Der Schiedsrichter gibt auf Empfehlung des Video-Assistenten ein Tor für Borussia Dortmund, obwohl das Spiel eigentlich bereits unterbrochen war. Die Verantwortlichen des 1. FC Köln sehen darin einen Regelverstoß und wollen deshalb eine Wiederholung der Partie erreichen. Ihre Chancen dürften allerdings eher gering sein.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Alex Feuerherdt dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Was am Sonntagabend in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit des Spiels zwischen Borussia Dortmund und dem 1. FC Köln (5:0) passiert ist, wird wohl noch länger für Diskussionen sorgen und wahrscheinlich sogar das Sportgericht beschäftigen.

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Dabei scheint die Sache zunächst klar: Nach einem Eckstoß für die Borussia landet der Ball beim Stand von 1:0 im Kölner Tor, doch Schiedsrichter Patrick Ittrich verweigert dem Treffer von Sokratis die Anerkennung. Denn er ist der Meinung, dass der Grieche sich zuvor unfair eingesetzt hatte.

Die Dortmunder reklamieren zwar, finden sich aber rasch mit der Entscheidung ab. Alle gehen von einem Freistoß für Köln aus. Dann allerdings nimmt Video-Assistent Felix Brych, der die Szene ganz anders einschätzt, mit Ittrich Kontakt auf.

Warum das 2:0 für den BVB irregulär war

Die Besprechung per Funk dauert rund 35 Sekunden, dann folgt der Unparteiische der Empfehlung seines Kollegen am Monitor und gibt das 2:0 für den BVB doch. Die Kölner protestieren heftig.

Und das nicht nur, weil die Gäste aus dem Rheinland der – nicht abwegigen – Ansicht sind, dass es kein klarer Fehler des Referees gewesen ist, Sokratis’ Einsatz als Foul zu werten. Sondern vor allem deshalb, weil sie davon ausgehen, dass Ittrich bereits abgepfiffen hatte, als der Ball über die Torlinie rollte.

Tatsächlich hätte der Treffer nicht zählen dürfen. Denn in den Fußballregeln heißt es unmissverständlich: "Jeder Pfiff unterbricht das Spiel." Sofort und unwiderruflich.

Dass der Ball in Dortmund, als der Schiedsrichter in seine Pfeife blies, bereits kurz vor dem Überschreiten der Torlinie war und von keinem Kölner mehr hätte aufgehalten werden können, spielt dabei keine Rolle. Die Regelung lässt keinerlei Spielraum.

Video-Assistent hätte nicht eingreifen dürfen

Und das heißt auch: Der Video-Assistent hätte eigentlich nicht eingreifen dürfen. Denn die Partie war ja schon vor der Torerzielung unterbrochen, und es lag auch ansonsten keine Situation vor, in der eine Einmischung zulässig gewesen wäre.

Doch offensichtlich waren sowohl Felix Brych als auch Patrick Ittrich davon überzeugt, dass der Pfiff erst erfolgte, als der Ball bereits im Kölner Kasten lag.

Das hatte folgenschwere Konsequenzen, die nun auch die sportrechtlichen Instanzen des DFB beschäftigen werden. Denn der 1. FC Köln hat angekündigt, die Spielwertung anzufechten, um ein Wiederholungsspiel zu erreichen.

Tatsachenentscheidung oder Regelverstoß?

Schließlich, so argumentiert der Klub, habe der Schiedsrichter nicht bloß eine falsche Tatsachenentscheidung getroffen, sondern einen Regelverstoß begangen.

Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass der Unparteiische bei einer Tatsachenentscheidung eine Feststellung trifft, die zwar falsch sein kann, bei der aber die Regeln auf der Grundlage des subjektiv Wahrgenommenen richtig angewendet werden.

Bei einem Regelverstoß dagegen folgt auf die Feststellung eines Sachverhalts die regeltechnisch falsche Konsequenz, zum Beispiel hinsichtlich der Spielfortsetzung.

Vergleichbarer Fall vor 20 Jahren

Will man die Aussichten des 1. FC Köln auf ein Wiederholungsspiel einschätzen, ist ein Blick in die Vergangenheit hilfreich. Denn schon vor 20 Jahren kam es zu einem ähnlichen Vorfall wie nun in Dortmund.

Damals erkannte Schiedsrichter Michael Malbranc im Spiel zwischen 1860 München und dem Karlsruher SC in der 88. Minute beim Stand von 2:1 für die "Löwen" den Ausgleichstreffer des KSC durch Sean Dundee an, obwohl er kurz vor dessen Torschuss die Begegnung wegen eines Fouls per Pfiff unterbrochen hatte.

Die Münchner protestierten, der DFB setzte die Begegnung neu an. Doch die FIFA kassierte das Urteil mit der Begründung, es habe sich um eine Tatsachenentscheidung des Referees und damit um einen "unumstößlichen Fakt" gehandelt. Malbranc hatte ausgesagt, er habe "erst nach dem Tor gepfiffen".

Auch Kießlings "Phantomtor" zählte

Neueren Datums ist das "Phantomtor", das Stefan Kießling im Oktober 2013 beim Spiel seiner Leverkusener in Hoffenheim erzielte. Seinerzeit war der Ball durch ein Loch im Außennetz ins Gehäuse der Gastgeber geflutscht. Schiedsrichter Felix Brych hatte dennoch auf Tor entschieden.

Ein Regelverstoß? Nein, urteilte das DFB-Sportgericht. Schließlich hätten sowohl der Referee als auch seine Assistenten glaubwürdig versichert, auf dem Platz von einer korrekten Torerzielung überzeugt gewesen zu sein.

Damit lag auch hier lediglich eine – wenngleich falsche – Tatsachenentscheidung vor, die nicht zu einem Wiederholungsspiel führen konnte. Wesentlich war in beiden Fällen die Wahrnehmung des Unparteiischen auf dem Spielfeld und die daraus resultierende Entscheidung.

Tatsachenentscheidung ist der FIFA heilig

Das heißt etwa für den Fall Malbranc: Ein Regelverstoß hätte nur dann vorgelegen, wenn der Referee zugegeben hätte, bereits vor der Torerzielung gepfiffen und den Treffer dann irrtümlich für gültig erklärt, also die Regeln falsch angewendet zu haben.

Dass sein Fauxpas zweifelsfrei und objektiv nachzuweisen war – genauso wie Brychs Fehler in Hoffenheim –, war unerheblich. Für die FIFA wog die auf dem Platz getroffene Entscheidung des Schiedsrichters schwerer.

Angesichts dessen ist nicht davon auszugehen, dass dem Einspruch des 1. FC Köln stattgegeben werden wird.

Ittrich und Brych von Entscheidung überzeugt

Denn wenn es Schiedsrichter Patrick Ittrich und dem Video-Assistenten Felix Brych bewusst gewesen wäre, dass der Pfiff bereits ertönt war, bevor der Ball die Torlinie überschritt, dann hätte sich ihre Unterhaltung erübrigt, und es wäre mit einem Freistoß für die Kölner weitergegangen.

Die Torentscheidung konnten sie nur treffen, weil sie davon überzeugt waren, dass die Partie noch nicht unterbrochen war. Damit aber dürfte erneut eine unanfechtbare Tatsachenentscheidung vorliegen und kein Regelverstoß.

Zumal es in den Richtlinien des International Football Association Board (Ifab) zum Videobeweis heißt: "Ein Spiel ist nicht ungültig aufgrund falscher Entscheidungen, die den Video-Assistenten betreffen (da der Video-Assistent ein Spieloffizieller ist)."

Ungeduld und Erwartung sind (zu) groß

Warum es Felix Brych bei der Überprüfung der Szene entging, dass die Partie im Moment der Torerzielung bereits durch einen Pfiff unterbrochen war, ist nicht bekannt. Schmerzhaft ist in jedem Fall, dass der Video-Assistent in diesem Fall für ein Problem gesorgt hat, das es ohne ihn nicht gegeben hätte.

Der spektakuläre Fall beschert der DFL und dem DFB nun weitere Diskussionen über den Videobeweis. Manche Kritiker halten ihn für nicht ausgereift, andere würden ihn am liebsten sogar wieder abschaffen.

Die Ungeduld ist groß, die Erwartungshaltung ebenfalls. Dabei wird oft vergessen, dass es sich um den Test einer einschneidenden Neuerung handelt, bei dem Fehler, Zweifelsfälle und Missverständnisse nicht auszuschließen sind. Und der bislang auch viele sehr positive Ergebnisse hervorgebracht hat.

Ein bisschen weniger Aufregung täte deshalb gut – zumal erst vier Spieltage absolviert sind.

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