Die deutsche Handball-Nationalmannschaft steht im Viertelfinale der WM und trifft am Mittwochabend auf Portugal. Tausende Plätze werden leer bleiben. Im Interview findet Ex-DHB-Star Patrick Groetzki deutliche Worte dazu und erklärt, wie die Überraschungsmannschaft aus Portugal zu schlagen ist.
Portugal gehört bei dieser Handball-WM zu den großen Überraschungen des Turniers. Ihre Hauptrundengruppe schlossen die Südeuropäer auf dem ersten Platz ab, noch vor den großen Handball-Nationen Schweden, Spanien und Norwegen. Im Viertelfinale geht es nun gegen die deutsche Nationalmannschaft, die in ihrer Hauptrundengruppe hinter Titelfavorit Dänemark Zweiter wurde.
Einer, der sich mit Handball-Weltmeisterschaften auskennt, ist Patrick Groetzki. Der Rechtsaußen nahm an insgesamt sieben WM-Turnieren teil, damit ist er gemeinsam mit Torwart
Herr Groetzki, das selbsternannte Minimalziel Viertelfinale ist erreicht. Also eigentlich alles gut im deutschen Team – oder?
Patrick Groetzki: Ja, bisher schon. Auch wenn ich nicht denke, dass man ganz hundertprozentig zufrieden ist mit den gezeigten Leistungen. In der Vor- und Hauptrunde haben sie sich wohl schon ein bisschen mehr Flow vorgestellt. Da waren ein paar Spiele dabei, die zumindest in der ersten Halbzeit knapp waren. Aber am Ende hat sich dann, und das ist ja auch ein gutes Zeichen, die Qualität durchgesetzt. Die Jungs sind dann auch so weit, dass sie in den entscheidenden Phasen die richtigen Entscheidungen treffen. Daraus kann man schon Selbstvertrauen ziehen.
Sie haben es gerade schon angesprochen, bei den bisherigen WM-Auftritten war es schon auffällig, dass das deutsche Team nie so wirklich gut ins Spiel gekommen ist. Wie erklären Sie sich diese Schwächen zum Start?
Eine hundertprozentige Erklärung habe ich dafür nicht. Ich glaube schon, dass es nicht immer so einfach ist, das sieht man bei allen Mannschaften. Durch die recht kurze Vorbereitungsphase vor dem Turnier sieht es bei allen Mannschaften zu Beginn etwas hakelig aus. Darüber hinaus, das ist aber auch nur eine Interpretation von mir, ist es jetzt natürlich auch so, dass man mit der Silbermedaille von den Olympischen Spielen anders von den anderen Teams wahrgenommen wird. Alle Mannschaften wollen Deutschland ein Schnippchen schlagen und sind da vielleicht nochmal ein besonderes Stück motiviert. Mit diesem Druck und der anderen Erwartungserhaltung, auch an sich selbst, muss man erstmal klarkommen. Die Jungs haben es dann trotzdem richtig gut gemacht, weil am Ende die Punkteausbeute gestimmt hat.
Gibt es sonst einen Punkt im deutschen Team, bei dem Sie noch Luft nach oben sehen?
Es war bisher ein bisschen unterschiedlich. Gegen Dänemark war die Abwehr nicht ganz so gut. In den anderen Spielen hat man dann am Ende wirklich ein Bollwerk aufgebaut. In einem anderen Spiel war das Angriffsspiel ein bisschen holprig. Es war schon recht unterschiedlich, finde ich, von Spiel zu Spiel. Aber am Ende überwiegen trotzdem die positiven Aspekte und die Punkte, aus denen man Selbstvertrauen ziehen kann.
Und zwar?
Die Mannschaft hat sich über die Spiele gesteigert, einzelne Spieler sind im Verlauf besser geworden. Wenn ich zum Beispiel
Groetzki über die Stärken der Portugiesen
Im Viertelfinale geht es jetzt gegen Portugal, die sich in ihrer Hauptrundengruppe vor Norwegen, Spanien und Schweden durchsetzen konnten. Wie gefährlich sind die Portugiesen wirklich und wo liegen ihre Stärken?
Die Portugiesen sind sehr gefährlich. Wenn man vorher gesagt hätte, dass man als Gruppenzweiter der Hauptrunde auf Portugal trifft, dann hätten das viele unterschrieben. Ich glaube, der Großteil hätte da schon mit Norwegen, Schweden oder Spanien gerechnet. Deshalb ist das erstmal eine Überraschung, dass sie sich da als Erster auch durchgesetzt haben. Mit den Costa-Brüdern haben sie zwei der größten Talente im Welthandball im Kader. Die Portugiesen sind eingespielt und auf jeder Position gut vertreten. Sie sind in der Breite gut besetzt und haben Spieler, die auch von der Bank Impulse setzen können.
Wo könnte die Chance für Deutschland liegen?
Portugal spielt einen sehr leidenschaftlichen Handball. Da liegt eine kleine Chance, weil bei ihnen der Ärgernisfaktor, wenn mal ein Pfiff nicht kommt oder ein Foul ihrer Meinung nach zu hart ist, höher ist als bei anderen europäischen Mannschaften. Da geht schon die Emotion ab und zu mit ihnen durch. Wenn man sonst eine "Schwäche" nennen kann, sind das vielleicht die Torhüter, die im Vergleich zu den anderen Viertelfinalisten international nicht auf dem besten Niveau sind. Portugal versucht immer, viele Tore zu machen – dementsprechend kassieren sie aber auch immer recht viel. Wenn Deutschland es schafft, den Angriff der Portugiesen gut zu kontrollieren, dann brauchen wir uns hoffentlich keine Sorgen zu machen.
Dann geht es wahrscheinlich wieder gegen die Dänen, gegen die es bei der WM schon eine heftige Niederlage gegeben hat. Wie kann das deutsche Team diesmal für eine Überraschung sorgen?
Ich glaube der Grundstein muss in der Defensive liegen. Da waren sie im Gruppenspiel ein bisschen zu lieb. Die Chance liegt darin, sich ein bisschen am Rande der Legalität zu bewegen und vielleicht auch mal darüber hinauszugehen, um ein Zeichen zu setzen. Abgesehen davon muss natürlich ganz viel passen, um gegen die aktuell beste Mannschaft der Welt gewinnen zu können. Aber ich glaube schon, dass man in so einem Halbfinale auf jeden Fall eine Chance hat.
Was bei dieser WM extrem auffällt: Das große Zuschauerinteresse vor Ort scheint nicht da zu sein, oft bleiben Tausende Plätze in den Hallen leer, auch für das deutsche Viertelfinale. Woran liegt das Ihrer Meinung nach und war das bei Ihren WM-Teilnahmen auch so?
Wenn ich an die Vergangenheit zurückdenke, war das – wenn man sich außerhalb von Deutschland, Frankreich und Dänemark befindet – eigentlich immer so. Ich kann mich an ein WM-Achtelfinale in Barcelona erinnern, als wir gegen Mazedonien gespielt haben. Da haben wir in der Olympiahalle, wo auch über 10.000 Zuschauer reinpassen, vor vielleicht 2.000 Zuschauern gespielt – wenn es überhaupt hochkommt. Und bei anderen Turnieren sah das nicht groß anders aus. Da wird es dann voll, wenn die Heimmannschaft spielt und vielleicht noch, wenn es dann in die Endrunde geht. Man muss ganz ehrlich sagen, wenn die Turniere nicht in den drei großen Ländern im Handball, was die Veranstaltungen angeht, stattfinden, dann wird es da schon schwierig. Das ist schade für die Spieler, schade auch für den Sport im Allgemeinen und wie es dann auch im Fernsehen rüberkommt.
Inwiefern?
Ich habe ein Spiel in Varazdin gesehen, als Ungarn gegen Österreich gespielt hat. Da hat es die Kameraeinstellung aufs Spielfeld etwas kaschiert. Aber wenn man dann mal in der Halbzeit eine Totale gesehen hat, dann hat man schon gesehen, wie wenig da eigentlich los war. Es ist ein Spagat: Man will und muss den Handball auch in Länder bringen, wo er vielleicht noch nicht so groß ist. Aber dann darf man sich auch nicht darüber beschweren, wenn die Hallen nicht brutal voll werden. Aber wenn man jetzt zum Beispiel an Norwegen denkt, das ja schon ein Handball-Land ist, dann ist das schon sehr schade. Was man ganz klar feststellen muss: Es ist so eines großen Turniers nicht würdig, dass für ein Viertelfinale nur 4.000 oder 5.000 Karten verkauft werden.
Groetzki plädiert für Handball-WM in Südamerika
Stefan Kretzschmar sprach angesichts der allgemeinen globalen Entwicklung – nicht nur bei dieser WM – zuletzt sogar vom "Tod unserer Sportart". Sehen Sie die Lage im Welthandball ähnlich prekär wie er?
Vielleicht war es etwas überspitzt formuliert, aber prinzipiell finde ich das richtig. Man spürt die Auswirkungen vielleicht noch nicht jetzt oder in fünf Jahren, aber wenn es so weitergeht, dann wird man schon spüren, dass der Handball global eine immer kleinere Rolle spielt. Eben auch deshalb, weil man die großen Turniere immer in den gleichen Ländern hat. Ich sehe keinen Plan von den internationalen Verbänden, den Handball auch in Ländern zu fördern, wo er vielleicht nicht so groß ist – wo es aber vielleicht Potenzial gibt. Wie schafft man zum Beispiel die entsprechenden Strukturen in Ländern wie Großbritannien oder kleineren europäischen Ländern wie Bulgarien oder der Slowakei? Wie schafft man es dort, die Leute für den Handballsport zu begeistern? In Großbritannien gibt es einen Riesenmarkt, aber dort hat der Handball sicherlich keine Tradition, manche Leute dort kennen Handball wahrscheinlich nicht einmal. Die Verbände müssen sich die Frage stellen: Wie kann man so ein Land weiter fördern, damit der Handball dort zumindest eine immer größere Rolle spielen kann? Ideen dazu werden ja bereits diskutiert.
Die da wären?
Die Verbände verdienen natürlich auch immer viel Geld bei Welt- und Europameisterschaften. Das ist sicher auch ein Grund, warum die Meisterschaften im Zwei-Jahres-Rhythmus stattfinden und nicht im Vier-Jahres-Rhythmus, wie beispielsweise beim Fußball. Dann muss der Verband vielleicht auch mal in eine Meisterschaft in einem Land investieren, wo der Handball noch nicht so groß ist. Am Ende gibt es dann kein großes Plus, sondern man geht eher mit einer schwarzen Null oder einem kleinen Minus raus, aber dafür wird international weiter in den Handball investiert. Man muss das große Ganze sehen.
Angenommen die WM 2027 wäre noch nicht vergeben und Sie hätten die alleinige Entscheidung, wo dieses Turnier stattfindet: Wo würden Sie es stattfinden lassen?
Ich hatte meine Junioren-Weltmeisterschaft in Ägypten und dort war eine fantastische Stimmung in den Hallen. Klar, 2021 war erst eine Weltmeisterschaft in Ägypten, aber da durften keine Zuschauer rein. Ägypten wäre ein guter Markt, es ist ein handballbegeistertes Volk. Südamerika wäre auch eine Option, um den Handball dort zu fördern. Man sieht ja auch, dass Brasilien und davor auch Argentinien wirklich eine gute Rolle spielen können. Die Sache ist natürlich in diesen Ländern immer, wie die infrastrukturellen Verhältnisse sind. Und das steht dann auf einem ganz anderen Blatt Papier. Aber solche Austragungsländer fände ich schon mal interessanter, um dem Handball dann wieder eine globalere Bühne geben zu können.
Groetzki spricht über seine Zukunft bei den Rhein-Neckar Löwen
Sie hatten in Ihrer Karriere vor großen Turnieren immer wieder extremes Verletzungspech. Blicken Sie wehmütig auf diese verpassten Chancen zurück?
An sich habe ich den Blick immer nach vorne gerichtet. Trotz alledem war die Karriere in der Nationalmannschaft jetzt nicht so von den großen Erfolgen geprägt – auch weil ich ein bisschen Pech mit Verletzungen hatte. Ich trauere dem nicht nach. Dinge sollen dann vielleicht auch manchmal so sein, wie sie sind. Natürlich gibt es ein kleines weinendes Auge, wenn ich an die Nationalmannschaftszeit zurückdenke. Trotzdem überwiegen da die schönen Momente und die coolen und spannenden Leute, die ich auf dem Weg kennengelernt habe.
Sie spielen seit 2007 für die Rhein-Neckar Löwen, ihr Vertrag läuft im Sommer 2026 aus. Wie geht es danach weiter – machen Sie die 20 Jahre bei den Löwen voll?
Es spielt mittlerweile schon eine Rolle in meinem Kopf, wie es dann weitergeht. Ich werde kurz nach Vertragsende 37. Da sind schon Gedanken in meinem Kopf, wie es weitergeht. Ich habe versucht, mich neben dem Handball auf alles vorzubereiten, was danach kommt. Ich bin gerade dabei, meine Masterarbeit zu schreiben und den Studiengang erfolgreich abzuschließen. Ich denke, im nächsten halben Jahr wird sich zeigen, wie meine Motivation ist, was mein Körper sagt und ob ich dann noch weiter Handball spielen möchte. Im Moment, wenn ich in mich reinhöre, bin ich mir einfach noch nicht sicher. Ich würde sagen, 60 zu 40 Prozent wird es eher auf ein Karriereende hinauslaufen.
Über den Gesprächspartner
- Patrick Groetzki feierte 2009 sein Debüt in der deutschen A-Nationalmannschaft, er nahm an insgesamt sieben Weltmeisterschaften teil. Sein größter Erfolg mit der DHB-Auswahl: Bronze bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio sowie Junioren-Weltmeister 2009 in Ägypten. Seit 2007 spielt Groetzki für den Rhein-Neckar Löwen in der Handball-Bundesliga.
Verwendete Quellen
- Interview mit Patrick Groetzki
- sport1.de: Handball-Legende schlägt Alarm
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.