Naiv und leichtfertig wie in Warschau: Gegen Irland hat die DFB-Elf wie schon gegen Polen eine ernüchternde Vorstellung abgeliefert. Das 1:1 macht aus einer vorher als leicht empfundenen Gruppe eine durchaus delikate Angelegenheit.

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Am Anfang waren viele leere Sitzschalen und am Ende gellende Pfiffe. Die zur Rehabilitation ausgerufene Partie der deutschen Nationalmannschaft gegen Irland in Gelsenkirchen geriet zum Rohrkrepierer, und kaum drei Monate nach dem großen Triumph von Rio de Janeiro ist nüchtern festzustellen: Die WM-Euphorie im Land des Weltmeisters ist schon wieder verflogen.

Polen war doch kein Betriebsunfall

Wenn man der Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw in der Gruppe D einen lockeren Durchmarsch prophezeit hatte, muss man nach drei von zehn Spielen feststellen, dass dem Team womöglich bis zum letzten Spiel in ziemlich genau einem Jahr zu Hause gegen Georgien eine Zitterpartie ins Haus stehen könnte.

Aus der vermeintlich einfachen Gruppe D ist eine delikate Angelegenheit geworden. "Jetzt muss auch der Letzte kapiert haben, worum es geht", fauchte Jerome Boateng nach dem Spiel gegen die Iren genervt. Wenige Tage zuvor gegen Polen waren fast alle Beobachter und Protagonisten von einem Betriebsunfall der deutschen Mannschaft ausgegangen und Bundestrainer Löw gelobte feierliche Besserung und eine entsprechende Reaktion seiner Mannschaft.

Der großspurigen Ankündigung folgte ein lahmer, blutleerer Auftritt, eine Klasse schlechter als noch in Warschau, und am Ende so ängstlich und "naiv", wie es Löw ausdrückte, dass er einem Weltmeister überhaupt nicht gerecht wurde.

Noch gibt es zwar keinen Grund zur Panik, die Spitze der deutschen Gruppe ist gerade einmal drei Punkte entfernt und es sind noch sieben Partien zu absolvieren. Dass Deutschland nach zwei von drei Spielen zu Hause aber hinter Polen, Schottland und Irland stehen würde, damit hat kaum jemand gerechnet.

Julian Draxler, Antonio Rüdiger und Co. noch nicht so weit

Derzeit passt nicht viel zusammen im deutschen Team. Die Offensive kann die vielen verletzungsbedingten Ausfälle nicht kompensieren, es fehlt an den gewohnten Abläufen und letztlich auch an der individuellen Qualität gegen Mannschaften, die sich im Vergleich mit dem Weltmeister noch tiefer in der eigenen Spielhälfte verschanzen und so lange wie möglich die Null halten wollen.

Und in der Defensive, bei der WM noch die beste des gesamten Turniers, setzte es bisher in allen vier Spielen nach Brasilien mindestens ein Gegentor. Der Mannschaft gehen die Führungskräfte ab, das haben die beiden Partien gegen Polen und Irland gezeigt - weil die angedachten Stellvertreter offenbar doch noch nicht so weit sind.

Weil die Spieler aus der zweiten Reihe - Julian Draxler, Erik Durm, Matthias Ginter, Shkodran Mustafi oder Kevin Großkreutz - und die Neuen wie Sebastian Rudy und Antonio Rüdiger noch nicht so weit sind, diese Mannschaft entscheidend mitzutragen. Auch wenn es schwierige Momente gibt. Und die gibt es seit der WM zuhauf.

Vielleicht spielt ja trotz aller gegenteiligen Beteuerungen auch eine kleine Prise Überheblichkeit eine Rolle oder zumindest ein unterschwelliger Schlendrian. Ein gefühlter WM-Bonus, der faktisch aber nicht existiert.

Erst Gibraltar, dann Vollgas geben

Das Leben nach der WM sei um einiges leichter als davor, hat Löw zuletzt nochmals betont. Die Probleme des Alltags lassen sich etwas ruhiger angehen, das war eine seiner Botschaften. Der Umbruch wird Schwierigkeiten mit sich bringen, das war allen Beteiligten klar. Dass die aber so massiv sein könnten, wohl eher nicht.

Es bleibt die Hoffnung, dass demnächst ein guter Schwung an verletzten Spielern wieder zurückkehren wird. Mitte November beschließt die DFB-Auswahl das überaus erfolgreiche Jahr 2014 mit zwei Spielen. Der Test gegen Spanien wird als solcher gehandhabt werden.

Wenige Tage davor steht das letzte EM-Qualifikationsspiel 2014 an. Der Gegner wird Gibraltar sein, mit null Punkten und 0:17 Toren Tabellenletzter. Der Weltranglistenerste Deutschland sollte sich also mit einem deutlichen Sieg in die Winterpause verabschieden. Und dann im neuen Jahr frisch und neu sortiert das Feld von hinten aufrollen.

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