Die Squadra Azzurra ist nicht bei der WM 2018 dabei. Für viele Italiener kommt das einer Katastrophe gleich. Sänger Giovanni Zarrella gibt im Interview Einblicke in die arg gebeutelte Tifosi-Seele.

Ein Interview

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Wir befinden uns im Jahr 2018 n. Chr. Die ganze Welt freut sich auf die WM in Russland. Die ganze Welt? Nein! Eine große Fußballnation versteckt sich vom 14. Juni bis zum 15. Juli 2018 im stillen Kämmerlein und hadert mit dem Schicksal.

Eigentlich ist es immer noch unfassbar: Italien ist tatsächlich nicht bei einer Weltmeisterschaft dabei. Das sind natürlich gute Nachrichten für Deutschland, schließlich ist die Squadra Azzurra noch immer der absolute Angst-Gegner der DFB-Elf, aber die italienischen Tifosi können einem schon wirklich leidtun.

Giovanni Zarrella, Sänger und ausgewiesener Fußball-Experte, leidet jedenfalls sehr - auch wenn er im Gegensatz zu den meisten seiner Landsleute immerhin noch Deutschland als seinem Zweit-Team die Daumen drücken kann. Im Interview mit unserer Redaktion gibt er Einblick in seine verletzte Fußballfanseele, erzählt, wie er die WM verbringt und lässt kein gutes Haar an Leroy Sané.

Gleich mal zu den harten Fakten: Italien ist nicht bei der WM dabei. Können Sie sich überhaupt auf das Turnier freuen, oder verbringen Sie die Zeit lieber im dunklen Kämmerlein und ignorieren alles, was mit Fußball zu tun hat?

Giovanni Zarrella: (lacht) Ich bin ganz, ganz, ganz ehrlich. Ich freue mich aus zweierlei Sicht.

Einmal, weil ich hoffe – wobei ich das meinem Land immer nicht so ganz zutraue - , dass diese Nicht-Teilnahme der Startschuss für eine Veränderung in Italien ist. Denn der italienische Fußball ist schon seit der WM 2006 extrem gebeutelt, auch weil die Strukturen einfach nicht verändert wurden.

Dass, was in Deutschland funktioniert hat – dass, nachdem man in den Zweitausendern gescheitert ist, gesagt hat, man baut jetzt Jugendzentren, man fördert den Nachwuchs -, das hat in Italien nicht stattgefunden. Deshalb hat da auch noch Gigi Buffon mit seinen 40 Jahren im Tor gestanden.

Ich hoffe jetzt, dass sie wirklich etwas an den Strukturen verändern und nicht nur nach außen so tun. Denn auf lange Sicht ist das das Einzige, was hilft.

Und ich habe trotzdem noch zwei weitere Herzen in meiner Brust - für Deutschland und Brasilien. Meine Frau (Jana Ina Zarrella, Anm. d. Red.) wird natürlich auch voll mitgehen bei der WM. Ich bin hier geboren, und das war bei uns in der Familie schon immer so – wenn nicht gerade Deutschland gegen Italien gespielt hat –, dass wir Deutschland die Daumen gedrückt haben.

Dieses Mal muss ich zumindest keine Angst vor einem Deutschland-Italien-Spiel und den vielen Diskussionen danach haben.

… nur vor einem Spiel Deutschland gegen Brasilien.

Ja, da werde ich dann zu Hause so tun müssen, als würde ich mich mehr für Brasilien freuen.

Ist der Haussegen da wirklich in Gefahr, wenn Sie mal an der falschen Stelle jubeln?

Meine Frau Jana Ina weiß natürlich schon, dass ich Deutschland die Daumen drücke. Ich habe ja auch viele Freunde in der deutschen Nationalmannschaft, wie Ilkay Gündogan, Antonio Rüdiger oder Jerome Boateng, mit denen ich auch privat viel zu tun habe. Und da ist natürlich klar, dass ich denen nur das Beste wünsche.

Hätten Sie das überragende Rückspiel des AS Rom gegen den FC Barcelona gegen die WM-Qualifikation eingetauscht?

(lacht) Jetzt ja! Aber nur, weil Rom nicht ins Finale eingezogen ist. Wären sie ins Finale gekommen, hätte ich das nicht eingetauscht.

Ihr Sohn ist neun Jahre alt, also im besten Fußballschaualter. Wem drückt er die Daumen? Oder interessiert er sich womöglich gar nicht für Fußball?

Mein Sohn liebt Fußball, genauso wie ich, genauso wie mein Papa. Das ist eine Familientradition bei uns. Er hat jetzt für die WM zwei Trikots zu Hause, Deutschland und Brasilien – und die wird er abwechseln anziehen. Ein Italien-Trikot hat er aber natürlich auch.

Das ist bei uns zu Hause tatsächlich so, dass es einfach die drei Mannschaften gibt. Und mein Sohn fährt damit eigentlich sehr gut, denn er hat immer gute Chancen, irgendwas zu gewinnen.

Wie kann man sich einen klassischen Spieltag im Hause Zarrella vorstellen? Schauen Sie alle gemeinsam, gehen Sie zum Public Viewing? Wird gegrillt? Oder gibt es Pizza?

Genau diese Sachen machen wir! Wir haben einen Grillstein im Garten, auf den wird dann mal eine Pizza draufgeschmissen, aber auch normale Würstchen. Meine Frau und meine Kinder sind da typisch deutsch, und deshalb grillen wir typisch deutsch. Aber ich mag da auch ein schönes Pizzabrot dazu.

Die Terrasse grenzt genau ans Wohnzimmer an, den Fernseher drehen wir nach draußen. Es ist ja hoffentlich schönes Wetter. Wir haben immer ganz viele Leute bei uns zu Hause.

Ich liebe es, daheim zu sein und viele Gäste da zu haben und dann für alle mitzukochen, mitzubraten, mitzugrillen. Es gibt einfach nichts Schöneres, als Menschen um einen herum zu haben, die man liebt, ob Familie oder Freunde.

Ich finde, die WM ist immer eine ganz besondere Zeit, bei der die Leute zusammenkommen. Bei der WM und an Weihnachten (lacht).

Zarrella: "Das müsste eine Pizza Depressioni sein"

Als Italien bei den Weltmeisterschaften 2010 und 2014 schon in der Vorrunde ausschied, war schnell die Pizza Endstationi erfunden? Dieses Mal ist es ja noch bitterer. Wie wäre denn eine Pizza Frustazione belegt?

(lacht) Der ist gut!

Aber jeder, der schon einmal in Italien war oder Italiener in seinem Umfeld hat, weiß, wie es gerade um die Laune steht. Wir sind immerhin eine Fußballnation.

Eigentlich müsste es deshalb eher eine Pizza Depressioni sein.

Es ist wirklich krass gerade. Die sind alle am Boden zerstört.

Aber ich glaube halt, wenn es Italien wieder zur WM geschafft und sich womöglich bis ins Viertelfinale durchgegurkt hätte, dann hätte sich nichts verändert.

Das ist noch ein langer, langer Weg, den wir da gehen müssen. Der wird sich nicht nur bis zur EM ziehen, sondern mindestens noch bis zur WM 2022. Und das absolute Vorbild ist natürlich Deutschland.

Der italienische Fußball ist gerade wie eine schöne Frau im hohen Alter, bei der man sieht, was für eine unfassbar attraktive junge Frau sie gewesen sein muss. Aber man sieht auch, dass der Glanz weg ist. Und so fühlt sich das bei Italien an.

Da kann man einfach nur hoffen, dass es in vier Jahren wieder schöne Duelle gegen Deutschland gibt…

Das wäre wirklich schön. Ich kann das wirklich nachvollziehen, dass man sich da aus deutscher Sicht auch über Italien lustig macht. Das ist total legitim, vor allem, weil Italien natürlich eigentlich auch der Angstgegner Nummer eins ist.

Aber wenn man sich da in die Italiener reinversetzt – und Deutschland ist ja auch eine große Fußballnation -, bei so einem Turnier nicht dabei zu sein ...

Als Italien im November die Qualifikation nicht geschafft hat, habe ich schon gesagt: Das ist noch gar nichts. Wartet mal ab, wenn der erste Ball gespielt wird, beim ersten Spiel und man dann realisiert, dass man bei dieser WM nicht dabei sein wird. Das heißt, es sind nicht vier Tage bis zur WM für uns, sondern es sind vier Tage und vier Jahre. Das ist einfach krass. Das ist so lang. Wenn ich mir überlege, mein Papa ist jetzt Mitte 60, der wird die nächste WM mit 70 sehen. Das ist einfach scheiße.

Wie sollten sich die deutschen Fans während der WM ihrem Lieblingsitaliener gegenüber verhalten, damit sie auch nach dem Turnier noch dort essen gehen können? Gibt es Sprüche, die man vermeiden sollte?

Die Klassiker, die ich mir auch schon alle anhören musste: 'In welcher Gruppe spielt ihr denn bei der WM? Wer ist denn euer Angstgegner bei der WM?'

Auch der Gastronom um die Ecke, zu dem man gerne geht, der versucht das wegzulächeln, leidet. Es geht uns allen nicht gut dabei.

"Löw will seine Ruhe haben"

Bei der deutschen Nationalmannschaft sieht es deutlich besser aus, diskutiert wird natürlich trotzdem. Aktuell geht es vor allem um einen speziellen Spieler, den Jogi Löw aus dem Kader gestrichen hat. Hat sie die Entscheidung des Bundestrainers, Sané zu streichen, überrascht?`

Vom Talent ja, vom Charakter her nicht.

Allein das Tattoo, das er auf seinem Rücken hat (es zeigt Sané selbst beim Jubel nach einem Tor, Anm. d. Red.). Das sagt so viel aus. Es gibt wahrscheinlich nur noch einen Spieler in Deutschland, der auch so von sich selbst überzeugt ist, und der wurde vor zwei Wochen schon aussortiert. Sandro Wagner nämlich.

Jogi mag schon Jungs, die bescheiden sind – ich sag jetzt nicht Lemminge -, aber die Teamplayer sind, die den Mund nicht zu weit aufmachen, die er auch mal alleine ins Interview schicken kann. Und Sané ist schon eher einer, der anders tickt. Der vielleicht auch mal seine dicken Kopfhörer aufhat, sich im Bus in die letzte Reihe setzt und mit niemandem spricht. Oder der eben nicht die Klappe hält, wenn er auf der Bank sitzen muss. Er ist halt anders. Er gehört zur Generation dieser coolen Macher-Jungs. Und das ist eine Generation, auf die Löw eher verzichtet, als eben auf einen Thomas Müller.

Löw will diese sieben, acht Wochen einfach Ruhe haben. Und das ist das, was viele Leute nicht sehen. Die sehen nur, wie kann er den besten Rookie der Premier League zu Hause lassen. Aber Löw muss in zwei Monaten das schaffen, was die Klubs übers ganze Jahr hinweg machen. Er muss schauen, dass alle zusammenhalten, Ruhe bewahren und am Ende erfolgreich Fußball spielen. Und das ist mit Jungs wie Sané vielleicht schwieriger als mit Spielern wie Julian Brandt oder auch Draxler.

Und nun noch die Frage, um die keiner herum kommt: Wer wird Weltmeister?

Das ist meine genaue Reihenfolge: Deutschland auf eins. Unangefochten. Wirklich. Auf der zwei: Frankreich. Wenn das reine Talent gewinnen würde, würde Frankreich Weltmeister werden. Ich glaube, kein anderes Land kann sich erlauben, so viele überragende Spieler daheim zu lassen. Und dann auf Augenhöhe Spanien und Brasilien.

Es wird definitiv keine Überraschung geben. Nicht bei der WM. Portugal und Griechenland gibt es nur bei der EM.

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