Affenlaute, Beleidigungen, Nazi-Plakate: Der russische Fußball hat ein großes Problem mit Rassismus. Trotzdem stellt ein Experte einen Rückgang solcher Vorfälle fest. Dass es bei der WM bisher ruhig geblieben ist, hat aber andere Gründe.

Ein Interview

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Herr Dudek, wie groß ist das Problem mit Rassismus in russischen Fußballstadien?

Thomas Dudek: In den vergangenen Jahren hat sich einiges zum Positiven verändert. Während 2008 zum Beispiel noch Fratria, der Dachverband der Fans von Spartak Moskau, den Geburtstag von Adolf Hitler mit einem Transparent feierte und Hakenkreuzflaggen oder keltische Kreuze in den Kurven schon fast zum Alltag gehörten, sind diese quasi verschwunden.

Geschuldet ist das den russischen Gesetzen, die 2014 noch einmal verschärft wurden. Das bedeutet aber nicht, dass damit der Rassismus aus den russischen Stadien verschwunden ist.

"Russland mangelt es an Sensibilität für Rassismus"

Besonders Affenlaute gegen schwarze Spieler scheinen an der Tagesordung zu sein. Stimmt dieser Eindruck?

Ja. Allein der Blick auf die letzten Monate vor der WM bestätigt das. Beim Freundschaftsspiel zwischen Russland und Frankreich im März wurden die französischen Nationalspieler Paul Pogba und Ousmane Dembélé rassistisch beleidigt.

Kurz darauf waren beim russischen Pokal-Halbfinale zwischen Spartak Moskau und dem FK Tosno Affenlaute gegen den kapverdischen Tosno-Profi Nuno Rocha zu hören.

Die UEFA hat in der vergangenen Saison mehrere Strafen gegen russische Klubs ausgesprochen aufgrund von rassistischem Fehlverhalten der Fans. Das sind Vorfälle, die eigentlich alles über die Situation sagen.

Eigentlich?

Trotzdem muss man auch hier hinzufügen, dass die Vorfälle langsam zurückgehen. Das zeigen Statistiken des SOVA-Centers, das sich seit Jahren mit Rechtsextremismus in Russland beschäftigt.

Sind es nur Rechtsextreme, die sich rassistisch äußern?

Nein. Für solche unschönen Vorfälle sind nicht nur Rassisten verantwortlich, sondern auch ganz normale Durchschnittsfans.

Und auch wenn sich dies seltsam anhören mag: Viele von ihnen haben dabei nicht mal böse Hintergedanken. Sie wollen einfach nur die gegnerischen Spieler verunsichern. Der russischen Gesellschaft fehlt ganz einfach die Sensibilität für Rassismus.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ja. Als im Januar Spartak Moskau auf Twitter ein Video aus dem Trainingslager in den Vereinigten Arabischen Emiraten veröffentlichte, auf dem einige brasilianische Profis trainierten und dazu die Überschrift "So schmilzt die Schokolade in der Sonne" zu lesen war, konnte man in Russland die westliche Empörung nicht verstehen.

Für viele russische Journalisten war es nur ein schlechter Scherz. So wurden in Russland mehrere rassistische Vorfälle beurteilt, die im Westen für negative Schlagzeilen sorgten.

Dunkelhäutige und Menschen aus dem Kaukasus häufig Ziel von Rassismus

Gibt es Gruppen, die besonders von Anfeindungen betroffen sind?

Natürlich dunkelhäutige Profis, egal ob aus Afrika oder Südamerika. Doch der Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit richten sich auch gegen Volksgruppen, die in der Russischen Föderation oder in der früheren Sowjetunion lebten, vor allem gegen Menschen aus dem Kaukasus.

So fanden 2010 und 2013 in Moskau mehrtätige Pogrome statt, bei denen Spartak-Moskau-Hooligans Jagd auf ausländische Arbeiter machten. Wenn es zu Spielen zwischen Teams wie Dynamo Moskau und Achmat Grosny kommt, sind rassistische Vorfälle auch nichts Ungewöhnliches.

Vor einigen Jahren wurden diese Spiele sogar von Ultras aus Moskau, St. Petersburg oder Perm boykottiert. So wollten sie zeigen, dass sie im Vielvölkerstaat Russland eine Liga mit nur russischen Teams haben wollen.

Ist der Rassismus im russischen Fußball größer als in anderen europäischen Ligen?

Da muss man etwas vorsichtig sein. Egal ob in der Ukraine, Polen oder Russland: Rassismus ist ein Problem, das die meisten osteuropäischen Stadien betrifft. Die Gründe sind vielfältig.

Welche Gründe gibt es?

Über Jahrzehnte kommunistischer Diktatur waren diese Gesellschaften von der Welt abgeriegelt. Sie lernten nicht, mit anderen Kulturen zusammenzuleben.

In Russland kommt noch hinzu, dass Vorurteile, die schon zu Sowjetzeiten zum Beispiel gegenüber Kaukasiern herrschten, in den 1990er Jahren durch Arbeitsmigration, vor allem aber durch die zwei Tschetschenienkriege, noch verstärkt wurden.

Das spiegelt sich auch in den Stadien wieder. Aber wenn wir mit dem Finger auf Russland zeigen, sollten wir nicht vergessen, dass zum Beispiel auch der italienische Fußball in den vergangenen Jahren durch rassistische Skandale für negative Schlagzeilen sorgte. Und auch in Deutschland gab es leider solche unschöne Vorfälle.

Was wird in Russland gegen Rassismus unternommen?

Was macht der russische Fußballverband RFS, um das Problem zu lösen?

Der russische Verband hat über Jahre nichts unternommen. Teilweise haben die Funktionäre sogar die Augen davor verschlossen - in der Hoffnung, das Problem klein reden zu können.

Kleines Beispiel: Als vor zwei Jahren beim Derby zwischen Spartak und ZSKA Moskau Spartak-Ultras neben dem Gebrauch von Pyro ihre Gegner mit antisemitischen Plakaten beleidigten, sprach der Verband nur Strafen wegen Pyrotechnik aus.

Seit einem Jahr hat der Verband mit dem Ex-Profi Alexej Smertin zwar einen Anti-Rassismus-Beauftragten, doch ob Smertin die richtige Person für das Amt ist, bezweifele ich.

Warum?

In der Vergangenheit behauptete Smertin, dass es im russischen Fußball keinen Rassismus gäbe. Aber immerhin spricht der Verband nun seit einem Jahr Strafen wegen rassistischer und fremdenfeindlicher Vorfälle aus und versucht auch durch Bildungsprogramme, etwas zu verändern.

Was tun die Vereine?

Was ich zum Verband erzählt habe, galt lange auch für die Vereine. So hat beispielsweise ZSKA Moskau Yaya Touré, als dieser sich 2013 nach einem Champions-League-Gastspiel mit seinem damaligen Klub Manchester City in Moskau über rassistische Beleidigungen beklagte, zunächst als Lügner dargestellt.

Mittlerweile hat sich bei dem ehemaligen Armeeklub etwas getan: Es gibt Anti-Rassismus-Kampagnen, so wie bei einigen anderen großen Klubs.

Bei den kleinen Klubs sieht das leider noch anders aus, weil sie teilweise mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben und daher gar nicht die Mittel besitzen, etwas zu tun. Hinzu kommt fehlendes Interesse.

Es gibt mit "ZSKA-Fans gegen Rassismus" nur eine antirassistische Basisbewegung im russischen Fußball. Warum?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens ist es im heutigen Russland schwierig, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren, da der Staat solchen Initiativen misstraut. Zweitens fehlt die Unterstützung der Vereine, Verbände und Kommunen. Und drittens ist es auch gefährlich.

Robert Ustian, der Inititator von "CSKA Fans Against Racism" kann sich bis heute keine Dauerkarte kaufen, weil seine Personendaten so in die falschen Hände geraten könnten, sprich in die von rechtsradikalen Hooligans. Aber wie ich von Ustian gehört habe, planen Fans eines anderen Vereins eine ähnliche Initiative. Wollen wir hoffen, dass es klappt.

Die russischen Behörden sind im Vorfeld der WM sehr rigoros gegen die größtenteils rechtsextreme Hooligan-Szene vorgegangen. Ein geeignetes Mittel, um dem Problem zu begegnen?

Das ist die spannendste Frage rund um die WM. In Russland, aber auch im Westen konzentriert man sich so sehr auf die vier Turnierwochen, dass man sich gar nicht die Frage stellt, was nach der WM passieren wird.

Ich habe meine Zweifel, ob allein staatliche Maßnahmen, also Hausbesuche und Warnungen an Hooligans durch die Sicherheitsbehörden, das Problem dauerhaft lösen werden.

Die Strukturen und Vernetzungen der Hooligans bleiben ja bestehen. Sie reichen mittlerweile bis in den Westen. Was fehlt sind sozialpädagogische Programme, so ähnlich wie in Deutschland die Fanprojekte. Im heutigen Russland sind solche Programme wegen der politischen Strukturen aber leider unmöglich.

Thomas Dudek (Jahrgang 1975) ist freier Journalist mit Schwerpunkt Osteuropa und Sport. Er beschäftigt sich unter anderem mit Rechtsextremismus und Hooliganismus in Russland.
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