlich für einen gereiften, ja gelösten Lewandowski.

Lewandowski und Müller ergänzen sich perfekt

Auch die Fans des FC Bayern, die den Polen lange Zeit zwar fußballerisch respektierten, aber ihn auch immer mit einer gewissen Distanz beäugten, haben Lewandowski inzwischen ins Herz geschlossen. Dass der frühere Dortmunder jahrelang mit einem Wechsel zu Real Madrid kokettiert hat, stieß vielen Bayern-Fans bitter auf. Der FC Bayern wirkte nur wie eine Zwischenstation. Auch die Zeit scheint jedoch endgültig vorbei zu sein. Mit 31 Jahren wirkt Lewandowski in München mit sich im Reinen. Das spürt man in Interviews, in der Körpersprache, im Umgang mit den Teamkollegen, aber vor allem auch in seinen Leistungen auf dem Feld. 34 Bundesliga-Tore sind die beste Ausbeute eines Bundesliga-Spielers seit 1973. Hinzu kommen bisher elf Treffer in sechs Champions-League-Partien und sechs Buden im Pokal. Unglaubliche Zahlen.

Fast noch wichtiger als die Tore ist jedoch Lewandowskis deutlich verbesserte Einbindung ins Münchner Spiel. Noch nie spielte er im Bayern-Trikot so viele Pässe wie in dieser Saison (24,7 pro Spiel). Und das, obwohl der Münchner Ballbesitz insgesamt deutlich geringer ist als zum Beispiel unter Pep Guardiola. Lewandowski ist beweglich, anspielbar und weicht immer wieder aus dem Sturmzentrum heraus, um Platz zu schaffen oder das Spiel aus tieferer Position zu unterstützen. Vor allem das Wechselspiel mit Thomas Müller ist inzwischen eine echte Waffe geworden. Die beiden ergänzen sich exzellent und schaffen es allein durch die abgestimmten Laufwege, tief stehende Gegner aus der Balance zu bringen und somit auszuhebeln. Auch die Arbeit gegen den Ball hat bei Lewandowski - wie bei der gesamten Mannschaft unter Flick - noch einmal einen Sprung gemacht.

Die Champions League wird entscheiden

Die Zahlen stimmen also. Nicht mal Messi und Ronaldo können da derzeit mithalten. Und doch wird am Ende alles am Abschneiden in der Champions League hängen. Zur Erinnerung: Anfang August steht gerade einmal das Rückspiel im Achtelfinale an. Danach soll der Sieger in einem Turnier ermittelt werden. Nur wenn Lewandowski auch hier einen bleibenden Eindruck hinterlässt und mit dem FC Bayern weit kommt, rückt er auch offiziell auf den Radar für die Weltfußballer-Wahl. Die Dauerbrenner Ronaldo und Messi sowie Liverpools Virgil van Dijk, der im Vorjahr in beiden Wahlen nur knapp Zweiter wurde, dürften derzeit noch etwas mehr Unterstützung genießen. So sind in einem Jahr ohne Welt- oder Europameisterschaft nun mal die Mechanismen.

Lewandowski wird das recht sein. Für ihn steht längst der größtmögliche Erfolg mit der Mannschaft im Mittelpunkt. Der Sieg in der Champions League. Das hat er oft genug betont. Und wenn daraus auch noch ein persönlicher Titel wie der Weltfußballer des Jahres entsteht: umso besser. Aber eben in dieser Reihenfolge. Sportlich verdient hätte es Lewandowski nach dieser absoluten Ausnahmesaison allemal.

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