Man sagt, Fehler einzugestehen - vor allem in der Öffentlichkeit - dazu gehören Courage und Charakter. Schaut man sich die Selbstbereicherungs-Mentalität einiger Politiker an, könnte man landläufig annehmen, von beidem wäre in der aktuellen Unions-Fraktion nicht mehr allzu viel vorhanden. So scheint jedenfalls die Wahrnehmung beim Wähler zu sein. Und der entscheidet hier am Ende tatsächlich immer noch, im September sogar wieder über das Kanzleramt.
Das ist Demokratie. Auch, wenn die Querdenker- und Covidleugner-Fraktion nicht müde wird zu behaupten, selbige wäre in Deutschland schon lange abgeschafft. Aber gut, das kommt vor. Vor allem bei Zeitgenossen, die davon ausgehen, die Definition von "Meinungsfreiheit" lautete: Alle, die nicht meiner Meinung sind, sind dumme Vollidioten und darum darf ich sie selbstredend beleidigen und anpöbeln.
Was von diesen von der Abschaffung der Meinungsfreiheit unterjochten Wahrheitsrittern übrig bliebe, wenn sie sich mit ihren selbstgebastelten Schafotten, ihren Plakaten mit Regierungschefs in Gefängniskleidung oder ihren "Stürmt das Parlament"-Rufen mal in Nordkorea vor den Präsidentenpalast stellen würden statt in das von Meinungsfreiheit befreite Berlin, wird dabei selten beleuchtet. Aber in dem Zusammenhang von Leuchten zu sprechen ist ja ohnehin schwierig.
Definitiv nicht unter "Meinungsfreiheit" fällt, da ist man sich ideologieübergreifend wohl einig, eine dubiose persönliche Bereicherung von Abgeordneten. Insbesondere, wenn die fragwürdigen Erträge ausgerechnet aus Geschäften mit der Pandemie-Panik generiert wurden. Überteuerte Masken etwa. Das mag der Wähler nicht – und so läuft aktuell die Kurve aufgedeckter Korruptionsfälle umgekehrt proportional zu den Umfragewerten von CDU/CSU.
In der beliebten "Was würden Sie wählen, wenn nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre"-Erhebung wird die einstmals stolze Marktführer-Partei, die immerhin seit 2005 annähernd ungefährdet die
Eine Woche voller Entschuldigungen
Geradezu erfrischend wirkt bei all diesen trüben Nachrichten dann aber immerhin, dass die vergangenen sieben Tage als die Woche der Entschuldigungen in die Historie des Jahres 2021 eingehen werden. Quasi Los Wochos bei Sorrymachine. Angela Merkel entschuldigt sich bei allen. Dieter Bohlen entschuldigt sich bei RTL. Also, jetzt nicht im Sinne von Reue, sondern im Sinne von "ich komme nicht mehr". Und beim WDR gehören Entschuldigungen in jüngster Vergangenheit ja ohnehin zum Tagesprogramm.
Eigentlich entschuldigt sich auf die eine oder andere Art jeder, der zuletzt irgendwie in der Öffentlichkeit stand. Okay, mal abgesehen von Hendrik Streeck, dem Andi Scheuer der Hobby-Virologen. Aber der lag ja auch nur seit 12 Monaten mit jeder seiner prominenten Prophezeiungen hinsichtlich der Entwicklung von COVID-19 falsch und da sollte man während einer globalen Pandemie nicht zu streng sein. Mehr möchte ich zu Herrn
So ziemlich als einzige für nichts entschuldigt hat sich diese Woche Nena. Klar, wofür auch. Sich in Instagram-Stories bei den Teilnehmern einer in der Form nicht erlaubten Demo zu bedanken, auf der Journalisten und Journalistinnen tätlich angegriffen und antisemitische Symbole getragen wurden und das Ganze mit Musik von Xavier Naidoo zu unterlegen, das kann ja mal passieren.
Dafür gibt es zwar keinerlei Beweise, aber das heißt nichts. Behauptungen ohne Beweise als Fakten zu verkaufen, damit kann man es in der heutigen Zeit sogar wieder bis in den Bundestag schaffen, wie die AfD zuletzt beeindruckend belegen konnte. Und was heißt überhaupt "keine Beweise"? Beweise sind ohnehin Betrachtungssache. Es gab ja auch mal Zeiten, da gab es keine Beweise dafür, dass die Erde keine Scheibe ist.
Stichwort Scheibe:
Was macht Andi Scheuer eigentlich hauptberuflich?
Für ihre Entschuldigung erntete Angela Merkel übrigens flächendeckend viel Respekt, während zum Beispiel
Viele sagen, Merkel hätte sich viel eher mal dafür entschuldigen sollen, dieses Inkompetenzteam noch immer im Amt zu halten. Ja, Merkel hat die Totalausfälle in ihrem Kabinett zuletzt stets gedeckt. Also, jetzt nicht im landwirtschaftlichen Sinne. Eher im Sinne von Freibrief. Und das, obwohl beispielsweise bis heute absolut unklar ist, was jemand wie Andi Scheuer eigentlich hauptberuflich macht.
Das Land ist zerrissen. Die einen fühlen sich wie Sophie Scholl. Die anderen von einem Frosch bedroht, den Janosch eine Tigerente küssen lässt. Wieder andere möchten die Sonne verklagen, um das Klima zu retten und bis dahin erstmal an der Grenze auf Flüchtlinge schießen lassen. Einig ist man sich eigentlich nur bei der Frage, ob es in den vergangenen 12 Monaten überhaupt einen Unterschied gemacht hätte, wenn statt Jens Spahn zum Beispiel Manuel Neuer das Amt des Gesundheitsministers bekleidet hätte. Schlechter wäre es mit Sicherheit nicht gelaufen. Plus: Neuer hätte seine Luxusimmobilien sogar zum Originalpreis und in Cash erworben.
Bauchfrei statt dicker Hoodie
Als einzig akzeptable Reaktion auf diese Woche möchte ich daher an dieser Stelle offiziell ebenfalls um Entschuldigung bitten. Für meine Wochenrückblicke. Für meine pseudo-intellektuellen Versuche, verantwortliche Politiker in ein schlechtes Licht zu rücken, obwohl ich gar keine besseren Lösungsansätze liefern kann, für neidzerfressene Seichthumor-Attacken auf Prominente – und nicht zuletzt bei meiner Mutter. Dafür, dass ich damals als ich 14 Jahre alt war, morgens zur Schule immer mit einem dicken Hoodie aus dem Haus gegangen bin, diesen dann aber stets schon lange bevor das Schultor auch nur in Sichtweite war wieder in meinem Rucksack verstaut hatte und den Rest des Tages in extrem bauchfreien Oberteilen verbrachte, für die mich "Die Geissens" umgehend enterbt hätten.
Ja, so war das damals. Wir hatten ja nichts. Kein Instagram, kein Twitter, nicht mal Telegram. Wir mussten uns unsere Likes noch hart auf dem Schulhof erarbeiten. Früher war also nicht alles besser. Außer satirische Wochenrückblicke. Also bis nächsten Montag!
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