Im Quali-Endspurt für die EM 2020 bereiten Bundestrainer Joachim Löw drei Ausfälle Sorgen. Vor allem in der Defensive besteht weiterhin die größte Unwucht. Macht es noch Sinn, an der Verjüngungskur der DFB-Elf festzuhalten?

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Joachim Löw droht schon wieder eine große Absagewelle. Nach dem ärgerlichen, aber gerade noch zu verschmerzenden Ausfall von Offensiv-Wirbler Marco Reus musste sich der Bundestrainer auch noch auf einen Verzicht von Leverkusens Jungstar Kai Havertz einstellen. Im Kreativbereich fehlen dem 59-Jährigen im Endspurt um das EM-Ticket somit zwei wichtige Akteure.

Noch in Wolfsburg informierte sich Tribünengast Löw am Sonntag über den Gesundheitszustand des 20-jährigen Havertz, der mit einer Oberschenkelverletzung ausgewechselt werden musste. Die Aussage von Bayer-Sportchef Rudi Völler machte ihm wenig Hoffnung: "Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, dass es Sinn macht, zur Nationalmannschaft zu fahren." Ein MRT am Montag soll Klarheit über die Schwere der Verletzung von Havertz geben.

Löw hält an Umbauplänen fest

Das ebenfalls dicke Fragezeichen hinter Niklas Stark verdeutlicht das große Löw-Dilemma vor dem Länderspiel-Abschluss im Umbruch-Jahr 2019. Der sehr wahrscheinliche Ausfall des Berliners nach seinem Nasenbeinbruch würde die Zahl der gelernten Innenverteidiger für die letzten Partien des Jahres gegen Weißrussland am kommenden Samstag in Mönchengladbach und drei Tage später gegen Nordirland in Frankfurt auf nur noch drei Akteure reduzieren, inklusive des jungen Freiburgers Robin Koch.

Löw ist angesichts der Abwehrproblematik längst zum Pragmatiker geworden und riskiert sogar eine Fortsetzung der seit Monaten öffentlich schwelenden Debatte um eine spektakuläre Rückkehr von Mats Hummels bis weit ins EM-Jahr 2020 hinein. Statt eines Machtworts lavierte sich Löw auch vor der Zusammenkunft seines nach der Reus-Absage nun auf 23 Spieler reduzierten Kaders am Dienstag in Düsseldorf um eine klare Richtungsentscheidung in der Abwehrfrage. Er hält an seinen Umbauplänen fest, vorerst.

"Generell schenken wir den Spielern, die jetzt dabei sind, unser volles Vertrauen, ihnen gehört unsere Aufmerksamkeit", ließ sich Löw in einer DFB-Pressemitteilung zitieren, um wenig später in einem Videointerview des Verbandes dieses Vertrauen zumindest zeitlich zu befristen: "Das große Ziel heißt, eine schlagkräftige Mannschaft bei der EM eben dort auf den Platz schicken zu können. Und das muss man sehen, in welcher Konstellation, können wir heute noch nicht abschließend beurteilen und sagen."

Defensive Probleme verschärfen sich

Ohne den Namen des von ihm im März aussortierten Hummels zu erwähnen, hält sich Löw alle Optionen offen. Als Tribünengast im schnieken Mantel und beigen Rolli beim Spitzenspiel in München konnte der Bundestrainer am Samstagabend einen engagierten, aber im BVB-Drama letztlich glücklosen Eigentor-Schützen Hummels sehen.

Stand heute heißen seine ersten zentralen Abwehroptionen Matthias Ginter und Jonathan Tah - beide überstanden ihre Sonntagsspiele immerhin ohne erkennbare Blessuren. Gegen Weißrussland und Nordirland, wenn auch der zunächst gesperrte Emre Can wieder als Aushilfsverteidiger bereit steht, kann Löw dieses personelle Wagnis eingehen. Für ein EM-Turnier reichen diese Alternativen - wie Löw weiß - nicht. Schon gar nicht, wenn er sich eine Dreierkette als Taktikoption offen halten will.

Der Bundestrainer hofft inständig auf eine Genesung der Langzeitverletzten Niklas Süle (Kreuzbandriss) und Antonio Rüdiger (muskuläre Probleme nach Knieverletzung). Dieses Duo hatte er als Perspektivspieler im Sinn, als er im März Hummels und Jérôme Boateng ausrangierte. Gemeinsam spielten sie 2019 nur beim verheißungsvollen 3:2 in den Niederlanden kurz nach der Demission der Ex-Weltmeister.

Mittlerweile bringt sogar der wahrscheinliche Ausfall von Stark eine Unwucht in Löws Planungen, obwohl der Berliner bei fünf Nominierungen weiter auf seine ersten Länderspielminuten wartet. Der 24-Jährige hatte sich am Samstag im Bundesliga-Spiel von Hertha BSC gegen RB Leipzig (2:4) einen Nasenbeinbruch zugezogen. Am Sonntag wurde die Nase nach Aussage von Hertha-Trainer Ante Covic im Krankenhaus gerichtet. "Ausgang offen", sagte Covic zu Starks DFB-Reiseplänen.

Trotz des Ausfalls von Reus verzichtet Löw zunächst auf eine Nachnominierung. Ob eine endgültige Havertz-Absage dies ändern würde war zunächst unklar. In Ilkay Gündogan oder Leon Goretzka stehen Optionen für die zentrale Position bereit. Bei den Länderspielen im Oktober gegen Argentinien (2:2) und Estland (3:0) hatte der Bundestrainer bereits zahlreiche Absagen bekommen.

Reus war trotz seiner schon länger währenden Schmerzen im Sprunggelenk am Samstag in der 61. Minute für Mario Götze eingewechselt worden. Am Sonntag folgte dann die Absage an Löw. Er werde "in Dortmund mit der medizinischen Abteilung des BVB an seiner Gesundung arbeiten", teilte der BVB mit. (sg/dpa)

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