Österreich trägt Trauer: Einer der Geheimfavoriten der EM in Deutschland scheidet im Achtelfinale des Turniers unerwartet gegen einen Gegner aus, den die Mannschaft im März noch mit 6:1 auseinandergenommen hat. Der Sieger heißt Türkei. Ein Sieg der Leidenschaft.

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Ralf Rangnick sank nass bis auf die Haut auf der Trainerbank zusammen, als um ihn herum die türkischen Fans im Überschwang der Gefühle ein "Auf Wiedersehen" anstimmten und ihre Helden ausgelassen feierten: Ausgerechnet in seiner alten Heimat Leipzig ist Rangnicks Traum vom österreichischen EM-Wunder jäh geplatzt. Beim 1:2 (0:1) im sächsischen Dauerregen wurde Verteidiger Merih Demiral mit einem Doppelpack zum Mann des Spiels. "Bitterer Abend - Türkei beendet Österreichs EM-Sommermärchen. Der Traum vom Historischen ist ausgeträumt", schrieb die "Krone".

"Das fühlt sich sehr surreal an, sehr grotesk."

Ralf Rangnick

Der sichtlich enttäuschte ÖFB-Teamchef Rangnick ging bei MagentaTV nicht ins Detail, was er zu seinen Spielern in der Kabine gesagt hatte, verriet aber: "Wir haben sehr, sehr, sehr unglücklich verloren. Das Torschussverhältnis war 21:6, wir hatten mindestens so viele Torchancen wie beim 6:1 im März. Das fühlt sich sehr surreal an, sehr grotesk, dass wir nach so einer Leistung am Ende die Heimreise antreten müssen."

Österreichs Spieler schämen sich ihrer Tränen nicht

Lange hatte das Rangnick-Team gar als Geheimfavorit auf den Titel gegolten, nun verpasste es jedoch den erstmaligen Einzug unter die besten Acht einer EM-Endrunde. Bei vielen Spielern flossen Tränen der Enttäuschung.

Nach einer tollen Vorrunde, in der Österreich vor Vize-Weltmeister Frankreich und den Niederlanden Gruppensieger geworden war, endete die Reise wie schon bei der EM 2021 im Achtelfinale. Urheber des österreichischen Leids war Demiral, der nicht nur nach 57 Sekunden das schnellste Tor in der K.o.-Phase einer Europameisterschaft schoss, sondern auch in der zweiten Hälfte (59.) per Kopf nachlegte. Michael Gregoritsch (66.) verkürzte für Österreich.

Unglaubliche Parade von Mert Günok rettet den Sieg

"Es war ein wunderbarer Sieg, ich möchte mich bei allen Fans bedanken. Wir glauben daran, dass wir den Weg bis zum Ende beschreiten können", sagte Torhüter Mert Günok, der in der fünften Minute der Nachspielzeit den Sieg mit einer Glanzparade gegen Christoph Baumgartner sicherte.

Merih Demiral trifft zum zweiten Mal im EM-Achtelfinale gegen Österreich
Der Türke Merih Demiral (M.) trifft zum zweiten Mal im EM-Achtelfinale gegen Österreich. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Thanassis Stavrakis

Durch den so ersehnten Erfolg erreichte die im Vorfeld als Underdog angesehene Türkei, die gar ohne ihren gelbgesperrten Kapitän Hakan Calhanoglu hatte auskommen müssen, erstmals seit 16 Jahren ein EM-Viertelfinale. Dort trifft das Team von Trainer Vincenzo Montella am 6. Juli (21:00 Uhr) im Berliner Olympiastadion auf die Niederlande. Der Europameister von 1988 besiegte zuvor in München Rumänien mit 3:0.

Leipzig ist ein besonderes Pflaster für Österreich

Für Rangnick, der von 2012 bis 2019 bei RB Leipzig als Sportdirektor und Trainer gewirkt hatte, war die Rückkehr nach Leipzig besonders emotional. Auch in seiner Startelf setzte der Deutsche mit den ehemaligen RB-Profis Marcel Sabitzer und Konrad Laimer sowie den aktuellen Leipzigern Nicolas Seiwald und Christoph Baumgartner auf die Red-Bull-DNA.

Doch im brodelnden Hexenkessel von Leipzig wurden Rangnick und Co. sofort kalt erwischt. Nach einer gegnerischen Ecke bekamen Baumgartner, Stefan Posch und Torhüter Patrick Pentz den Ball nicht geklärt, im Getümmel staubte Demiral ab - und der türkische Block erbebte zum ersten Mal, Pyrotechnik flammte auf. Die Ängste, dieses Spiel könnte wie das 1:6 im Test aus dem März enden, waren zunächst wie verflogen. Und das Feuer entzündet.

Österreich erarbeitet sich zu wenige Torchancen

Auf beiden Seiten. In einer wilden Startphase, in der sich die elektrische Stimmung von den Rängen auf den Rasen übertrug, hatte Baumgartner (3.) den Ausgleich auf dem Fuß, verzog nach starken Dribbling jedoch knapp unten links. Drei Minuten später rutschte Baumgartner im Zweikampf mit Demiral knapp an einem lang getretenen Eckball vorbei - der Ball trudelte ins Aus. Und das Spiel flachte ab. Während Demiral (25.) nach erneuter Ecke nur knapp drüber köpfte, verpassten es die Österreicher, ihre Spielkontrolle zu weiteren Großchancen zu nutzen.

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Nach der Pause kamen die Österreicher zwingender aus der Kabine und rannten mit viel Wut im Bauch an. Posch fand Arnautovic per Steckpass, doch der Stürmer scheiterte im Eins-gegen-Eins gegen den türkischen Torwart Mert Günok. Mitten in der österreichischen Drangphase schlug Demiral dann erneut zu, als er eine Ecke von Arda Güler ins Netz wuchtete. Nur sieben Minuten später, natürlich brauchte es eine Ecke, schenkte Gregoritsch Österreich mit seinem Treffer nach Flanke von Sabitzer neue Hoffnung. Die Rangnick-Elf warf nun alles nach vorne - doch ohne Erfolg. Baumgartner vergab in der vierten Minute der Nachspielzeit per Kopf die riesige Chance zum Ausgleich, als Günok glänzend parierte. (sid/hau)

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Die EM-Reise eines Geheimfavoriten endet auf bittere Art und Weise im Achtelfinale: Österreichs Nationalspieler fassen ihre Enttäuschung und ihren Frust nach dem Aus gegen die Türkei schwer in Worte. (Bild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Thanassis Stavrakis)
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