Die neue Partei um Ex-Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht muss bis zu den ostdeutschen Wahlen im Herbst einen Spagat meistern: im großen Tempo Landesverbände aufbauen, ohne im Chaos zu versinken. Kann das klappen?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Joshua Schultheis sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Beim "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) verfolgt man einen ehrgeizigen Zeitplan. Erst im Januar gegründet, will die neue Partei schon in diesem Jahr an mehreren Urnengängen teilnehmen. Während Liste und Programm für die Europawahl im Juni bereits stehen, ist das BSW in Thüringen, Sachsen und Brandenburg noch im Aufbau begriffen. In den ostdeutschen Bundesländern wird im September gewählt.

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Bis dahin ist noch viel zu tun: Das BSW braucht in jedem Bundesland genug Kandidatinnen und Kandidaten, einen Landesverband samt Vorstand sowie möglichst viele Helfer für den Wahlkampf. Wie gut kommt die neue politische Kraft damit voran? Und welche Rolle kann sie im Osten der Republik perspektivisch spielen?

In Sachsen wurde der erste BSW-Landesverband gegründet

Am wenigsten weit sind die Planungen des BSW in Brandenburg fortgeschritten. Dort wurde bisher weder ein Landesverband angekündigt noch prominente Kandidaten vorgestellt. Auf eine entsprechende Nachfrage reagierte die Pressestelle des BSW bisher nicht. Dem Vernehmen nach ist aber auch in Brandenburg ein Verband im Aufbau. Laut eines Berichts der Tageszeitung "nd" haben sich zudem in einigen Brandenburger Gemeinden BSW-Listen gebildet, um an den dortigen Kommunalwahlen im Juni anzutreten.

In Sachsen hat das BSW dagegen die erste Hürde bereits genommen. Ende Februar wurde in Chemnitz ein Landesverband gegründet. Dessen 60 Mitglieder wählten den Unternehmer Jörg Scheibe sowie die ehemalige Linken-Bundestagsabgeordnete und Werdauer Stadträtin Sabine Zimmermann zu ihren Vorstandsvorsitzenden. Zimmermann war zuvor mit allen drei weiteren Linken-Abgeordneten in Werdau, einer Stadt im Landkreis Zwickau, geschlossen zum BSW gewechselt.

Das Beispiel zeigt: Sahra Wagenknecht setzt beim Aufbau der ostdeutschen BSW-Verbände insbesondere auf ehemalige Parteigenossen. Die Politikerin war im Oktober vergangenen Jahres aus der Linkspartei ausgetreten, um ihre eigene Partei zu gründen.

Politologe Thomeczek: BSW in "luxuriöser Ausgangsposition"

"Wagenknecht kann auf einen gewissen Pool von Linken-Politikern zurückgreifen, die ihr nahestehen und bereits Erfahrung in der Politik haben", sagt der Politologe Jan Philipp Thomeczek, der das BSW seit seiner Gründung beobachtet. Das unterscheide die Wagenknecht-Partei von der AfD oder der Piratenpartei. Dort habe es zu Beginn viele unerfahrene Mitglieder gegeben, so der Wissenschaftler von der Universität Potsdam. Ein klarerer Vorteil für das BSW, glaubt Thomeczek: "Es kann schnell zu einem Problem werden, wenn es an Professionalität mangelt."

Sahra Wagenknecht will mit ihrer neuen Partei alles richtig machen. Keine internen Querelen wie bei der Linken. Kein Chaos in der Gründungsphase wie damals bei der AfD. Deshalb gibt es beim BSW eine äußert exklusive Rekrutierungspraxis. Beitreten kann nur, wer zuvor unter strengen Augenschein des Parteivorstands genommen wurde. Bisher sind das lediglich einige hundert Personen deutschlandweit.

Die strengen Kriterien werden auch beim Aufbau der ostdeutschen Verbände angelegt. In einem Beitrag des ZDF spricht die sächsische BSW-Vorsitzende Zimmermann von etwa 300 Interessierten, die sich an sie gewandt hätten. "Aber da muss jeder einzelne noch angesprochen werden", so Zimmermann. Trotz Zeitdruck bleibt Vorsicht die oberste Devise.

"Das BSW lässt nicht jeden zu, was sich nicht alle Parteien erlauben können", sagt Politologe Thomeczek. "Das ist eine sehr luxuriöse Ausgangsposition." Bisher sei jedoch wenig bekannt darüber, wen das BSW die Mitgliedschaft verweigert hat. Öffentlich wurde aber, dass etwa der Liedermacher und äußerst kontroverse Politiker Diether Dehm, dem immer wieder das Verbreiten von Verschwörungstheorien vorgeworfen wird, bei Wagenknecht abgeblitzt ist. BSW-Experte Thomeczek vermutet, dass sich einige weitere "Querulanten" sowie ehemalige AfD-Mitglieder vergeblich um eine Mitgliedschaft bemüht haben könnten.

BSW-Politiker Schütz will AfD-Regierung in Thüringen verhindern

Den BSW-Landesverband in Thüringen baut unter anderem der Medienunternehmer Steffen Schütz mit auf. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt er, dass man dort bisher keine AfD-Mitglieder aufgenommen habe. "Wir haben viele ehemalige Politiker aus der Linken, aber auch der SPD und der CDU". In Thüringen wird ebenfalls jeder Antragsteller genau überprüft. "Wir wollen uns nicht unterwandern lassen", sagt Schütz.

Die Gründung des Thüringer Landesverbandes soll am 15. März erfolgen. Neben Schütz steht noch eine weitere BSW-Spitzenpersonalie in dem Bundesland fest: Katja Wolf, Oberbürgermeisterin von Eisenach, war im Januar von der Linkspartei zum BSW gewechselt. Selbst ein Angebot des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke), sie bei einem Wahlsieg zur Ministerin zu machen, hatte Wolf nicht von diesem Schritt abgehalten. Die erfahrene Politikerin machte deutlich: Der Linkspartei traut sie nicht mehr viel zu.

Wolfs neuer Weggefährte Steffen Schütz sagt: "Wir sind unter anderem in diese Partei gegangen, weil wir eine AfD-Regierung unter Björn Höcke verhindern wollen." AfD-Wähler wolle er aber nicht verdammen. "Wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen." Die bisherige Politik habe das versäumt und damit rechte Kräfte gestärkt. Schütz, der Unternehmer, sieht eine "Gerechtigkeitslücke" und einen Mangel an vernünftiger Politik in Deutschland. "Wir wollen einen echten Aufbruch für Thüringen", sagt er.

Wie genau der aussehen könnte, wurde bisher noch nicht ausbuchstabiert. Weder in Sachsen noch in Thüringen gibt es ein BSW-Wahlprogramm. Ein solches will man in den kommenden Wochen oder Monaten jeweils auf einem Parteitag verabschieden. In Thüringen können Bürger bis dahin über eine Website eigene Vorschläge einsenden, die in die Erarbeitung eines Programms einfließen sollen.

Wahrscheinlich wird das BSW auch bei den Wahlkämpfen in den ostdeutschen Ländern den Sound der Gesamtpartei – die sich den Beinamen "Vernunft und Gerechtigkeit" gegeben hat – beibehalten. Das heißt: Eine linke Sozialagenda kombiniert mit Wertekonservatismus und einer Entspannungspolitik gegenüber Russland. Der Nato sowie westlichen Sanktionen gegen das Putin-Regime steht man beim BSW kritisch gegenüber.

BSW könnte in Thüringen zweistelliges Ergebnis einfahren

Der Wissenschaftler Thomeczek räumt dem BSW in Ostdeutschland gute Chancen ein. In Umfragen schwanke die Partei zwar stark, eine zweistellige Prozentzahl sei aber durchaus möglich, insbesondere in Thüringen. "Das wäre für eine neue Partei ein sehr starkes Ergebnis", sagt der Experte. "Schon die fünf Prozent sind eine enorme Hürde, die es erst einmal zu überwinden gilt."

Thomeczek hat den "BSW-O-Mat" entwickelt, um herauszufinden, welche Wählergruppen besonders stark mit den Positionen der neuen Partei übereinstimmen. Das bisherige Ergebnis: Besonders große Schnittmengen gäbe es bei denjenigen, die bisher Linkspartei, SPD und AfD gewählt hätten. Auch für Wähler von Kleinstparteien wie "Die Basis", "Die Partei" oder den Freien Wählern sei das BSW attraktiv. Bei Anhängern von Union, FDP und Grünen bestehe dagegen wenig Affinität.

Der Experte sieht eine mögliche Strategie der neuen politischen Kraft bei den kommenden Landtagswahlen: "Das BSW könnte darauf abzielen, sich als Partei für die Interessen der Ostdeutschen zu positionieren, um wieder stärker als die Stimme des Ostens aufzutreten." Bisher kam diese Rolle der Linkspartei zu.

Wie entscheidend für Parteivorsitzende Sahra Wagenknecht die Wahlen im Osten sind, ließ sie bei einer Pressekonferenz des BSW in Erfurt Ende Februar durchblicken. "Thüringen ist auf jeden Fall eine sehr große Hoffnung", sagte sie am Rande der Veranstaltung. Andersherum gilt ebenso: Wagenknecht ist die größte Hoffnung für den Wahlkampf ihrer Partei. Ganz sicher wird ihr Gesicht auf den BSW-Plakaten in Ostdeutschland omnipräsent sein.

Über unsere Gesprächspartner

  • Dr. Jan Philipp Thomeczek ist promovierter Politikwissenschaftler und arbeitet an der Universität Potsdam. Dort forscht er zum deutschen Parteiensystem und zum politischen Populismus. Er hat mehrere Aufsätze zur Linkspartei sowie über Sahra Wagenknecht geschrieben und den "BSW-O-Mat" erstellt.
  • Steffen Schütz ist Geschäftsführender Gesellschafter bei "Schütz Brandcom", einer Agentur für Markenkommunikation. Der ostdeutsche Unternehmer hat sich dem "Bündnis Sahra Wagenknecht" angeschlossen und baut zusammen mit der Eisenacher Oberbürgermeisterin, Katja Wolf, den BSW-Landesverband in Thüringen auf.

Verwendete Quellen

  • Gespräche mit Jan Philipp Thomeczek, Politikwissenschaftler, und Steffen Schütz, Unternehmer und BSW-Politiker
  • nd-aktuell.de: BSW in Brandenburg: Neue Wählergruppen vor Kommunalwahlen
  • mdr.de: Wagenknecht-Bündnis stellt Weichen für Landtagswahlkampf
  • zdf.de: Bündnis Sahra Wagenknecht: Erster Landesverband in Sachsen gegründet
  • klartext-thueringen.de
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