Seit 2022 ist Theresa Merk Cheftrainerin des SC Freiburg. In dieser Saison ist sie auf dieser Position ausschließlich von Männern umgeben. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt sie, woran das liegen könnte und wie es um die Professionalisierung der Bundesliga steht.
Frau Merk, in den vergangenen Wochen lag der Fokus der Fußballwelt noch ganz auf der WM. Wie stark haben Sie das Turnier verfolgt?
Theresa Merk: Ich habe mir vielleicht nicht um drei Uhr nachts den Wecker gestellt, um Spiele zu sehen, aber schon alles verfolgt, was möglich war. Ganz besonders die Nationen, zu denen ich einen Bezug habe, die Schweizerinnen, von denen ich noch einige aus der Zeit bei den Grasshoppers Zürich kenne und natürlich die deutsche Nationalmannschaft.
Die DFB-Elf ist bereits in der Vorrunde ausgeschieden. Welche Erkenntnisse konnten Sie aus dem Turnier ziehen?
Es ist deutlich geworden, dass es nicht mehr so einfach ist, die kleinen Nationen zu schlagen. Mittlerweile sind die Mannschaften an der Spitze physisch nahezu auf einem Level. Aber auch aus den kleineren Ländern spielen viele Spielerinnen bei europäischen Klubs und haben dadurch auch ein besseres taktisches und technisches Verständnis, sodass man sie nicht mehr im Vorbeigehen schlägt. Das ist eine Entwicklung, die parallel zum Männerfußball verläuft.
SCF-Trainerin Merk sieht Vielzahl an Turnieren kritisch
Die WM war das zweite große Turnier in zwei Jahren. Freuen Sie sich mehr über die gestiegene Aufmerksamkeit oder sorgen Sie sich um die Belastung der Spielerinnen?
Ich sehe das schon kritisch. Beim FC Bayern oder dem VfL Wolfsburg spielen fast ausschließlich Nationalspielerinnen, von denen viele letztes Jahr bei der EM gespielt haben, direkt danach in den Ligaalltag starten mussten und jetzt ein Jahr später wieder keine lange Pause haben. Im kommenden Jahr sind dann die Olympischen Spiele bei erfolgreicher Qualifikation der deutschen Nationalmannschaft das dritte Großturnier in Folge. Ich hoffe, dass sich das nicht in noch mehr Verletzungen – wie etwa jetzt schon bei Giulia Gwinn – bemerkbar macht.
In letzter Zeit schienen sich die Meldungen von Spielerinnen mit schweren Verletzungen, besonders Kreuzbandrissen, zu häufen.
Diese Verletzungen waren bei den Frauen schon immer präsent. Aber es bleibt schwierig, da auch die Kader der Topklubs in der Spitze oft noch nicht breit genug sind, dass viel rotiert werden könnte. Das muss für die Vereine, die viele Abstellungen für die Nationalteams haben und in der Champions League noch zusätzliche Spiele bestreiten, ein Ziel sein. Ein breiterer Kader, bei dem man bedenkenlos durchrotieren kann, ist die beste Möglichkeit, um die Spielerinnen schützen zu können.
Das hat auch mit der Professionalisierung der Liga zu tun, viele Spielerinnen müssen neben dem Sport weiterhin arbeiten. Hat sich die Bundesliga hier mit dem Boom der EM 2022 weiterentwickelt?
Ich würde schon behaupten, dass es in der Breite besser geworden ist. Auch die kleineren Vereine versuchen mittlerweile, für die Spielerinnen bessere Bedingungen zu schaffen, ihnen bessere Gehaltsstrukturen zu bieten. Aber trotzdem sind wir noch weit weg davon, zu sagen, dass die Bundesliga eine Profiliga ist und alle Spielerinnen von ihrem Gehalt bedenkenlos leben können. Es kann auch nicht schritthalten mit dem, was an medialer Aufmerksamkeit um die Liga herum passiert – die Erwartungshaltung bei großen Turnieren und in den internationalen Wettbewerben ist in den letzten Jahren viel größer geworden. Ich befürchte deshalb, dass die Schere zwischen den großen und kleineren Vereinen noch weiter auseinandergehen kann, weil die großen Klubs weiter investieren und die kleinen nicht nachkommen.
Die Bundesliga wird also weiterhin eine Zwei- bis Dreiklassengesellschaft bleiben?
Das ist so. Klar, auch Bayern und Wolfsburg kann man an einem guten Tag zum Stolpern bringen. Aber diese Niederlagen sind so selten, dass sie diesen Teams direkt den Titel kosten können, wie etwa Wolfsburg vergangenes Jahr mit der Niederlage gegen Hoffenheim. Frankfurt schließt gerade an das Spitzenduo auf, dahinter kommt ein Mittelfeld, unter anderem mit Leverkusen, Hoffenheim und auch uns, die Ambitionen auf die Plätze hinter der Spitze haben. Und dann gibt es noch das untere Tabellendrittel, dass von vornherein gegen den Abstieg spielt. Wobei es sich auch hier ähnlich verhält wie bei der WM: Es ist nicht mehr so einfach, diese Teams zu schlagen.
Merk: "Zur Top zwei aufzuschließen, ist sehr unwahrscheinlich"
In der vergangenen Saison konnten Sie mit dem SC Freiburg direkt ins DFB-Pokalfinale einziehen. Planen Sie, in den nächsten Jahren die Ligaspitze anzugreifen?
Zu den Top zwei der Liga aufzuschließen, ist im Moment sehr unwahrscheinlich – selbst Frankfurt auf Rang drei ist sportlich schon ein ganzes Stück weg von uns. Das ist also nicht das Ziel, das wir in den nächsten Jahren verfolgen werden. Wir hoffen darauf, dass wir die Spielerinnen, die wir ausbilden, möglichst lange bei uns halten können und bald vielleicht die eine oder andere mal nicht mehr an Bayern oder Wolfsburg abgeben zu müssen.
Der 1. FC Union Berlin verkündete in diesem Sommer, seinen Fußballerinnen, die in der Regionalliga spielen, ein Profigehalt zu zahlen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Solche Zugpferde braucht es. Es ist schön, dass ein Verein wie Union, der in den letzten Jahren nachhaltig gewirtschaftet hat, jetzt sagt: Wir wollen unseren Frauen im sportlichen Bereich dasselbe bieten wie den Männern. Nicht auf demselben finanziellen Niveau sicherlich, aber zumindest so, dass sie ihren Sport ausüben können, ohne sich fragen zu müssen, wie sie die restliche Miete finanzieren. Das kann auch andere Klubs zum Nachdenken bringen – und wenn sie in der Bundesliga langfristig bestehen wollen, auch zum Nachlegen.
Auf der anderen Seite verdrängen die finanzstarken Männerprofiklubs alteingesessene Vereine, die den Frauenfußball lange geprägt haben.
Aber das ist der Wettbewerb, den man sich doch wünscht und der mit der steigenden Professionalisierung einhergehen muss. Wenn wir das erreichen möchten, sind eben nur noch die Klubs in der Liga, die sich das leisten können. Die Männerprofiklubs sind für die Bundesliga auch durchaus wichtig, allein schon wegen ihrer Markenpräsenz. Für mich ist die entscheidende Frage eher: Wie nachhaltig gehen die Vereine ihr Engagement an? Machen sie das, weil es gerade gut für ihr Image ist, oder weil sie davon überzeugt sind und das auch über die kommenden Jahre und Jahrzehnte aufrechterhalten wollen?
Merk konnte sich nicht vorstellen, Profitrainerin zu sein
Sie selbst sind schon in jungen Jahren in den Trainerberuf eingestiegen. War es von Anfang an Ihr Wunsch, Profitrainerin zu werden?
Eigentlich gar nicht, das hat sich eher zufällig entwickelt. Ich habe nie den konkreten Plan gehabt, Bundesligatrainerin zu werden. Ich bin auch nicht davon ausgegangen, den Beruf Fußballtrainerin überhaupt ausüben zu können, weil es für Frauen kaum Positionen in diesem Bereich gibt, die verfügbar sind und dementsprechend bezahlt werden. Aber ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Welche Hürden gab es auf Ihrem Weg?
Für mich gar nicht so viele, da ich das Glück hatte, schon in einer guten Ausgangsposition zu sein. Ich habe schon während meiner Zeit als Spielerin Jugendmannschaften trainiert, in der Trainerfortbildung als Referentin gearbeitet, nebenbei die Trainerlizenz gemacht und hatte dadurch Kontakte geknüpft, die im richtigen Moment an mich gedacht haben. Man kann nicht erwarten, dass man von der Uni kommt, nebenher noch nicht praktisch gearbeitet hat und dann gleich in den Trainerberuf einsteigt. Das kann nicht funktionieren.
Tauschen Sie sich oft mit anderen Trainerkolleginnen aus?
Ich habe ein Netzwerk, mit dem ich regelmäßig in Kontakt stehe, bei denen auch Trainerinnen mit dabei sind, die alle verstreut in Deutschland arbeiten. Aber nicht deshalb, weil sie Frauen sind, sondern weil ich deren Arbeit schätze und sich das so ergeben hat. Ich habe genauso auch männliche Kollegen, mit denen ich im Austausch stehe – das mache ich nicht vom Geschlecht abhängig. Das sehe ich auch allgemein so: Wer talentiert ist und eine gute Leistung bringt, ist für den Trainerjob geeignet, unabhängig vom Geschlecht.
Trotzdem gibt es außer Ihnen nur wenige Trainerinnen im Profifußball.
In der Bundesliga bin ich die einzige Cheftrainerin, es gibt aber sicherlich auch noch vier oder fünf Co-Trainerinnen, die ihren Beruf hauptamtlich nachgehen. Auch der DFB hat in den Juniorinnenmannschaften noch einige Trainerinnen. Im deutschen Männerfußball wüsste ich aktuell nur von Sabrina Wittmann, die die U19 des FC Ingolstadt trainiert.
Woran liegt das?
Es gibt in der Bundesliga zwölf Stellen für Cheftrainerinnen, von denen elf männlich besetzt sind. Um da trotzdem noch alles auf eine Karte zu setzen und Trainerin zu werden, braucht man ein hohes Selbstbewusstsein und einen Hang zum Risiko. Auf der anderen Seite sind Frauen im Trainerberuf auch für viele Vereine Neuland, die bisher nur mit Männern zusammengearbeitet haben. Bei der Trainersuche greift man gerne auf bestehende Kontakte zurück. Ich glaube, es ist beides: Es gibt aktuell noch wenige Frauen, die diesen Weg einschlagen, aber auch noch wenige Vereine, die diesen Weg auch ermöglichen. Ich hoffe, dass sich das mit der ersten Generation Profispielerinnen ändert. Weil sie es bereits kennen, professionell im Fußball zu arbeiten, in keinen Beruf zurückkehren müssen und dann vielleicht eher die Trainerlaufbahn einschlagen.
Merk: "Das mediale Interesse ist gefühlt größer"
Zum Ende der vergangenen Saison gab es in der Liga noch drei Trainerinnen, Kölns Interimstrainerin Nicole Bender-Rummler und Carin Bakhuis, die mit dem SV Meppen in die 2. Bundesliga abstieg, und Sie. Diese Saison sind Sie die einzige Frau. Ist das ein Rückschritt?
Der SV Meppen war ein Aufsteiger, wodurch es natürlich immer schwieriger ist, den Klassenerhalt zu schaffen. Der Abstieg hätte also auch jeder oder jedem anderen passieren können. Warum die anderen offenen Stellen alle männlich nachbesetzt wurden, ob es an der mangelnden Auswahl lag oder die männlichen Kandidaten letztendlich besser waren, kann ich nicht beurteilen. Das muss man die Vereine fragen.
Ist der Druck für Sie dadurch höher als für Ihre männlichen Kollegen?
Das mediale Interesse ist gefühlt größer, weil es ein Alleinstellungsmerkmal ist und dadurch leider immer noch als etwas Besonderes gilt. Der Druck als Trainerin generiert sich aber aus anderen Dingen: Wenn ich weiß, der Verein steht hinter mir und es läuft gut, dann fühle ich nicht mehr Druck. Klar, ich bin mir bewusst, dass ich vielleicht ein bisschen mehr im Fokus stehe als die männlichen Kollegen, aber in einem stabilen und ruhigen Vereinsumfeld ist das für meine tägliche Arbeit eher zweitrangig.
Welche Ziele haben Sie noch als Trainerin?
Ich bin niemand, der sich konkrete Ziele steckt. Ich muss auch nicht auf Biegen und Brechen weg aus Freiburg, auch nicht in den Männerfußball oder zur Nationalmannschaft. Mein Credo ist: Ich möchte da, wo ich bin, gute Arbeit machen. Der Rest kommt dann von allein.
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