Für den Videobeweis gab es bei der Weltmeisterschaft in Russland bislang viel Lob, doch in den vergangenen Tagen wurden auch kritische Stimmen laut. Auffällig ist, dass seine Einführung zu einem neuen WM-Rekord bei den Elfmetern beigetragen hat. Eine Zwischenbilanz.
Viel war vor der Weltmeisterschaft über den Videobeweis geunkt worden: Er werde im Chaos versinken, seine Befürworter bis auf die Knochen blamieren, sich selbst abschaffen, hieß es häufig. Nicht wenige glaubten, dass vor allem Schiedsrichter aus Ländern, in denen es noch keine Erfahrungen mit den Video-Assistenten gibt, mit der Neuerung überfordert sein würden.
Doch das Chaos ist bislang ausgeblieben, auch wenn der Videobeweis in den vergangenen Tagen ein wenig von der Anerkennung, die ihm an den ersten beiden Vorrundenspieltagen zuteilwurde, eingebüßt hat. Insgesamt läuft es aber gut mit ihm – besser als in der Bundesliga, finden manche.
Dort, wo Entscheidungen der Schiedsrichter mithilfe der Video-Assistenten geändert wurden, waren die Eingriffe aus der Videozentrale in Moskau von einigen Ausnahmen abgesehen nachvollziehbar und richtig. In bislang 40 Spielen korrigierten sich die Unparteiischen dreizehnmal, allein neun Änderungen betrafen dabei Elfmeterentscheidungen.
Acht Strafstöße wurden nachträglich gegeben, einer nach Ansicht der Bilder zurückgenommen. Angesichts der Tatsache, dass mit bislang 22 Elfmetern der bisherige Rekord von 18 Strafstößen während der gesamten WM 2002 in Japan und Südkorea bereits im Laufe der Vorrunde übertroffen wurde, lässt sich feststellen: Der Videobeweis deckt so manches Vergehen im Strafraum auf, das den Schiedsrichtern verborgen geblieben ist.
Viel Lob für den Videobeweis an den ersten WM-Tagen
Vor allem an den ersten Turniertagen gab es mehrere Interventionen durch die Video-Assistenten, die in der Öffentlichkeit auf viel Beifall stießen. So zum Beispiel im Spiel zwischen Frankreich und Peru (1:0), als ein klares Foul am französischen Angreifer
Oder in der Partie Brasilien – Costa Rica (2:0), in der Schiedsrichter Björn Kuipers einen Strafstoß zurücknahm, den er wegen eines vermeintlichen Fouls an Neymar gegeben hatte. Die Bilder zeigten, dass der brasilianische Superstar einen minimalen Kontakt genutzt hatte, um im Strafraum theatralisch zu Boden zu sinken.
Auch die kalibrierten Abseitslinien, die es bei der WM in Russland im Unterschied zur Bundesliga gibt, funktionieren offenbar. Deshalb fand das späte Tor der Spanier zum 2:2 in der Begegnung gegen Marokko, das der Unparteiische Ravshan Irmatov ursprünglich wegen Abseits annulliert hatte, doch noch Anerkennung. Denn mithilfe des Videomaterials ließ sich nachweisen, dass keine Abseitsstellung des Torschützen vorlag.
Zuletzt häufte sich die Kritik an den Video-Assistenten
Allerdings gab es zuletzt auch berechtigte Kritik an einigen Entscheidungsänderungen, die auf die Video-Assistenten zurückgingen. Im Spiel zwischen dem Iran und Portugal (1:1) lief der Videobeweis sogar regelrecht aus dem Ruder. Gleich dreimal wurde der unsichere Unparteiische Enrique Cáceres aus Paraguay vom Video-Assistenten in die Review Area geschickt.
Die erste Korrektur – Portugal bekam nach einem zunächst ungeahndeten Foul an
Die dritte Intervention führte sogar zu einer mehr als fragwürdigen Korrektur. Denn als der portugiesische Verteidiger Cédric im eigenen Strafraum den Ball im Luftkampf aus kürzester Distanz von hinten an den Arm geköpft bekam, hatte er praktisch keine Chance, das Handspiel zu vermeiden.
Referee Cáceres ließ auch weiterspielen, doch sein Video-Assistent wollte darin erstaunlicherweise einen klaren und offensichtlichen Fehler erkannt haben. Deshalb empfahl er ein On-Field-Review – und tatsächlich änderte der Unparteiische seine Meinung und gab den Strafstoß. Eine viel zu harte Entscheidung, die auf einem Eingriff des Video-Assistenten beruhte, den es nicht hätte geben dürfen.
Video-Assistenten sollten zur klaren Linie zurückkehren
In einigen Spielen der vergangenen Tage verließen die Assistenten an den Monitoren die klare Linie, die sie ursprünglich eingeschlagen hatten. Lange Zeit war die Eingriffsschwelle für die Video-Assistenten hoch, und wenn der Schiedsrichter zu verstehen gab, dass er eine Situation aus günstigem Blickwinkel und mit Überzeugung beurteilt hatte, blieb es bei der ursprünglichen Entscheidung.
Das entsprach den Vorgaben des International Football Association Board (IFAB) und der FIFA, mit denen die Position der Referees auf dem Platz gestärkt werden soll. Zwar gab es öffentliche Diskussionen über einige Situationen, in denen auf einen Eingriff und ein On-Field-Review verzichtet wurde, obwohl es Gründe für die Ansicht gab, dass der Schiedsrichter einen klaren und offensichtlichen Fehler begangen hatte.
Doch insgesamt war die Zufriedenheit mit der Anwendung des Videobeweises groß. Nun aber werden die kritische Töne lauter: Die Video-Assistenten griffen zu oft ein, heißt es häufiger, und sie seien nicht mehr so berechenbar. Das ist auch eine Folge davon, dass einige wenige Unparteiische mit ihren Spielen überfordert waren und die Video-Assistenten teilweise versuchten, helfend einzugreifen, statt ihre Eingriffe auf Situationen zu beschränken, in denen wirklich klare und offensichtliche Fehler vorlagen.
Das heißt, sie empfahlen ein On-Field-Review manchmal auch bei Entscheidungen, die lediglich strittig waren. Das führte jedoch eher dazu, dass der betreffende Referee noch unsicherer wurde und bei den Spielern an Akzeptanz verlor – so wie in der Partie zwischen dem Iran und Portugal. Sinnvoll wäre es deshalb, wenn die Video-Assistenten zu ihrer ursprünglichen Linie zurückkehren würden.
Mehr Transparenz als in der Bundesliga
Eindeutig positiv ist, dass die Abläufe und die Transparenz beim Einsatz der Video-Assistenten bis jetzt überwiegend gut sind: Die Checks und Reviews gehen meist ausgesprochen schnell über die Bühne, die Verzögerungen im Spiel halten sich dadurch in der Regel in erträglichen Grenzen.
Die Fernsehzuschauer bekommen während eines On-Field-Reviews genau die Bilder zu sehen, die auch dem Schiedsrichter gezeigt werden, ergänzt um eine schriftliche Einblendung, was gerade geprüft wird. In den Stadien werden nach dem Abschluss eines Reviews diejenigen Bilder, die für die Entscheidung maßgeblich waren, auf der Videowand abgespielt.
Die Zuschauer dort können also nachvollziehen, warum es einen Videobeweis gibt und weshalb eine Entscheidung geändert wird. Das ist ein wesentlicher Fortschritt gegenüber der Bundesliga, wo das bisher nicht der Fall war. Zumindest in diesem Punkt kann man in Deutschland von der Weltmeisterschaft in Russland lernen.
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