Frankreich steht bei der EM 2024 im Halbfinale, obwohl es kein Tor aus dem Spiel heraus erzielt hat. Ein französischer Sportjournalist erklärt unserer Redaktion die Eckpfeiler und das Risiko von Didier Deschamps Fußball.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Patrick Mayer sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es ist eine wahrlich bemerkenswerte Statistik. Mit nur 3:1 Toren aus fünf Spielen hat es Vize-Weltmeister Frankreich bis ins Halbfinale der Fußball-EM 2024 geschafft, in dem an diesem Dienstagabend (21 Uhr) in München Topfavorit Spanien auf die "Équipe Tricolore" wartet.

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Dabei haben die Franzosen nicht ein einziges Tor aus dem Spiel heraus erzielt. Gegen Österreich (1:0) in der Vorrunde und gegen Belgien (1:0) im EM-Achtelfinale reichte jeweils ein Eigentor des Gegners aus, gegen Polen (1:1) erzielte Superstar Kylian Mbappé ein Elfmetertor zum Unentschieden. Einer, der die französische Nationalmannschaft seit Jahren begleitet, sieht gerade in der vorsichtigen Spielweise die große Stärke - und die Chance gegen Spanien.

"Wie bei Huub Stevens einst auf Schalke lautet auch die Devise von Didier Deschamps: Die Null muss stehen. Das hat höchste Priorität. Und dann geht es darum, ein Tor mehr als der Gegner zu erzielen. Deschamps hat schon als Spieler sehr defensiv gedacht und darin hat er sich als Trainer nicht verändert", erzählt der französische Sportjournalist Alexis Menuge unserer Redaktion über den Fußball von Nationalcoach Deschamps.

Frankreich unter Didier Deschamps: Defensive Taktik bei der EM

Dem 55-jährigen Trainer gehe es darum, "defensiv diszipliniert und kompakt zu stehen, dem Gegner keine Räume zu lassen und keine Chancen zuzulassen - das ist ganz klar seine Philosophie. Es ist nicht schön anzusehen, aber erfolgreich", sagt Menuge, der Deschamps schon lange beobachtet. Menuge wurde in einem Vorort von Paris geboren und verbrachte seine Jugend in der französischen Hauptstadt, ehe er mit 20 Jahren nach München zog.

Deschamps Fußball berge auch ein Risiko, meint Menuge: "Ihm wird vorgeworfen, dass in der Offensive alles auf Mbappé abzielt. Nach dem Motto: 'Irgendwie wird er es schon richten.' Aber: Mbappé ist alles andere als fit, die gebrochene Nase stört ihn im Spiel." Jene gebrochene Nase hatte sich der 25-jährige Top-Neuzugang von Champions-League-Sieger Real Madrid und französische Kapitän schon im Auftaktspiel gegen die Österreicher zugezogen, als er unglücklich mit Abwehrmann Kevin Danso (RC Lens) zusammenstieß.

Frankreich bei der EM 2024: Biederer Fußball und kein Risiko

"Er kann nur biederen Fußball. Mit mehr Mut könnte er einen anderen Fußball spielen lassen. Aber das macht er nicht", erklärt Menuge weiter zu Deschamps taktischer Herangehensweise. Der Sportjournalist glaubt, dass die Franzosen gegen das hoch gehandelte Spanien in einem 4-4-2-System spielen werden. "Deschamps könnte vier defensive Mittelfeldspieler bringen: Adrien Rabiot, Aurélien Tchouaméni, N'Golo Kanté und Youssouf Fofana", meint er.

Im Sturm erwartet er neben Mbappé den schnellen Ousmane Dembélé von Paris Saint-Germain, "durch die schnellen Spitzen dürfte die spanische Abwehr Probleme bekommen", sagt er: "Spanien will den Ball, Frankreich wird auf Konter lauern."

Wer neben Mbappé französische Sieggaranten sein sollen? "Mike Maignan von AC Mailand ist sicher einer der besten Torhüter der Welt. Kein Wunder, dass die Bayern ein Auge auf ihn geworfen haben. Er wäre für sie sicher die bessere Lösung als Alexander Nübel (VfB Stuttgart, Anm. d. Red.)", erklärt der französische Fußballkorrespondent unserer Redaktion: "Dazu kommt das Innenverteidigerduo mit Dayot Upamecano und William Saliba. Sie harmonieren sehr gut. Im Vergleich zu den Bayern macht Upamecano bei Frankreich kaum Fehler. Er wirkt selbstbewusst und fit, spielt eine Riesen-EM."

Der zweikampfstarke Saliba vom FC Arsenal sei zudem die große Entdeckung bei den Franzosen und auch Jules Koundé vom FC Barcelona habe die "Erwartungen als Rechtsverteidiger mehr als erfüllt", erzählt er.

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Bleibt der 33-jährige Routinier Kanté, der sein Geld mittlerweile in Saudi-Arabien bei Al-Ittihad verdient. "Kanté ist läuferisch ein Phänomen, der Dreh- und Angelpunkt dieser Mannschaft", erklärt Menuge. Derjenige Spieler also, der das Tempo in der Schaltzentrale drosselt und reguliert. Für den erfolgreich biederen Fußball unter Deschamps.

Sollte Spanien (elf Tore in fünf Spielen) nichts dagegen haben.

Über die Person:

  • Alexis Menuge pendelt zwischen Paris und München. Aus der bayerischen Landeshauptstadt berichtet er für die bekannte Sportzeitung "L’Équipe" über den FC Bayern und die Bundesliga, aus Paris für die "F.A.Z." und für "Sport1" über PSG sowie über die französische Nationalmannschaft.

Verwendete Quellen

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