Mit großer Verwunderung blicken Fußballfans auf das einstige weiße Ballett von Real Madrid. Das Mannschaftsgefüge scheint zu bröckeln. Auf dem Platz wird mehr gerumpelt als gezaubert. Und Trainer José Mourinho, "The Special One", schießt sich selbst immer mehr ins Abseits.

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Es steht außer Frage, José Mourinho ist ein hervorragender Trainer. Meisterschaften in vier verschiedenen Ländern, zweimal die Champions League gewonnen und einmal den Uefa Cup - kein Wunder, dass "Mous" Arroganz manchmal Überhand nimmt. Doch was sich der Portugiese derzeit bei Madrid leistet, wirkt als wolle er seine eigenen Erfolge im Alleingang vergessen machen.

Größter Aufreger der letzten Wochen war zweifelsohne die Degradierung von Torhüter und Club-Ikone Iker Casillas. Wäre Casillas bereits über seinen Zenit hinaus, könnte man seine Ausbootung durch Mourinho nachvollziehen. Doch der Torwart steht mit seinen 31 Jahren voll im Saft und zeigt konstant gute bis hervorragende Leistungen - wenn er darf. Tatsächlich hat Madrid momentan nur 20 Gegentore zugelassen - genauso viele wie Erzrivale FC Barcelona. Die Begründung des Trainers, Ersatztorwart Antoni Adán sei "besser als Iker", hält also einer Prüfung nicht stand. Vielmehr wirkt es, als hätte Mourinho verzweifelt nach einer Ausrede für seine Entscheidung gesucht. Dadurch wirkt die Degradierung von "San Iker" wie ein privater Rachefeldzug.

Dieser Schuss ging jedoch vorerst nach hinten los. Bereits in seinem zweiten Spiel wird Adán wegen einer Notbremse mit Rot vom Platz gestellt und für ein Spiel gesperrt. Mourinho muss also wieder auf Iker Casillas setzen und rudert prompt zurück. Wie die spanische "Marca" berichtet, behauptet Mourinhos Trainerteam nun, Casillas Verbannung auf die Bank hätte einem höheren Ziel gedient: Der künstlich initiierte Konkurrenzkampf sollte Casillas noch stärker machen. Nachdem dieses Vorhaben scheinbar geglückt ist, will Mourinho nun doch wieder auf den Publikumsliebling setzen. Trotz dieser Erklärung bleibt ein fader Beigeschmack.

Schon länger wird auch von einem Zerwürfnis mit Sergio Ramos berichtet. Der Verteidiger soll mit seinem Trainer nur noch das Nötigste besprechen. Dass diese Situation an Ramos' Nerven zehrt, zeigte sich im Pokalpiel gegen Celta Vigo. Nach einer Gelb-Roten Karte beschimpft Ramos den Schiedsrichter dreimal als "Halunken". Aus dieser Beleidigung resultierten fünf Spiele Sperre. Eine gewisse Disziplinlosigkeit ist man von dem Verteidiger zwar durchaus gewohnt, dennoch zeugt sie in in diesem Fall wohl auch von aufgestauter Wut.

Auch Mesut Özil scheint mit seinem Trainer auf Kriegsfuß zu stehen. Laut dem spanischen Internetportal "El Confidencial" will Özil in der nächsten Saison auf keinen Fall mehr unter Mourinho spielen. Fehlende Kommunikation zwischen Trainer und Spielern ist ein Phänomen, das auch schon andere Trainer in den Hintern gebissen hat. Ex-Wolfsburg-Coach Felix Magath beispielsweise kann davon ein Liedchen singen.

Mannschaft ist verunsichert

In einem derart vergifteten Klima macht sich Verunsicherung in allen Mannschaftsteilen breit. Denn vor Mourinhos mehr als fragwürdigen Personalentscheidungen ist niemand gefeit. Lieblingsopfer ist einmal mehr Mesut Özil. Noch im September 2011 überschlug sich der Trainer in der "Sportbild" mit Lob für den Deutsch-Türken: "Er ist unglaublich talentiert, mental auf der Höhe, intelligent, und er will gute Arbeit abliefern." Davon ist jetzt nichts mehr übrig. "Du bist nutzlos für Real", lautet stattdessen Mourinhos neue Meinung zu Özil, die er laut "Bild" in einem Kabinenstreit kundgetan haben soll. Trotzdem spielt der deutsche Nationalspieler meistens. So richtig nachvollziehen kann das niemand. Am wenigsten wohl Mittelfeldstratege und Özil-Konkurrent Luca Modric, den Mourinho zwar über den grünen Klee lobt und dennoch selten von Anfang an einsetzt. Wenn der Kroate dann mal ran darf, spielt er meist im ungeliebten defensiven Mittelfeld.

Lässt Mourinho die Würfel sprechen?

Überhaupt wirkt es zeitweise so, als würde der Trainer auf gewissen Positionen in der Aufstellung die Würfel sprechen lassen. So ließ er beim 4:3-Sieg über Real Sociedad San Sebastian Karim Benzema im Sturm auflaufen, der sich auch prompt mit einem Tor bedankte. Auch beim 4:0 im Pokal gegen Celta Vigo durfte Benzema von Anfang an ran, traf jedoch nicht. Für Mourinho anscheinend Grund genug, im nächsten Liga-Spiel gegen den Tabellenletzten CA Osasuna auf Gonzalo Higuaín zu setzen. Das Spiel blieb torlos. Auffällig ist, beide Stürmer bleiben derzeit hinter ihren Möglichkeiten zurück.

Die ständige Unsicherheit dürfte ihr Übriges tun. Die spanische Presse lässt nach der blamablen Nullnummer gegen Osasuna jedenfalls kein gutes Haar mehr am spanischen Meister. "Real ist zu einer Karikatur seiner selbst geworden", schreibt die "Marca". Mourinho selbst überraschte einmal mehr mit seiner ganz eigenen Sicht der Dinge: "Ich war mit der Einstellung der Mannschaft zufrieden, ich habe nichts zu kritisieren."

Kann es sein, dass ein derart erfolgreicher Trainer sein Know-how zugunsten seiner eigenen Arroganz aufgibt? Tatsächlich scheint Mourinho einen ganz privaten Machtkampf gegen Real Madrids Klubgrößen zu führen - frei nach dem Motto: "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben." Gegen Ex-Star Zinédine Zidane, Ex-Generaldirektor Jorge Valdano oder auch den ehemaligen Mannschaftsarzt hat Mourinho diesen Kampf schon gewonnen. Ob ihm das bei Spielern wie Iker Casillas oder Sergio Ramos auch gelingen wird, ist äußerst fraglich. Doch zumindest für das Verhältnis von Torhüter und Trainer findet sich ein ganz kleiner Hoffnungsschimmer: Bei der Wahl zum Fifa-Trainer des Jahres stimmte Casillas für José Mourinho.

Fans boykottieren den Trainer

Ob ihm die Fans von Real Madrid verzeihen, steht auf einem anderen Blatt. Beim Spiel gegen San Sebastian blieben 30.000 Plätze im sonst stets gut gefüllten Estadio Bernabeau leer. Der einst geliebte Trainer hat es sich mit seinen Anhängern verscherzt. Und diese sind sich sicher: José Mourinho provoziert seinen eigenen Rauswurf. 93 Prozent teilten diese Meinung bei einer Umfrage des spanischen Sportblatts "As".

Mourinhos Abschied zum Saisonende gilt in den spanischen Medien als beschlossene Sache. Sollte ihm Real Madrid tatsächlich vorab kündigen, schlägt Mourinho zwei Fliegen mit einer Klappe: Er kann die verhasste spanische Medienlandschaft hinter sich lassen und gleichzeitig wohl eine großzügige Abfindung einstreichen. Wie "bild.de" meldet, sollen dem Trainer bei einem Rausschmiss 20 Millionen Euro zustehen. Eine neue Anstellung hat Mourinho auch schon in Aussicht. Angeblich ist Scheich-Klub Paris St. Germain an seinen Diensten interessiert.

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