ARD und ZDF berichten über 60 Stunden lang von den Paralympics aus Paris, diesmal sogar auch zur Primetime. Wir haben uns die Übertragung zur besten Sendezeit angeschaut. Dabei gab es eine Goldmedaille, aber auch Luft nach oben.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Andreas Reiners dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Das Ende der großen Premiere verlief dann doch etwas unglücklich. Auch wenn ARD-Experte Heinrich Popow Verständnis hatte – ein Interview mit Paralympics-Topstar Markus Rehm nach dessen vierter Weitsprung-Goldmedaille hätte den ersten paralympischen Primetime-Abend im Ersten definitiv abgerundet. Doch der Hauptdarsteller ließ sich völlig zurecht erst einmal ausgiebig feiern, drehte eine Ehrenrunde im Stade de France. Was soll sich Rehm nach seinem Triumph auch um die ARD-Sendezeit scheren?

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"Das ist ein Moment, den man nicht zu Ende gehen lassen will. Familie, Freunde, es sind ja auch alle hier", sagte Popow. "Es ist so erleichternd, es tut gut. Deswegen kann ich verstehen, dass er noch nicht hier ist."

Rehm schaute nicht mehr rechtzeitig vorbei, nach 120 Minuten Paralympics zur besten Sendezeit war Schluss in der ARD, die Tagesthemen waren dran. Warum die Flexibilität für eine spontane Überziehung fehlte, blieb unklar. Immerhin waren die deutschen Rollstuhlbasketballerinnen auch noch im Einsatz.

Warten auf die Mediathek

Wer Rehms Reaktionen auf seinen insgesamt fünften Triumph bei den Paralympics sehen wollte, musste darauf warten, bis ein Video davon am späten Abend den Weg in die Mediathek fand. Das ist nicht schlimm, war aber das fehlende i-Tüpfelchen auf dem ersten paralympischen Primetime-Abend, der sonst durchaus gelungen war.

Stephanie Müller-Spirra moderierte souverän und locker aus dem Studio am Eiffelturm. Sina Braun, Popow und Tim Tonder berichteten von der Para-Leichtathletik, die an diesem Abend im Fokus stand. Tonder verstand es, bei den diversen Wettbewerben zu erklären, welche Klassifizierungen es gab, ohne dabei mit zu vielen Details zu verwirren, sodass die Leistungen der Athleten im Mittelpunkt standen.

Dabei streute er immer wieder Anekdoten ein. Dass Rehms Konkurrent Derek Loccident zum Beispiel auch Football spielt. Oder dass Jarryd Wallace Motivationsprobleme nach einer Medaille über 200 Meter hatte – und zum Weitsprung wechselte.

Rehm wiederum ist Orthopädietechniker-Meister und baut seine Prothesen selbst, was laut Tonder nicht immer von Vorteil ist, weil Rehm auch mal dazu neigt, zu viel zu tüfteln. Auch die sportliche Sicht erläuterte er, denn Rehm war zwar die ganze Zeit über in Führung, die auch nie wirklich gefährdet war, doch eine herausragende Saison absolvierte er nicht. Der 36-Jährige hatte sich für Paris deutlich mehr vorgenommen als 8,13 Meter. Das mag Grundwissen bei Fans sein, der spontane Zuseher bekam neben den sportlichen Leistungen dadurch leicht verdauliche Hintergrundinfos serviert.

ARD bekommt Spagat hin

Die ARD bekam den Spagat recht gut hin, zur Primetime nicht nur die Zuschauerinnen und Zuschauer zu bedienen, die sowieso regelmäßig dabei sind und sich auskennen, sondern auch jene, die möglicherweise aufgrund der Sendezeit erstmals zugeschaltet haben. Denn die sollen schließlich langfristig für den Parasport begeistert werden.

Dass die 120 Minuten dafür vielleicht etwas zu kurz waren, bewies nicht nur das "Schweigen" Rehms, sondern auch die beiden lediglich ein paar Minuten dauernden Schalten zu den Rollstuhlbasketballerinnen. Hier hätte man eine gewisse Länge im etwas schleppend verlaufenen Weitsprung-Wettbewerb für etwas mehr Abwechslung nutzen können.

Auch das Interview mit Silber-Reiterin Regine Mispelkamp war mit fünf Minuten etwas kurz geraten. Dabei hatte die 53-Jährige schöne Einblicke in den unterhaltsamen Charakter ihres Pferdes Highlander Delight's gewährt. Dafür wurde der Zuschauer mit sportlichen Rückblicken auf den Tag ausreichend informiert.

Das Schöne: Die Paralympics fristen in ARD und ZDF längst kein Nischendasein mehr. Insgesamt werden 60 Stunden der Wettkämpfe in Paris bei ARD und ZDF live übertragen, vor allem am Vor- und Nachmittag. Hinzu kommen 100 Stunden in ausgewählten Livestreams. "Das ist ausbaufähig, aber wir gehen Schritt für Schritt voran", hatte Karl Quade, der Chef de Mission des deutschen Teams, im Gespräch mit unserer Redaktion gesagt.

Es gibt auch Kritik

Dass noch Luft nach oben ist, ergibt sich aus dem im Vergleich zu den Olympischen Spielen abgespeckten Programm automatisch. Der Deutsche Behindertensportverband verwies am Mittwoch auf einen Wermutstropfen, der zuvor medial bereits kritisiert worden war. So wurden der überraschende Gewinn der Goldmedaille von Rollstuhlfechter Maurice Schmidt sowie der Triumph von Para-Sportschützin Natascha Hiltrop nicht im Livestream gezeigt.

"Diese Lücken in der Berichterstattung sind bedauerlich, da sie den Zuschauer*innen die Möglichkeit nehmen, die Vielfalt und die Faszination des paralympischen Sports in vollem Umfang zu erleben. Dieser Unmut erreicht uns in zahlreichen Zuschriften – und geht weit über enttäuschte Familien und Freunde unserer Athlet*innen hinaus", sagte DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher.

Am Freitag läuft Parasport wieder in der Primetime

Über 100 Stunden im Livestream, die Premiere in der Primetime und generell attraktive Sendezeiten seien tolle Fortschritte, über man sich freue, betonte Beucher. "Doch wenn viele Wettkämpfe in Deutschland nicht verfolgt werden können, dann wollen und werden wir uns nicht zufrieden zurücklehnen, sondern weiter für mehr Sichtbarkeit für den Parasport kämpfen."

Eine weitere gute Möglichkeit gibt es bereits am Freitag. Dann steht in der ARD der nächste Primetime-Abend an.

Verwendete Quellen

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