Pierre Littbarski wurde 1990 in Italien unter Franz Beckenbauer Weltmeister. Bei der großen Trauerfeier erweist "Litti" seinem früheren Trainer, der am 7. Januar verstorben ist, die letzte Ehre. Wir haben mit dem 63-Jährigen über seine gemeinsame Zeit mit und seinen letzten Besuch bei der Lichtgestalt gesprochen.

Ein Interview

Am heutigen Freitag erweisen Fans und Wegbegleiter dem am 7. Januar verstorbenen Franz Beckenbauer in der Allianz Arena die letzte Ehre. Unter anderem werden einige Legenden, die 1990 in Italien unter dem Teamchef Beckenbauer Weltmeister wurden, der Trauerfeier in München beiwohnen – darunter auch Pierre Littbarski (73 Länderspiele, 18 Tore). Der 63-Jährige erklärt im Interview mit unserer Redaktion, was die Lichtgestalt des deutschen Fußballs als Spieler, Trainer und Menschen ausgezeichnet hat. Zudem spricht "Litti" über seinen letzten Besuch beim "Kaiser" im vergangenen Jahr.

Mehr News zum Thema Fußball

Herr Littbarski, Sie werden bei der Trauerfeier zu Ehren Ihres früheren Trainers Franz Beckenbauer in der Allianz Arena dabei sein. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf dieses Ereignis?

Pierre Littbarski: Natürlich ist diese Gedenkfeier mit viel Traurigkeit verbunden. Für mich ist es das erste Mal, dass ich eine Trauerfeier in einem Stadion erleben werde. Dass sie in der Allianz Arena stattfindet, zeigt, welch ein außergewöhnlicher Mensch Franz Beckenbauer war. Für mich war es eine große Ehre, in der Nationalmannschaft unter ihm zu spielen. Aber ich war nicht nur einer seiner Spieler, sondern auch immer ein großer Fan von Franz – weil ich mit ihm aufgewachsen bin.

Sie haben den "Kaiser" im vergangenen Jahr noch einmal besuchen dürfen. Hatten Sie nach diesem Besuch bereits das Gefühl, dass es vielleicht Ihr letztes Aufeinandertreffen mit ihm gewesen sein könnte?

Als ich ihn getroffen habe, hatten wir noch einmal eine ganz tolle Zeit miteinander. Natürlich ging es ihm nicht super, aber für mich gab es damals noch keine Anzeichen, die auf diese Entwicklung hingedeutet hätten. Das könnte aber damit zu tun haben, dass Franz – genauso wie ich – versucht hat, die positiven Seiten des Lebens zu sehen. In dieser Beziehung waren wir uns schon immer sehr ähnlich.

Nahezu jeder seiner Ex-Spieler, die in den vergangenen Tagen interviewt wurden, hatte einen Kloß im Hals. Das spricht für den Menschen Franz Beckenbauer. Warum wurde er von seinen Wegbegleitern unabhängig von Vereinszugehörigkeiten so sehr gemocht?

Ja, das stimmt. Er wurde wirklich gemocht. Speziell bei uns Fußballern ist es grundsätzlich sehr schwierig, sich Respekt zu erarbeiten. Wir sind recht kritisch in dieser Fußballgemeinde. Aber niemand aus unserer Generation, von Rudi Völler über Lothar Matthäus bis hin zu meiner Person, kam an seine Klasse heran. Franz Beckenbauer war einfach außergewöhnlich. Dieser Respekt vor ihm war von vornherein da. Hinzu kam seine ganze Herangehensweise an das Leben. Wir haben ihn alle als positiven Menschen kennengelernt, der als Spieler und Trainer zwar auch mal geschimpft, aber nie eine schlechte Atmosphäre verbreitet hat.

Obwohl er als Teamchef, selbst nach Toren der eigenen Mannschaft, hin und wieder gewütet hat. Wie war er in der Kabine, etwa während der letztlich erfolgreichen WM 1990 in Italien?

Sie dürfen nicht vergessen, dass der Trainer Beckenbauer schon zuvor als Spieler vieles erlebt und mitgemacht hat. Er wusste also immer ganz genau, in welchen Momenten es schwierig werden könnte. Bei der WM 1974 zum Beispiel hat er die Niederlage gegen die damalige DDR in der Vorrunde auf dem Platz als Spieler miterlebt und später dennoch den Titel geholt. Bei der WM 1990 ist uns Ähnliches passiert: Trotz eines schlechten Spiels gegen die Tschechoslowakei im Viertelfinale (1:0; Anm. d. Red.) sind wir am Ende weitergekommen. Aber: Es war für ihn damals ganz wichtig, in diesem Moment auch mal den "bösen Kaiser" herauszulassen. Für uns war das ein Weckruf. Wenn er mal sauer wurde, dann nur, um uns zu kitzeln und zum Erfolg zu führen.

Die 1990er-Weltmeister schwärmen gerne von der verschworenen Einheit bei diesem Turnier. War das Beckenbauers größter Verdienst? Wie hat er Sie alle zu Weltmeistern gemacht?

Indem er mit Blick auf seine eigenen Erfahrungen, die er als Spieler gesammelt hat, genau wusste, wie er uns händeln musste. Von Spieler 1 bis 22: Jeder hat verstanden, worum es geht und wie seine jeweilige Rolle aussieht. Genau das hat der Teamchef mit seinem Trainerstab grandios hinbekommen. Ohne Franz wären wir vermutlich nicht Weltmeister geworden.

Gab es Momente in Ihrer eigenen Karriere, ob als Spieler oder als Trainer, in der Sie sich zurückerinnert und gefragt haben: Wie hätte das Beckenbauer damals gemacht?

Ja, ich wollte ursprünglich alles genauso leichtfüßig wie der Franz angehen. Ich hatte ja auch immer einen lustigen Spruch auf den Lippen. Doch Franz hat mir teilweise richtig die Leviten gelesen und zu mir gesagt: "Du bist ja ein toller Dribbler, aber irgendwann musst du auch mal den Abschluss finden und ein Tor machen." Vor einem Spiel gegen England hat er mir damit "gedroht", dass ich mich andernfalls bald auf der Bank wiederfinden werde. Und was ist passiert? Ich habe zwei Tore gegen England gemacht (beim 3:1 im Freundschaftsspiel im September 1987; Anm. d. Red.). Beckenbauer hat immer im richtigen Moment genau das Richtige gesagt – da gab es auch keine Widerworte.

Berti Vogts hat empfohlen, den DFB-Pokal zu seinen Ehren umzubenennen. Zudem steht im Raum, die Allianz Arena während der Heim-EM in die Franz-Beckenbauer-Arena umzubenennen. Haben Sie ähnliche Ideen?

Zu all diesen Vorschlägen hätte Franz Beckenbauer vermutlich gesagt: "Hör mir auf mit dem Schmarrn!" Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht gewollt hätte, dass man irgendetwas nach ihm benennt. Sein ganzes Leben lang wollten die Leute für ihn Entscheidungen treffen. Er hat sich häufig unter Druck gesetzt gefühlt, denn eigentlich wollte er nur tollen Fußball spielen und zeigen, was er kann. Natürlich wäre eine Beckenbauer-Arena ein schönes Andenken. Aber wir werden Franz ohnehin als den größten Fußballer aller Zeiten in Erinnerung behalten – ganz egal, ob der Pokal oder das Stadion nach ihm benannt wird.

In Erinnerung bleibt auch, dass er die Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland geholt hat. Wie denken Sie über die sogenannte "WM-Affäre"? Geben Sie Matthias Sammer recht, der kürzlich gesagt hat: "Ich schäme mich dafür, was wir Franz angetan haben."?

Um das beurteilen zu können, muss man Franz Beckenbauer auch kennen und wissen, wie er mit den Dingen umgegangen ist. Es stimmt wirklich: Franz hat sich nie um Verträge gekümmert. Früher hat das sein Manager Robert Schwan für ihn gemacht. Beckenbauer ging es immer nur darum, die WM nach Deutschland zu holen. Nur dafür hat er sich engagiert. Meiner Meinung nach hat Franz Beckenbauer in seinem Leben nie einen Vertrag gelesen. Vielleicht hätte er da wachsamer sein müssen. Aber absichtlich Menschen bestochen: Das hat Franz ganz bestimmt nicht gemacht!

Den Namen Beckenbauer kennt jeder, doch den Fußballer und Trainer Beckenbauer kennen junge Menschen oft nur von Erzählungen her. Wie würden Sie der jungen Generation die verstorbene Ikone erklären?

Ich würde sagen, dass Franz Beckenbauer für eine Mischung aus der Dynamik eines Lothar Matthäus, der Technik eines Pelé und der Motivation eines Erling Haaland steht. Er hat immer zu 100 Prozent alles gegeben und wollte immer alles gewinnen.

Sie selbst sind seit November als Markenbotschafter von Suzuki tätig. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande?

Ich bin sehr froh, dass ich einen japanischen Partner gefunden habe, zumal ich als Spieler und als Trainer in Japan tätig war. Die Entstehungsgeschichte ist ganz lustig: Ich habe mit Kazuyuki Yamashita, dem Chef von Suzuki Deutschland, und weiteren Mitarbeitern des Konzerns Ende 2022 das WM-Spiel zwischen Deutschland und Japan geschaut. Es waren deutsche und japanische Fußballfans dabei. Am Ende war es ihm ein bisschen peinlich, dass Japan die Partie mit 2:1 gewonnen hat – auch weil er, wie ich dabei erfahren habe, ein großer Fan von mir als Spieler war und sogar ein Littbarski-Trikot hat. Er sagte mir, dass er immer so spielen wollte wie ich, aber als Fußballer eher ein Verteidigertyp war (lacht).

Würden Sie gerne eines Tages als Trainer oder in einer anderen Funktion nach Japan zurückgehen?

Es ist wie bei einem guten Wein: Mit dem Alter reift man – und man macht auch weniger Fehler. Zwar konnte ich in meiner Zeit als Trainer in Japan auch Erfolge feiern, habe rückblickend aber auch viele Fehler gemacht. Ich kannte die Mentalität der Japaner damals noch nicht gut genug. Tatsächlich würde ich heute gerne nach Japan zurückkehren und dort als Trainer arbeiten. Ich spreche die Sprache und weiß, wie die Menschen ticken. Für mich wäre das nochmal eine Riesensache. Aktuell gibt es aber noch nichts zu vermelden.

Was trauen Sie dem DFB-Team bei der Heim-EM nach den schwachen Auftritten bei den vergangenen Turnieren und den zuletzt enttäuschenden Freundschaftsspielen in diesem Sommer zu?

Wir haben jetzt alle genug gemeckert – ich war da auch ganz vorne mit dabei. Meiner Meinung nach auch zurecht. Nun haben die Jungs, und das ist das Schöne am Fußball, die Chance, sich zu rehabilitieren. Sie haben es in der Hand, den Leuten durch gute Leistungen Freude zu bereiten – insbesondere bei einer Heim-EM. Wenn ich an Florian Wirtz oder Jamal Musiala denke, dann haben wir einige Granaten in unseren Reihen. Auch Spieler, die bei internationalen Spitzenklubs unter Vertrag stehen, sind dabei – unter anderem Antonio Rüdiger, der bei Real Madrid außergewöhnliche Leistungen bringt. Und Manuel Neuer ist zurück. Also, so schlecht sind wir nun auch wieder nicht. Philipp Lahm darf als Turnierdirektor auf ein Erfolgserlebnis hoffen.

Einen stark aufspielenden Gastgeber könnte Lahm für eine gelungene EM gut gebrauchen …

Ich glaube, wir können das in Deutschland alle ganz gut gebrauchen. Wir sehnen uns ja nach Leistungen, wie sie früher ein Franz Beckenbauer gezeigt hat.

Weitere Fußball-News gibt's in unserem WhatsApp-Kanal. Klicken Sie auf "Abonnieren", um keine Updates zu verpassen.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.