Julian Nagelsmann führt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zur EM 2024. Für die einen ist er die Ideallösung, Kritiker werfen ihm hingegen fehlende Erfahrung vor. Kann Nagelsmann die deutsche Nationalmannschaft wieder aus dem Tief führen? Pro und Contra.

Meine Meinung
Dieser Meinungsbeitrag stellt die Sicht von Julian Münz und Jörg Hausmann dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Pro: Julian Nagelsmann ist noch besser als vor zwei Jahren

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von Julian Münz

Bayern Münchens Trainer Julian Nagelsmann gut gelaunt in Leverkusen
Vor dem Auswärtsspiel in Leverkusen am 19. März 2023 ist Bayern Münchens damaliger Trainer Julian Nagelsmann noch bester Laune. Nach der 1:2-Niederlage hat sich seine Stimmung eingetrübt. Zu allem Überfluss ist er wenige Tage darauf seinen Job los. © IMAGO/Revierfoto

Glückwunsch, DFB! Mit Julian Nagelsmann übernimmt einer der besten Trainer des Landes bis zur EM 2024 die deutsche Nationalmannschaft. Einer, dem sogar die Fans des FC Bayern nach seiner Entlassung immer noch ein bisschen nachtrauern. Nur zur Erinnerung: Als Nagelsmann in München flog, spielte der Klub noch in allen drei Wettbewerben mit, bevor die Mannschaft unter seinem Nachfolger Thomas Tuchel endgültig einbrach.

Klar, es lief nicht alles gut beim FC Bayern. Besonders in seinem Kommunikationsstil und in seiner Außendarstellung zeigte der 36-Jährige in seiner Zeit in München immer wieder Schwächen, die ihm schließlich zum Verhängnis wurden. Doch auch die ehemaligen Bayern-Vorstände Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic haben im Frühjahr gelernt: Davon alleine sollte man die Entscheidung, ob ein Trainer geeignet ist, nicht abhängig machen.

Denn abgesehen davon ist Nagelsmann ein Trainer, an dessen taktisches Verständnis wohl kaum ein anderer, der derzeit auf dem Markt ist, herankommt, ein Louis van Gaal und Felix Magath ganz sicher nicht. Noch dazu kommt, dass viele Spieler bereits mit Nagelsmann zusammengearbeitet haben und er damit auf einem anderen Level ansetzen kann, als es ein komplett neuer Nationaltrainer müsste.

Bayern Münchens Trainer Julian Nagelsmann gestikuliert im Spiel bei Bayer Leverkusen
Bayern Münchens Trainer Julian Nagelsmann gestikuliert im Spiel bei Bayer Leverkusen am 19. März 2023. Nagelsmann weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass es sein letzter Einsatz für den deutschen Rekordmeister sein wird. Die Partie geht für die Münchner nach 1:0-Führung mit 1:2 verloren. © IMAGO/osnapix

Dass mit Manuel Neuer oder Thomas Müller auch Spieler Ambitionen auf einen Platz im EM-Kader haben, mit denen Nagelsmann sich in München schwertat, stört dabei nicht. Im Gegenteil kommt er für den sowieso bald notwendigen Generationenwechsel wie gelegen. Denn selbst für den Fall, dass Neuer noch einmal zurückkommen sollte - mit ihm als Stammtorhüter für die EM zu planen, wäre nicht nur risikoreich, sondern ob der Alternative Marc-André ter Stegen auch unnötig. Wer sonst, wenn nicht Nagelsmann, könnte diesen Wechsel umsetzen?

Nicht zuletzt ist es die mangelnde Erfahrung, die die Kritiker Nagelsmann schon in seiner Zeit beim FC Bayern vorgeworfen haben. Nun: Diese Erfahrung dürfte Nagelsmann beim Rekordmeister nochmals gesammelt haben, sowohl im Guten wie im Schlechten. Wenn er daraus die richtigen Schlüsse gezogen hat, erwartet das DFB-Team ein noch besserer Trainer als der, für den der FC Bayern noch vor zwei Jahren 25 Millionen Euro gezahlt hat.

Contra: Julian Nagelsmann fehlen Erfahrung und Reife

von Jörg Hausmann

Zu jung. Julian Nagelsmann ist zu jung für den Job. Das hat nichts mit seiner Qualifikation zu tun, und sicher hat er mit seinen 36 Jahren, wenn manche Spieler noch längst nicht ans Aufhören denken, schon reichlich Trainer-Erfahrung gesammelt. Doch schon, als ihn der FC Bayern München 2021 als Nachfolger für Hansi Flick verpflichtet hat, dachte ich mir: zu jung, und deshalb ist der FC Bayern eine (noch) zu hohe Hürde. Das gilt jetzt auch für die Nationalelf.

Jetzt folgt er wieder auf Flick. Das zeigt einerseits, in welch engem und eingefahrenem Radius sich in Deutschland das Karussell der Trainer dreht. Andererseits bekommt Nagelsmann diese Chance, weil Jürgen Klopp für den DFB wieder mal nicht zu haben war. Die erste Wahl also war Nagelsmann nicht, und - auch - an diesem Makel ist weiland schon Niko Kovac beim FC Bayern gescheitert. Ehe dann Flick kam, und dann Nagelsmann.

Der zweitjüngste Bundestrainer der DFB-Geschichte kennt bisher nur das Arbeiten im Verein. Dort konnte er sich verwirklichen, was zumindest für die Stationen vor Bayern München gilt. Die Akribie, mit der er vorgeht, um Erfolg zu haben, verlangt zur Vermittlung seiner Spielidee nach mehr Zusammenkünften, als er mit den Nationalspielern haben wird. Und dass er viele Spieler vor allem aus seiner Zeit in München schon sehr gut kennt, ist auch nur bedingt ein Vorteil. Nämlich dann, wenn es sich um Spieler handelt, die ihm schon bei den Bayern gefolgt sind. Die anderen werden ob des Wiedersehens eher aufstöhnen.

Nagelsmann kann den Spielern aufgrund seiner Jugend und seiner noch überschaubaren Trophäensammlung nicht den Respekt einflößen, den sie vor einem Louis van Gaal oder einem Felix Magath gehabt hätten und - wenn man Jonathan Tah glauben darf - für das Frankreich-Spiel auch vor Rudi Völler hatten und haben.

Und dieser Respekt der Spieler speist sich auch aus dem Verhalten des Trainers an der Seitenlinie. Sollte Nagelsmann in dieser Hinsicht seine Rumpelstilzchen-Mentalität gegenüber den Unparteiischen nicht ablegen und im DFB-Anzug nicht souveräner und vorbildlicher agieren, dann ist er dem Amt des Bundestrainers auch in der Außenwirkung nicht gewachsen.

Und was Nagelsmann - nicht nur im Vergleich mit Völler - auch nicht ausstrahlt, sind Nahbarkeit und Volksnähe. Auf die aber stehen Fans. Sie identifizieren sich gerne mit den handelnden Personen. Auf dem Weg zur EM muss Nagelsmann nicht nur seine Spieler, sondern vor allem auch die Fans in den Arm nehmen.

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