Nach einer souveränen ersten Bundesliga-Saison kämpft Union Berlin ab September im zweiten verflixten Jahr gegen einen Mythos an. Der Klassenerhalt ist das erklärte Ziel. Dafür haben die Eisernen Königstransfer Max Kruse in die Hauptstadt gelotst. Reicht das?

Mehr Fußballthemen finden Sie hier

Mit einem Mythos ist das so eine Sache. Bewiesen ist er nie, manchmal widerlegt, irgendwie glauben letztlich doch viele dran.

Einen Mythos müde wegzulächeln fällt vor allem dann schwer, wenn eine Legende wie Uwe Seeler diesen befeuert. "Die zweite Saison wird immer die schwerste, das weiß jeder", hatte das HSV-Idol einst gesagt. Jüngste Beispiele dafür lieferten der FC Ingolstadt, der SV Darmstadt 98 und auch Fortuna Düsseldorf.

Nun ist es so, dass Union Berlin im September in seine zweite Bundesliga-Saison startet. Die erste haben die Eisernen mit Rang elf und 41 Zählern souverän abgeschlossen. Um nicht wie etwa Düsseldorf zu enden, hat Union ein echtes fußballerisches Schwergewicht gen Hauptstadt gelotst: Max Kruse.

Der pokernde, Tarnfarben-Maserati fahrende Freigeist

Als Werder Bremens Geschäftsführer Frank Baumann von Kruses Absage erzählte und im selben Atemzug betonte, dass dieser "neue Herausforderungen" suche, lag die Vermutung von schillernden Europapokalnächten nahe. Ein großer Klub mit großen Ambitionen. Was nicht nahe lag: Union Berlin.

Dass es dennoch so gekommen ist, ist in vielerlei Hinsicht kurios. Kruse, der pokernde, Tarnfarben-Maserati fahrende (mittlerweile fährt er Audi) Freigeist spielt ab sofort für einen Klub, dessen oberstes Credo lautet: Niemand ist größer als der Klub.

Doch, mochte man fast widersprechen, als Kruse an seinem ersten Tag mit eigenem PR-Team an der Alten Försterei auftauchte. Dabei ließ er Sätze fallen wie, dass er glücklich darüber ist, "mit Union einen coolen neuen Verein kennenzulernen, der in den letzten Jahren eine tolle Entwicklung genommen hat". Und: "Für mich war es wichtig, zu einem Klub zu wechseln, der mich komplett überzeugt und fordert." Also Union.

Union Berlin und Max Kruse: Passt das überhaupt?

Aus Sicht der Hauptstädter ist Kruse eine vernichtende Ansage an die Konkurrenz der nahezu immer gleichen Abstiegskampfgesellschaft in der Bundesliga. Kruse kommt mit einem Versprechen von 74 Treffern und 68 Vorlagen aus 250 Bundesliga-Spielen nach Berlin. Dort erhält er die Rückennummer zehn, die Nummer des Genialen, des Unterschiedsspielers.

Dabei muss die Frage gestattet sein, wie ein solcher Freigeist zur Malocher-Mentalität der Eisernen passt. Klub-Legende Torsten Mattuschka weiß bei "B.Z." die Antwort: "Auch wenn es bei ihm das eine oder andere Nebengeräusch gibt – na und? Max ist ein Straßenkicker, ein Freigeist, der viele Tore schießen und Vorlagen geben kann."

Möglicherweise, sehr wahrscheinlich sogar ist die Spielfreude Kruses genau das, was das bisher doch eher eindimensionale Offensivspiel der Köpenicker für das zweite Jahr braucht. Zudem bringt Kruse reichlich Erfahrung mit. Und die zählt zur union’schen Strategie.

Die Strategie bei Union Berlin: Erfahrung, Erfahrung und noch mehr Erfahrung

Neben Kruse hat Union Berlin auch die Bundesliga erfahrenen Andreas Luthe (kam vom FC Augsburg) und Robin Knoche (kam vom VfL Wolfsburg) verpflichtet. Damit bleiben die Hauptstädter ihrer Strategie aus dem Aufstiegsjahr treu: Erfahrung hat Priorität. Wer nicht gut genug ist, muss gehen. Für Nostalgie ist da kein Platz.

Das musste vor einem Jahr auch Marcel Hartel, in der Aufstiegssaison noch Stammspieler, erfahren. Ihm wurde prophezeit, dass er in der Bundesliga wohl kaum spielen wird. Hartel ging mit 13 weiteren Aufstiegshelden, erfahrene Spieler wie Anthony Ujah, Christian Gentner und Neven Subotic kamen.

Trimmel: "Es wird keine Mannschaft mehr geben, die uns minimal unterschätzt"

"Ohne Erfahrung wird es ganz schwer in dieser Liga", zitiert "rbb24.de" Unions Kapitän Christopher Trimmel. Auch er glaubt an den Mythos des verflixten zweiten Jahres: "Ich gehe davon aus, dass die Saison noch schwerer wird. Es wird keine Mannschaft mehr geben, die uns minimal unterschätzt."

Um diesen verloren gegangenen Vorteil auszugleichen, möchte Union an seinen Tugenden festhalten. Heißt: Zweikampfhärte, gnadenloses Verteidigen und gefährliche Standards. 20 von 41 Treffern aus der ersten Saison gelangen den Eisernen nach Ecken, Freistößen oder Elfmetern. Hinzu kommt eine Laufleistung von 4.014,13 km. Das ist mehr als einmal nach Rom und zurück. Nur Bayer 04 Leverkusen flitzte mehr (4054,66km).

Urs Fischer weckt Union Berlin - muss aber vorerst auf die Fans verzichten

Verfechter dieser Tugenden ist Trainer Urs Fischer. Mit seiner Ankunft im Sommer 2018 begann der Aufstieg von Union. Mit seiner ruhigen, unaufgeregten Art ist der Schweizer der Fels in der Brandung, wenn es mal ungemütlich wird. Als Union nach dem Re-Start nach nur zwei Punkten aus fünf Spielen gegen den 1. FC Köln unter Druck stand, stellte Fischer von der gewohnten Fünfer- in eine Vierer-Abwehr-Kette um. Berlin siegte 2:1, eine Woche später war der Klassenerhalt perfekt.

Diese taktische Finesse braucht Union auch in der kommenden Saison. Zumal, da der große Pluspunkt Heimvorteil an der Alten Försterei mit den eigenen Fans im Rücken durch die Corona-Pandemie vorerst weiterhin fehlen wird. Mit seinem Plan, schon am ersten Spieltag wieder in einer vollen Arena spielen zu wollen, hatte Union für reichlich Aufsehen gesorgt. Die Politik blockte ab.

Und so ist Union im zweiten Bundesliga-Jahr umso mehr auf seinen schillernden Neuzugang Kruse angewiesen. Uwe Seeler weiß, warum. Denn das mit einem Mythos ist so eine Sache.

Verwendete Quellen:

  • bz-berlin.de: "Wie gut passt Max Kruse (32) eigentlich zu Union Berlin?"
  • rbb24.de: "Schweizer Ruhepol als Erfolgsgarant"
  • kicker.de: "Bundesliga Laufleistung"
Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "Einblick" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.