• Karl Geigers Desaster am Bergisel in Innsbruck steht stellvertretend für das maue Abschneiden der DSV-Adler bei der Tournee.
  • Finden die deutschen Skispringer in dieser Saison noch heraus aus ihrem Leistungsloch?
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Stefan Rommel sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

"Ich bin ganz offen: Nach so einem Tag wie gestern gehe ich nicht mit einem Grinsen von der Schanze und sage: 'Alles gut'. Sondern es ärgert mich ein wenig, weil ich realistisch genug bin und versuche, mich nicht hinein zu steigern."

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Das hat Karl Geiger am Tag nach dem Neujahrsspringen gesagt. Da war im Grunde klar, dass es mit dem Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee wohl eher nichts mehr wird. Geiger hatte ein paar Probleme mit der Skisprungschanze in Garmisch-Partenkirchen, den Kontakt zur Spitzengruppe konnte Geiger aber mit 17 Punkten Rückstand auf Platz drei aber noch einigermaßen halten.

Dann kam am Dienstag Innsbruck mit seiner tückenhaften Bergisel-Schanze, die Qualifikation. Formsache für einen Springer seiner Klasse, aber Geiger landete nach einer völlig vermasselten Darbietung auf Platz 51 - und damit einen Rang hinter dem Klassement der 50 Besten, denen ein Auftritt im Wettkampf gewährt wird.

Für Karl Geiger, so etwas wie die einzige deutsche Hoffnung in einer ohnehin schon schwierigen Tournee in diesem Winter, war das erste Highlight der Saison damit schon nach der Hälfte wieder vorbei. Und aus dem Problem, die Tournee womöglich nicht mehr gewinnen zu können, wurde ein kleines Desaster.

Die Saison ist noch lang

"Ich war genau so geschockt wie der Karle selber", sagte DSV-Sportdirektor Horst Hüttel am Tag nach dem faktischen Tournee-Aus seines besten Springers. "Wir haben mit Vielem gerechnet - aber damit nicht! Das war schon sehr, sehr bitter, ein richtiger Nackenschlag."

Seine Springer, allen voran Geiger, hatte Hüttel noch in Reichweite des Podiums gesehen. Mit dessen Aus und schon zweifach verpassten zweiten Durchgängen von Markus Eisenbichler, immerhin ein sechsfacher Weltmeister, fällt das Fazit nach drei von vier Springen aber ernüchternd aus.

"Das tut schon sehr weh. Wir sind eigentlich gut in die Tournee gestartet, jetzt aber ziemlich weit zurückgefallen", sagte Bundestrainer Stefan Horngacher in der "Sportschau". "Das ist eine schwierige Situation, aber wir dürfen nicht den Kopf in den Sand stecken."

Wobei die Frage steht im Raum, was dieser massive Rückschlag mit Karl Geiger nun macht im Hinblick auf den Rest der Saison. Die ist ja noch fast vier Monate lang und schickt die Springer noch zu elf unterschiedlichen Austragungsorten, mit dem zweiten großen Highlight der Welttitelkämpfe Ende Februar in Planica/Slowenien.

Geiger: "Das war Murks"

Nach einem schleppenden Saisonstart - vor der Tournee gab es erst einen Podestplatz für das DSV-Team - hatte sich Geiger zuletzt immer näher herangepirscht an die Besten, an den Slowenen Anze Lanisek, den Weltcupführenden Dawid Kubacki aus Polen und den Norweger Halvor Egner Granerud. In einzelnen Sprüngen hatte Geiger gezeigt, dass er wieder dran ist an der Weltspitze und dass in jedem seiner Versuche das Potenzial für einen Siegessprung stecken kann.

Wie zerbrechlich die Fortschritte aber immer noch sind, zeigte sich schon beim letzten Springen vor der kleinen Weihnachtspause. Da setzte Geiger in Engelberg einen hervorragenden Sprung in den Schnee - und stürzte dann wenige Meter nach der Landung. Und nun das Missgeschick in Innsbruck mit den 108 Metern in der Qualifikation, bei kurzem Anlauf, sehr wenig Wind und ein paar Knieproblemen.

"Das kann man nicht in Worte fassen - das war heftig", sagte Geiger unmittelbar danach im Interview mit der "Sportschau". "Den hab ich überhaupt nicht erwischt, das war Murks. Schwer zu sagen, was da schief gelaufen ist. Leider ist es passiert..."

Ausrutscher oder Trend?

Und leider könnte das ganze mühsame Aufbauarbeit damit auch wieder von vorne beginnen. Hat Geiger sich nur bei diesem einen Sprung verzockt, wollte er zu viel und wurde ein Opfer dieser gnadenlosen Schanze am Bergisel, die aus dem kleinsten Fehler die größte Enttäuschung machen kann? "Der erste Eindruck war, dass er es ein bisschen übertrieben hat", analysierte Bundestrainer Stefan Horngacher sofort nach Geigers Malheur.

Also dass es nicht an grundlegenden Dingen gelegen habe. Was an sich eine gute Nachricht wäre. Geigers Fortschritte in der Technik und beim Timing in den letzten Wochen hatten berechtigten Grund zur Hoffnung gegeben, auch Eisenbichler findet so langsam und trotz immer noch eher enttäuschender Ergebnisse wieder seinen Rhythmus.

Auch Andreas Wellinger, zuletzt von zwei Kreuzbandrissen zurückgeworfen, macht zarte Fortschritte und der junge Philipp Raimund nutzt die Gunst der Stunde und springt sich in diesen für den Verband eher tristen Tagen ins Rampenlicht.

Lichtblick Raimund und das Material als ein Ansatzpunkt

"Der Hille ist echt ein lustiger und aufgeweckter Kerl, ich würde auch sagen ein extrovertierter Kerl", lobt Geiger selbst den "Hille", also den Philipp Raimund. "Er geht auf die Leute zu. Er ist extrem unbedarft. Ich glaube, der scheißt sich einfach nix."

Auch in Innsbruck zeigte sich Raimund wenig beeindruckt von der Schanze, die nichts verzeiht: Der 22-Jährige war bester deutscher Starter, schaffte es auf Platz 13 und damit zum besten Ergebnis seiner Karriere. Deutschlands letzte Mini-Hoffnung Wellinger verpatzte seine Sprünge aber und muss auf Platz acht um seine Top-Ten-Platzierung bangen - und irgendwie hörte sich dessen Analyse an wie die seines Kumpels Geiger. "Es gibt Tage, die laufen gut. Es gibt Tage, die laufen weniger gut. Und heute war scheiße!"

Und so wird es nicht nur bei Karl Geiger spannend zu beobachten, was die Analyse der Tournee zu Tage bringt und wie sich der weitere Winter für die deutschen Springer entwickelt. Die Vierschanzentournee jedenfalls ist schon vor dem letzten Springen am Freitag in Bischofshofen ein herber Rückschlag für den DSV und könnte auch die externe Kommunikation, die trotz der ausbleibenden Erfolge zuletzt doch recht forsch und positiv war, auch beeinflussen.

Die körperliche Konstitution der Springer scheidet als Grund für die unterdurchschnittlichen Leistungen aus, das bestätigte auch DSV-Chef Hüttel. Bleiben noch das Material - also die Ski, die Anzugfläche - und der kaum messbare Faktor Selbstvertrauen. Das Material könnte ein veritabler Ansatzpunkt sein, der sich im Laufe der nächsten Wochen noch regulieren ließe.

Das fehlende Selbstvertrauen müssen sich Karl Geiger und seine Mitstreiter dann aber schon selbst wieder holen. Das geht aber nur auf der Schanze und definitiv nicht vom Hotelzimmer aus. Dorthin hatte sich Geiger am Mittwoch verschanzt und das nächste deutsche Debakel aus sicherer Entfernung verfolgt.

Verwendete Quellen:

  • sportschau.de: Hüttel über Geiger-Aus - "Ich war geschockt"
  • sportschau.de: Qualifikation in Innsbruck - Stimmen und Analyse
  • merkur.de: Deutschlands neues Skisprung-Gesicht: Der Mann, den sie "Hille" nennen, "scheißt sich einfach nix"
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