Kennen Sie diese Leute auch, deren Leben im Prinzip ausschließlich daraus besteht, auf eine Gelegenheit zu warten, in den Klugscheißer-Modus zu springen und wildfremde Menschen ungefragt an ihrem Wissen teilhaben zu lassen? Meine Lieblings-Korrektur-Neurose der letzten Monate lautet: "Die Olympiade bezeichnet die Zeit zwischen zwei Wettbewerben; das, was gerade in Paris läuft, sind die Olympischen Spiele!" Ja, Karen, du hast Recht. Und jetzt geh wieder anderen ihre eigenen Tweets auf "X" erklären.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Marie von den Benken dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Nun, in diesem Zusammenhang lautet die gute Nachricht der Woche wohl: Die Olympiade hat wieder begonnen, denn die Olympischen Spiele in Paris sind beendet. Deutschland, das Land der Dichter und Denker, hat 33 Medaillen abgeräumt. Klingt erstmal nach einer Menge Edelmetall, im Kontext früherer Olympischer Spiele relativiert sich das Ganze allerdings schnell. Noch 1984 in Los Angeles hatte Deutschland 59 Medaillen errungen und war damit zweitstärkste Nation hinter den Vereinigten Staaten. Wie in der politischen und wirtschaftlichen Realität spiegelt sich der schleichende Niedergang der Bundesrepublik inzwischen also auch auf der Weltsportbühne wider.

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Der Niedergang der stolzen Bundesrepublik

Wenn man die Leistungen noch etwas detaillierter betrachtet, sieht das Ergebnis sogar noch ernüchternder aus. Die 59 Medaillen entstanden im Jahr 1984 in 221 Wettbewerben. 2024 errang man 33 Medaillen aus 329 Wettbewerben. Mit anderen Worten: Bei den Olympischen Spielen in Paris wurden fast 50 Prozent mehr Medaillen vergeben als in Los Angeles, vor allem, weil viele Sportarten über die Jahre neu hinzugekommen sind. Das heißt aber leider auch: Inflationsbereinigt hätte Deutschland dieses Jahr also etwa 90 Medaillen holen müssen, um das Niveau von 1984 zu erreichen. Ein paar Läufer und Kämpfer anstelle der Dichter und Denker würden dem Land also guttun. Oder man wagt einen Vorstoß im Disziplinen-Portfolio.

Wäre beispielsweise das Verbreiten von Fake News olympisch, hätten wir allein mit Sahra Wagenknecht eine Top-Athletin, die uns mindestens 45 Goldmedaillen garantieren würde. Könnte man auch noch False Balance als Sportart etablieren, wäre uns mit Markus Lanz, Sandra Maischberger und Louis Klamroth über Jahre der Triple-Sieg nicht zu nehmen. So viele Breakdancer mit eigentümlichen Namen kann Kanada gar nicht produzieren, dass wir da auch nur annähernd in Medaillenspiegel-Sieg-Gefahr geraten könnten. Der einzige Lichtblick bleibt daher wohl, dass die Armada an Olympia-Experten jetzt wieder über Nacht auf Nahostexperte umschulen und uns die nächsten 23 Wochen lang erläutern werden, mit welchen kongenialen Maßnahmen sie den Gaza-Krieg schon längst beendet hätten.

Stichwort beenden: Die Ehe von Stefan Mross und Anna-Carina Woitschack ist Geschichte, die offizielle Scheidung steht bevor. Gut, in Deutschland wurden 2023 etwa 129.000 Ehen geschieden, was ist also die newsrelevante Komponente an dieser Information, fragt man sich als geneigter Leser an dieser Stelle natürlich zurecht. Nun, auch wenn die Generationen unterhalb unserer Urgroßeltern von Stefan Mross noch nie etwas gehört haben, muss man neidlos anerkennen: Mross ist in einer bestimmten Zielgruppe sowas wie ein Star. Er moderiert beispielsweise die schlagerintensive Gute-Laune-Show "Immer wieder sonntags", die überraschenderweise sonntags läuft.

Ich sage das extra dazu, weil die berühmte Zeitpunkt-Titel-Schere nicht in allen Medien so ernst genommen wird wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die nach wie vor offiziell als "Zeitung" operierende "BILD" beispielsweise hatte ihr viel zu früh eingestelltes Erfolgsformat "Viertel nach Acht" intelligenzmotivierend oft erst nach 23:00 Uhr ausgestrahlt. Das ist ein bisschen so, wie ein Abendessen bei Tim Mälzer zu gewinnen und dann kocht Gunnar Lindemann.

Haben Sie Wien schon bei Nacht gesehen?

Apropos öffentlich-rechtlicher Rundfunk: Ich würde gerne mal einen Mann treffen, der mich so sehr liebt, wie es ZDF und ARD lieben, nicht überprüfbare Fantasiezahlen der PR-Brigade der Hamas als seriöse Nachrichten zu verkaufen. Fanclubs der Hamas haben derweil in Wien einen Terroranschlag auf Konzerte von Taylor Swift geplant, konnten aber glücklicherweise erkannt und polizeilich aus dem Verkehr gezogen werden. Gleichzeitig wurden allerdings auch alle drei Konzerte der aktuell wohl erfolgreichsten Musikerin der Welt abgesagt. Angesichts Tausender Swifties, wie sich die Fans der "Shake It Off"-Ikone nennen, die teure Hotels und Flugreisen gebucht und bezahlt hatten, um ihr Idol live im Ernst-Happel-Stadion bewundern zu dürfen, sind die Absagen mit einigen schweren Enttäuschungen und horrenden Reisekosten für Fans verbunden, die nun statt "I Knew You Were Trouble" lediglich einen Citytrip nach Wien erleben müssen. Auch kulturell ein Desaster, denn der durchschnittliche Swift-Fan ist kein großer Bewunderer von Mozartkugeln und Stephansdom.

Swift selbst hat sich bis (das wollte ich immer schon mal schreiben) Redaktionsschluss noch nicht persönlich zum geplanten Anschlag und den Absagen geäußert, spendierte den enttäuschten Fans allerdings eine Gratis-Version des ansonsten Paywall-geschützten Konzertfilms "The Eras Tour" im österreichischen Free-TV. Insofern Glück im Unglück, dass die Konzertabsagen Taylor Swift betroffen haben und nicht etwa Pur. Drei Stunden Hartmut Engler und Zeilen wie "Komm mit mir ins Abenteuerland, der Eintritt kostet den Verstand" zur Primetime, das fällt ja bereits unter psychologische Kriegsführung.

Carpendale vs. Chippendale

Stichwort den Verstand kosten: Das Internet in seiner makellosen Schönheit hat viele Vorteile. Man kann beispielsweise innerhalb von Sekunden checken, ob "garnicht" gar nicht zusammengeschrieben wird, wo die nächste Eisdiele ist oder ob Winnetou eine bisexuelle Comedienne aus Österreich ist, die gerne antisemitische Witzchen erzählt. Ebenfalls in Sekundenschnelle hat man allerdings auch einen Shitstorm am Hals. Besonders, wenn man berühmt und damit also per se in der Öffentlichkeit tausendfach substanzlos kritisierbar ist.

Dieses Phänomen durfte in der vergangenen Woche Annemarie Carpendale erleben, die auf der Fototagebuch-App Instagram einen Kurzvideo-Schnappschuss aus dem New-York-Urlaub veröffentlichte. Empörungswirksam hatte sie dabei allerdings weder die Brooklyn Bridge noch das In-Hotel The Mercer oder wenigstens ein Stück Pizza von John's of Bleeker Street gefilmt, wie es sich für eine anständige Influencerin auf New-York-Besuch gehört, sondern sich selbst. Und das auch noch nackt. Okay, von den so genannten Geschlechtsorganen oder anderen expliziten Körperteilen war nichts zu sehen. Der Clip kam jugendfrei und harmlos daher. Mehr als ein wenig Rücken und Po-Ansatz war nicht zu sehen. Es war wohl mehr der Effekt eines nackten Rückens vor einem großen Skyscraper-Window, der die Illusion anheizte und gleichzeitig keinen Zweifel aufkommen ließ, dass Frau Carpendale in diesem Moment nackt vor einem Fenster steht.

Insgesamt also ein Szenario, das absolut ausreichend war, um zahllose Echauffierungs-Geschwader aus der Bubble der Berufsempörten auf den Plan und damit vor allem in die Kommentarspalten zu spülen. Als über 40-jährige Mutter sollte man sich nicht so billig zeigen. Ob sie es nötig hätte, Aufmerksamkeit mit immer weniger Textilanteil in ihren Bildern zu erregen und ähnlich hoch qualifizierte Schlaumeier-Kommentare gaben sich prompt die Klinke in die Social-Media-Tribunalhand. Ein schönes Beispiel dafür, dass man sich in Deutschland die Probleme immer noch gerne selbst aussucht. Vor allem dort, wo gar keine sind.

Was macht eigentlich der Vater von Wayne?

Die durch ihre Ehe mit dem Sohn des beruflich früher mal recht erfolgreich als Tennislehrer und anschließend als Schlagersänger agierenden Howard Carpendale bekannt gewordene Annemarie Carpendale jedenfalls hat in den vergangenen Tagen, zumindest in der Instagram-Welt, mit ihrem nackten Rücken deutlich mehr Diskussionsbereitschaft erzeugt als Klimawandel und Ukraine-Krieg zusammen. PISA-Studien-Analysten mögen das als bedenklich oder vielleicht sogar besorgniserregend einstufen, ich persönlich finde: Annemarie Carpendale sollte ab jetzt täglich ein Foto von sich veröffentlichen, auf dem sie nichts weiter trägt als einen Hauch von Eau de Wayne ein Bouquet, das zumindest bis zur Erfindung von Geruchs-Instagram leider vom Betrachter nicht wahrgenommen werden kann.

Dann wäre die Generation, die sich mehr für das anonyme Aburteilen von Fotos prominenter Frauen interessiert als für tagesaktuelle Politik und gesellschaftliche Herausforderungen, wenigstens beschäftigt und bliebe uns bei anderen Themen erspart. Es ist zwar etwas mühsam für Annemarie Carpendale, sich mit dieser selbsternannten Deppentruppe rumzuschlagen, die sich offenbar für die offizielle Nacktpolizei hält, aber da muss sie dann eben durch. "One for the team", sagt man in New York.

Somit sind Sie jetzt nicht nur bestens über den Unterschied zwischen Olympiade und Olympischen Spielen aufgeklärt, sondern auch über die Bekleidungstaktik von Annemarie Carpendale auf ihren Social-Media-Kanälen. Ein sehr guter Zeitpunkt, um den Wochenrückblick zu beenden. Ich habe ohnehin nicht mehr viel Zeit. Ich muss noch unter ein Bild von Annemarie Carpendale kommentieren, dass ich neidisch auf die Fensterscheibe in ihrem New Yorker Hotelzimmer bin, weil die sie nackt von vorne sehen darf. Wenn Sie also mal Flirttipps brauchen: Melden Sie sich gerne jederzeit bei mir. Ansonsten: Bis nächsten Montag.

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