Der SC Freiburg protestiert vehement gegen einen Platzverweis, der aus dem Videobeweis resultiert. Das kann selbst der Schiedsrichter verstehen. Auch in Schalke ist man mit dem Video-Assistenten nicht zufrieden. In München und Leverkusen dagegen trägt er zu wichtigen Entscheidungen bei.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Alex Feuerherdt dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Wenn ein Schiedsrichter in einem Bundesligaspiel auf der Grundlage des Videobeweises eine Entscheidung geändert hat, sind die Proteste vonseiten der Spieler und Trainer bislang meist zurückhaltend ausgefallen.

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Die Akteure akzeptieren es in der Regel, wenn sich der Unparteiische in Kooperation mit dem Video-Assistenten korrigiert. Schließlich geschieht das nach der Auswertung von Bildern aus verschiedenen Kameraperspektiven, die den Mannschaften in diesem Moment nicht zur Verfügung stehen.

Als Referee Tobias Stieler in der Partie des VfB Stuttgart gegen den SC Freiburg nach elf Minuten vom Monitor am Spielfeldrand auf den Platz zurückkehrte und Caglar Söyüncü die Rote Karte zeigte, fielen die Reaktionen der Freiburger allerdings anders aus.

Es gab wütende Proteste der Spieler, an der Seitenlinie tobte Trainer Christian Streich. Die Akzeptanz für Stielers Entscheidung, in Söyüncüs Handspiel die Verhinderung einer offensichtlichen Torchance zu sehen, ging bei den Breisgauern gegen null.

Platzverweis mit großer Verzögerung

Passiert war dies: Der türkische Nationalspieler hatte den aufspringenden Ball auf dem Weg in Richtung eigenes Tor mit dem Oberkörper abgeschirmt und war dabei vom seitlich hinter ihm laufenden Stuttgarter Daniel Ginczek unter Druck gesetzt worden.

Als es rund 25 Meter vor dem Gehäuse der Gäste zu einem – gewiss nicht regelwidrigen – Körperkontakt durch Ginczek kam, nahm Söyüncü kurz die Hand zu Hilfe und beförderte den Ball damit auf die für seinen Gegenspieler nicht erreichbare Seite.

Die Stuttgarter reklamierten, aber der Referee hatte das Handspiel offenkundig gar nicht bemerkt, das Spiel lief weiter.

Fast eine Minute später – als sich die Freiburger im Angriff befanden und kaum noch jemand damit rechnete, dass sich Video-Assistent Felix Zwayer einschalten könnte – ertönte doch noch ein Pfiff von Stieler.

Denn sein Helfer in Köln hielt das Handspiel nach Auswertung der Kamerabilder für rotwürdig, weil Söyüncü der letzte Freiburger Feldspieler gewesen war und, so jedenfalls die Annahme, Ginczek ohne das Vergehen freie Bahn zum Tor gehabt hätte.

Deshalb nahm Zwayer zu Stieler Kontakt auf. Der beschloss nach kurzer Rücksprache, sich die Szene selbst noch einmal auf dem Bildschirm anzuschauen, und stellte Söyüncü schließlich vom Platz.

Video-Assistent hätte nicht eingreifen dürfen

Eine fragwürdige Entscheidung, denn es ist keineswegs ausgemacht, dass Ginczek in Ballbesitz gekommen wäre und sich ungehindert eine glasklare Torchance erarbeitet hätte, wenn das Handspiel nicht geschehen wäre.

Schließlich befand sich Söyüncü zwischen dem Ball und dem Stuttgarter, der die Kugel erst einmal erobern und unter Kontrolle hätte bringen müssen. Die Rote Karte war deshalb zu hart.

Felix Zwayer hätte sich zudem gar nicht erst bemerkbar machen sollen, denn es war kein klarer Fehler des Unparteiischen, aus dem Spiel heraus nicht an einen Feldverweis zu denken.

Die Rote Karte war der Knackpunkt in der Partie, die Freiburger mussten 80 Minuten lang in Unterzahl spielen und verloren deutlich mit 0:3. Nach dem Abpfiff äußerten sie ihren Unmut über den spielentscheidenden Platzverweis.

Selbstkritischer Schiedsrichter in Stuttgart

"Absurd" fand ihn beispielsweise Trainer Streich. Und auch der Schiedsrichter kam ins Grübeln. Es gebe Argumente für eine Gelbe wie für eine Rote Karte, sagte Tobias Stieler der "Sportschau".

"Wahrscheinlich wäre für das Spiel Gelb besser gewesen. Wenn ich es mir noch mal angucke, mit Abstand und in Ruhe, überwiegend vielleicht doch die Zweifel." In der "kurzen Zeitspanne auf dem Feld" und nach dem Gespräch mit dem Video-Assistenten sei er aber für Rot gewesen.

Das sind bemerkenswert offene Worte, die zudem eines deutlich machen: Gelegentlich kommt nach reiflicher Überlegung eine andere Bewertung einer strittigen Szene heraus als unter Druck während des Spiels.

Weder dem Video-Assistenten noch dem Unparteiischen bleibt beim Review die Zeit für gründliche Abwägungen, selbst wenn offiziell der Leitsatz "Genauigkeit vor Schnelligkeit" ausgegeben wurde.

Wahrscheinlich wird die zunehmende Erfahrung mit dem Videobeweis aber ohnehin dazu führen, dass die daran Beteiligten ihre Praxis weiter verbessern und solche Diskrepanzen seltener werden.

Fragwürdige Interventionen in Schalke

Diskussionen über das Zusammenwirken von Schiedsrichter und Video-Assistent gab es auch beim Gastspiel des VfL Wolfsburg auf Schalke. Denn aus der Zentrale in Köln meldete sich Marco Fritz bei Schiedsrichter Markus Schmidt in zwei Situationen, bei denen man ebenfalls infrage stellen kann, dass ein eindeutiger und deshalb unbedingt korrekturbedürftiger Fehler des Unparteiischen vorlag.

Die erste davon ereignete sich nach 42 Minuten, als Josuha Guilavogui den Schalker Thilo Kehrer im Anschluss an einen Eckstoß im Wolfsburger Strafraum ein bisschen klammerte und Kehrer zu Boden ging.

Es war eine Szene, wie sie häufig nach Eckstößen vorkommt, bei denen ohnehin viel gezerrt, geschubst und gehalten wird. Die Schiedsrichter sind da normalerweise nicht übermäßig kleinlich, sie ahnden meist nur besonders klare Vergehen.

Die Spieler goutieren diese Regelauslegung. Auch Markus Schmidt machte keine Anstalten, Guilavoguis Einsatz zu sanktionieren, was der gängigen Linie der Unparteiischen durchaus entsprach.

Doch Video-Assistent Fritz empfahl dem Referee – zur Überraschung selbst von Kehrer –, den Schalkern einen Elfmeter zu geben. Und Schmidt folgte diesem Rat sogar, ohne sich noch einmal selbst zu überzeugen.

Ein Konzessions-Videobeweis?

Der Strafstoß für Wolfsburg nach einer Stunde kam ähnlich unerwartet: Naldo war im eigenen Strafraum zum Kopfball gesprungen und hatte dabei den Wolfsburger Yannick Gerhardt ein wenig weggedrückt.

Wieder ließ Schmidt weiterspielen, wieder schaltete sich Fritz ein. Diesmal lief der Unparteiische zwar auch zum Monitor, doch in den gerade einmal zweieinhalb Sekunden, die er dort verbrachte, kann er sich unmöglich selbst ein Bild gemacht haben.

Gleichwohl entschied er ein weiteres Mal auf Elfmeter, obschon seine ursprüngliche Entscheidung auch hier gewiss nicht klar falsch gewesen war. Ein bisschen wirkte es wie ein Ausgleich für die harte Entscheidung kurz vor der Pause.

Als Kehrer in der 85. Minute bei einem missglückten und eigentümlich aussehenden Kopfballversuch den Ball, der zuvor lange in der Luft unterwegs war, mit dem vom Körper abstehenden und angespannten Arm traf, gab es dagegen gar keine Reaktion, weder vom Schiedsrichter noch vom Video-Assistenten.

Man konnte das vertreten, denn klar falsch war es nicht, auf Weiterspielen zu entscheiden. Wenn man allerdings die Interventionen, die zu den beiden Strafstößen führten, als Richtschnur nimmt, wäre ein erneutes Eingreifen von Fritz hier folgerichtig gewesen. Das Handspiel war jedenfalls nicht weiter von einem Elfmeter weg.

Leipzig wieder früh in Unterzahl

Unzweifelhaft korrekt waren dagegen zwei auf dem Videobeweis fußende Entscheidungen in München und Leverkusen.

Beim Spiel des FC Bayern gegen RB Leipzig (2:0) sah Willi Orban früh die Rote Karte, nachdem er gegen Arjen Robben kurz vor dem Strafraum die "Notbremse" gezogen hatte.

Schiedsrichter Daniel Siebert hatte zunächst auf Freistoß für die Bayern erkannt und seinen Verdacht auf ein platzverweiswürdiges Vergehen des Leipziger Kapitäns anschließend in der Review Area bestätigt gesehen.

Eine persönliche Strafe gegen Orban hatte er vor dem Gang an den Monitor am Spielfeldrand noch nicht ausgesprochen, was etwas mit dem Pokalspiel der beiden Teams gegeneinander von wenigen Tagen zu tun gehabt haben dürfte.

In dieser Partie hatte Sieberts Kollege Zwayer eine Elfmeterentscheidung für Leipzig revidiert und war nicht nur deshalb hart kritisiert worden. Vermutlich ging Siebert deshalb lieber auf Nummer sicher. Richtig war das jedenfalls.

Leverkusen: Tor zu Recht aberkannt

Im rheinischen Lokalduell zwischen Bayer 04 Leverkusen und dem 1. FC Köln (2:1) annullierte Referee Manuel Gräfe derweil auf Geheiß des Video-Assistenten das dritte Leverkusener Tor, weil Leon Bailey den Ball während der Entstehung dieses Treffers eindeutig absichtlich mit der Hand gespielt hatte.

Sowohl dem Schiedsrichterteam als auch den Mannschaften und selbst den meisten Zuschauern im Stadion war das verborgen geblieben, der Stadionsprecher und die Anzeigetafel vermeldeten das Tor, niemand protestierte.

Doch Video-Assistent Günter Perl hatte ganz genau hingesehen und zu Recht eine Aberkennung des Treffers empfohlen. Schiedsrichter Gräfe kommunizierte die Entscheidung anschließend vorbildlich, Proteste gab es dann auch keine. Liefe es mit dem Videobeweis doch nur immer so!

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