Nach dem Rücktritt von Marina Hegering und dem Kreuzbandriss von Bibiane Schulze Solano wird es eng in der Innenverteidigung des DFB-Teams. Mittelfristig gibt es Ersatz, trotzdem wird Bundestrainer Christian Wück Talente heranführen müssen, wie Ex-Nationalspielerin Turid Knaak erklärt.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Christian Stüwe sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Nationalmannschaft der Frauen wurde in den vergangenen Jahren gerne als "VfL Deutschland" bezeichnet. Grund dafür war eine Achse aus Wolfsburger Spielerinnen, die über viele Jahre eine Ära prägte.

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Aber damit dürfte nun erstmal Schluss sein. Mit Alexandra Popp, Merle Frohms, Svenja Huth und Marina Hegering sind gleich vier VfL-Spielerinnen in den letzten Monaten aus dem DFB-Team zurückgetreten.

Der neue Bundestrainer Christian Wück hat deshalb bis zur Europameisterschaft in der Schweiz im kommenden Sommer einen großen Umbruch zu bewältigen, in der Mannschaft werden sich neue Hierarchien bilden müssen.

Schulze Solano fällt lange aus

Während das DFB-Team in der Offensive und im Tor personell gut genug aufgestellt zu sein scheint, um diese Herausforderung zu meistern, bereitet vor allem die Innenverteidigung nach dem Rücktritt von Abwehrchefin Hegering Sorgen.

Denn Bibiane Schulze Solano, die logische Nachfolgerin Hegerings, zog sich Ende September einen Kreuzbandriss zu und wird vermutlich bis zum Sommer ausfallen. Mit Kathrin Hendrich und Sara Doorsoun stehen aktuell nur noch zwei Innenverteidigerinnen zur Verfügung, die bei den Olympischen Spielen zum Kader gehörten und die Bronzemedaille gewannen.

Für Turid Knaak ist Sophia Kleinherne die erste Alternative

Turid Knaak, Ex-Nationalspielerin und TV Expertin © IMAGO/Beautiful Sports/IMAGO/BEAUTIFUL SPORTS/Wunderl

Für Turid Knaak, Ex-Nationalspielerin und TV-Expertin bei DAZN, ist die Lage trotzdem noch nicht kritisch. "Es gibt einige Spielerinnen, die in letzter Zeit nicht berücksichtigt wurden. Zum Beispiel Sophia Kleinherne, die in Frankfurt wirklich schon über Jahre gute Leistungen gezeigt hat. Deshalb läuft man nicht Gefahr, plötzlich ohne Innenverteidigerinnen dazustehen", sagt Knaak im Gespräch mit unserer Redaktion: "Auch Sjoeke Nüsken kann man nach hinten ziehen. Es gibt also schon noch Alternativen."

Mittelfristig sieht Knaak aber tatsächlich Probleme auf Wück zukommen, was die Besetzung in der Abwehrzentrale angeht. "Sowohl Kathrin Hendrich wie auch Sara Doorsoun sind mittlerweile schon ein Stück über 30 Jahre alt. Deshalb muss man sich schon die Frage stellen, ob man es schafft, Nachwuchsspielerinnen in der Verteidigung rechtzeitig an die A-Nationalmannschaft heranzuführen. Kathrin Hendrich und Sara Doorsoun werden nicht mehr ewig spielen", erklärt die frühere Stürmerin, die ihre Karriere 2022 beim VfL Wolfsburg beendete.

Junge Innenverteidigerinnen müssen "reinschnuppern"

Die 24-jährige Kleinherne könnte in den kommenden Jahren Teil der Innenverteidigung des DFB-Teams werden, genauso wie die 25 Jahre alte Schulze Solano, wenn sie nach ihrer Verletzung zurückkehrt. Aber spätestens, wenn die 32-jährige Hendrich und die gleichaltrige Doorsoun die Schuhe an den Nagel hängen, braucht Wück weitere Alternativen.

Weshalb die Gelegenheit, in der nahen Zukunft junge Abwehrspielerinnen an die Nationalmannschaft heranzuführen und zu integrieren, nicht verpasst werden dürfe, fordert Knaak: "Ich glaube, Christian Wück sollte den Fokus darauf legen, junge Innenverteidigerinnen mal mitzunehmen und reinschnuppern zu lassen."

Allerdings drängen sich aktuell kaum junge Spielerinnen für die Abwehrzentrale auf. Wück selbst bezeichnete es als Herausforderung, Abwehrtalente für den Neuanfang im DFB-Team zu finden.

In der Innenverteidigung ist Erfahrung gefragt

Nun ist es aber nicht so, dass es in Deutschland keine talentierten Nachwuchsspielerinnen geben würde. Vielmehr sind es die Besonderheiten der Position in der letzten Abwehrreihe, die es den Talenten schwermacht. Denn in der Innenverteidigung werden selbst kleine Fehler oft sofort bestraft, weshalb in der Bundesliga häufig erfahrene oder ausländische Spielerinnen den Vorzug erhalten.

"Als Trainerin oder Trainer wirft man lieber mal eine junge Stürmerin oder eine Außenbahnspielerin rein. In der Innenverteidigung muss man sehr solide spielen, es werden erfahrene Spielerinnen bevorzugt. Weshalb Trainerinnen oder Trainer sich ein bisschen davor scheuen, junge Innenverteidigerinnen einzusetzen", erklärt Turid Knaak.

Letztlich hilft aber nur Spielpraxis. "Es ist die Aufgabe der Vereine und der Nationalmannschaft, die infrage kommenden Spielerinnen in diese Richtung zu entwickeln", sagt die frühere Nationalspielerin.

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U20-Duo mit wenig Einsatzzeit in der Bundesliga

Zwei, denen die Zukunft gehören könnte, sind die 20-jährige Vanessa Diehm von der TSG Hoffenheim und die ein Jahr jüngere Jella Veit von Eintracht Frankfurt. Bei der U20-Weltmeisterschaft in Kolumbien bildeten sie ein starkes Abwehr-Duo. Bei ihren Vereinen kommen Diehm und Veit in der Bundesliga bislang aber kaum zum Einsatz – was sinnbildlich für die von Knaak skizzierten Probleme steht.

Der Sprung bis zur A-Nationalmannschaft ist deshalb natürlich noch viel zu groß. Bis zum EM wird Wück voraussichtlich auf Hendrich, Doorsoun und Kleinherne setzen, die vielseitig einsetzbare Nüsken ist eine weitere Alternative.

Genauso wie Lena Oberdorf vom FC Bayern München, die nach ihrem Kreuzbandriss im Frühjahr zurückkehren könnte und ebenfalls alle Qualitäten mitbringt, um in der Innenverteidigung auszuhelfen. Nicht ausgeschlossen scheint auch, dass der neue Bundestrainer einer erfahrenen Verteidigerin wie beispielsweise Michelle Ulbrich von Werder Bremen eine Chance gibt.

Die Suche nach der Abwehrzentrale der Zukunft hat Priorität

Optionen gibt es also einige, sonderlich groß ist die Auswahl trotzdem nicht. Kommt es zu weiteren Verletzungen oder Rücktritten, könnte es in der Innenverteidigung wirklich sehr eng werden.

Vermutlich fiel die Wahl auf Wück als neuen Bundestrainer auch deshalb, weil er mit der männlichen U17 des DFB bewiesen hat, wie erfolgreich er mit jungen Spielern arbeiten kann – das Team wurde unter seiner Leitung Welt- und Europameister.

Nun soll Wück auch junge Spielerinnen an die Frauen-Nationalmannschaft heranführen und integrieren. Die Suche nach der Abwehrzentrale der Zukunft wird dabei Priorität haben.

Über die Gesprächspartnerin:

  • Turid Knaak spielte zwischen 2007 und 2022 in der Bundesliga für FCR 2001 Duisburg, Bayer Leverkusen, die SGS Essen und den VfL Wolfsburg. In Spanien lief die Stürmerin für Atletico Madrid auf, für die Nationalmannschaft absolvierte sie 16 Spiele. Nach ihrem Karriereende ist Knaak als TV-Expertin für DAZN bei Übertragungen der Champions League und Bundesliga tätig.

Verwendete Quellen:

  • Telefonisches Interview mit Turid Knaak
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