• Friedrich Merz wird am Samstag auf dem CDU-Bundesparteitag voraussichtlich zum neuen Parteivorsitzenden gewählt.
  • Unterstützer und frühere innerparteiliche Gegner eint ein Wunsch: Sie hoffen, dass die Partei unter Merz zu Ruhe und Geschlossenheit findet.
  • Was ist von Friedrich Merz zu erwarten? Einschätzungen von den CDU-Politikern Serap Güler, Ruprecht Polenz, Philipp Amthor und Christoph Ploß.
Eine Analyse

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Vielleicht wird am Wochenende ein kollektives Aufatmen durch die CDU gehen. Zuletzt hatte sich eine Parteikrise an die andere gereiht: innerparteiliche Konflikte, zwei gescheiterte Vorsitzende, die Niederlage bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr.

Am Samstag werden die 1001 Delegierten des digitalen Bundesparteitags höchstwahrscheinlich Friedrich Merz zum neuen CDU-Vorsitzenden wählen. Sowohl seine Unterstützerinnen und Unterstützer als auch diejenigen, die auf andere Kandidaten gesetzt hatten, hoffen nun: Damit wird die Partei zur Ruhe kommen.

Klares Votum der Parteibasis

Im dritten Anlauf hat es für den 66-Jährigen geklappt. 2018 und Anfang 2021 war er beim Versuch, Parteivorsitzender zu werden, gescheitert. Im vergangenen Dezember gewann Merz dann mit 62,1 Prozent schon im ersten Wahlgang die Mitgliederbefragung gegen seine Konkurrenten Norbert Röttgen und Helge Braun. Seine Wahl zum Vorsitzenden auf dem Parteitag ist nur noch Formsache.

Dabei hat Merz bisher polarisiert. Für viele Linke ist der Rechtsanwalt aus dem Sauerland ein konservatives Feindbild. "Viel Spaß in den 90ern, liebe CDU!", twitterte die SPD-Jugendorganisation nach dem Erfolg von Merz.

Auch innerhalb der Partei hatte sich der eine oder andere Sorgen gemacht, die CDU könnte nach dem Modernisierungskurs der vergangenen Jahre eine konservative Kehrtwende in die Vergangenheit einschlagen. Dass Merz das Erscheinungsbild der CDU-geführten Bundesregierung 2019 als "grottenschlecht" brandmarkte, ließ ihn zudem nicht gerade als Teamplayer erscheinen. Auch manche seiner Unterstützer gingen intern teils aggressiv gegen die Parteiführung vor.

Müssen liberale Christdemokratinnen und Christdemokraten also Angst haben vor einem Parteichef Merz?

Ruprecht Polenz: "Er ist ein ordentlicher Kerl"

Ein klares Nein kommt von Ruprecht Polenz. Der frühere CDU-Generalsekretär verkörpert so etwas wie das liberale Gewissen der Partei, engagiert sich für Klimaschutz und einen humanen Umgang mit Geflüchteten. Einem Vorsitzenden Merz kann auch er etwas abgewinnen: "In Westfalen sagt man: Er ist ein ordentlicher Kerl. Er hat einen anständigen Charakter, ist nicht hintenrum, sondern geradeaus. Das ist immer gut für die Zusammenarbeit", sagt Polenz im Gespräch mit unserer Redaktion.

Polenz und Merz kennen sich schon lange, sie saßen zusammen im Landesvorstand der Jungen Union Westfalen-Lippe. "Das öffentliche Bild von Friedrich Merz ist sehr unvollständig", sagt Polenz. "Er hat als Fraktionsvorsitzender gezeigt, dass er eine große Bandbreite an Meinungen will und zulässt. Ich bin sicher, dass er das auch als Parteivorsitzender deutlich machen wird. Er weiß zum Beispiel, dass wir auch in der Sozialpolitik Defizite aufarbeiten müssen."

Serap Güler: "Ein 'Weiter so' kann es nicht geben"

Auf die Sozialpolitik kommt auch Serap Güler zu sprechen. Die frühere Staatsekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen ist im September in den Bundestag gewechselt. Als Tochter türkischer Gastarbeiter steht sie für eine moderne CDU, die sich scharf vom rechten Rand abgrenzt. Im Wettbewerb um den Parteivorsitz hatte sie Helge Braun, den früheren Kanzleramtsminister unter Angela Merkel, unterstützt.

Angst vor Merz hat aber auch Güler nicht. "Es spricht für Friedrich Merz, dass er deutlich gemacht hat, dass die CDU eine offene Flanke schließen muss, nämlich die Sozialpolitik", sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. "Ein 'Weiter so' kann es nicht geben, das gilt auch für unsere inhaltliche Aufstellung. Das sehen auch viele so, die Herrn Merz unterstützt haben – und da muss er liefern, das ist ganz klar."

Sehnsucht nach Geschlossenheit

Vergleiche mit der SPD zieht man in der CDU nicht so gerne. Aber gewisse Parallelen drängen sich auf. Auch die Sozialdemokratie hat Vorsitzende nach kurzer Zeit verschlissen, die nicht zuletzt an innerparteilichen Konflikten scheiterten. 2019 setzten sich dann Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als Favoriten der Basis durch. Ob es nun ihr Verdienst war, oder ob sich die Partei einfach zusammenriss – auf jeden Fall kam die SPD danach zur Ruhe.

Mehr Geschlossenheit erhofft sich jetzt auch die CDU. Seit 2015 sei die Partei inhaltlich gespalten gewesen, sagt Ruprecht Polenz. "Durch den Mitgliederentscheid, die hohe Beteiligung und das eindeutige Ergebnis für Herrn Merz ist dieser Zustand überwunden. Damit ist die Basis für Geschlossenheit gegeben, denn alle werden dieses Ergebnis respektieren und Friedrich Merz unterstützen."

"Die Mitglieder haben sich jetzt eindeutig für Friedrich Merz entschieden, und damit verdient er eine faire Chance", meint auch Serap Güler. "Ich selbst bin bereit dazu und würde mir wünschen, dass der liberale Flügel das insgesamt so sieht. Ich habe das Gefühl, dass das der Fall ist."

Güler glaubt, dass Merz alles daran setzen wird, alle Flügel einzubinden. "Er ist sich bestimmt sehr bewusst, dass die beiden vorigen Vorsitzenden auch daran gescheitert sind, dass die Partei sich nicht hinter ihnen zusammenführen ließ."

Philipp Amthor: "Es braucht die ganze Breite der Partei"

Wie sehen das diejenigen, die Merz unterstützt haben – auch aus dem Wunsch heraus, der Partei wieder ein konservativeres Profil zu verschaffen?

"Die CDU braucht jetzt keine Alleinvertretungsansprüche einzelner Flügel", betont der Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor. Er ist Chef der Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern in der Unionsfraktion und Merz-Unterstützer. "Es geht nicht um einen Rechtsruck oder um einen Linksruck, sondern es braucht jetzt die ganze Breite der Partei. In diesem Sinne sollten wir unsere Diskurse nicht von den lauten und schrillen Rändern der Gesellschaft bestimmen lassen, sondern vielleicht etwas mehr auf die oft leisere Mitte der Gesellschaft hören."

Friedrich Merz habe jetzt einen starken Führungsanspruch, sagt Amthor. Zusätzlich sei es aber gut, dass sich die gesamte Führung erneuert. Auch alle Posten in Vorstand und Präsidium werden beim Parteitag neu gewählt.

"Die aktuellen Personalvorschläge für Präsidium und Bundesvorstand zeigen dabei, dass Friedrich Merz nicht auf einen Kurs der Konfrontation, sondern auf einen Kurs der breiten Integration aller Parteiströmungen setzten wird", sagt Philipp Amthor. "Das ist der richtige Weg."

Das Land hat sich verändert – aber Friedrich Merz auch

Merz hängt immer noch das Image von früher nach, das er sich als Fraktionsvorsitzender von CDU und CSU 2000 bis 2002 erarbeitet hat. Dabei liegt diese Periode inzwischen 20 Jahre in der Vergangenheit. 2002 trat Merz aus der ersten Reihe der CDU zurück, nachdem Angela Merkel ihm den Fraktionsvorsitz abgenommen hatte. Seitdem meldete er sich nur hin und wieder zu Wort. Inzwischen hat sich das Land verändert, genau wie die CDU – und wohl auch Friedrich Merz.

Viele in der CDU halten zum Beispiel sein neues Interesse an Klimapolitik für glaubhaft. Dass Merz den Berliner Sozialpolitiker Mario Czaja zu seinem Generalsekretär machen will, gilt als kluger Schachzug. Über eine Frauenquote in der Partei will Merz nun nachdenken, mit dem Verband der Lesben und Schwulen in der Union hat er sich auch schon getroffen.

Und sogar seine angebliche Intimfeindin, Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, will er einbinden. "Ich würde mich freuen, wenn Angela Merkel und die CDU auch in Zukunft beieinander bleiben", sagte er dem "Spiegel". An ihm solle das nicht scheitern.

Christoph Ploß: "Die CDU muss zu ihren Wurzeln finden"

Trotzdem muss Merz an der Parteispitze jenen Balanceakt vollbringen, bei dem seine Vorgänger Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet das Gleichgewicht verloren hatten. Merz wird diejenigen, die ihn nicht unterstützt haben, einbinden müssen, ohne den konservativeren Teil der Partei zu verprellen.

Denn klar ist: Viele in der CDU verbinden mit Merz die Hoffnung auf eine grundlegende Neuorientierung nach den Merkel-Jahren. "Die CDU muss zu ihren Wurzeln zurückfinden, sie aber modern interpretieren", sagt der Hamburger Landesvorsitzende Christoph Ploß im Gespräch mit unserer Redaktion. "Es wurde in den vergangenen Jahren zu oft der Fehler begangen, dass teils abgeschwächt rot-grüne Positionen übernommen wurden, nur um sie abzuräumen. So haben wir viel Profil verloren."

Ploß gehört zu den jungen Christdemokraten, die nach einer stärkeren Abgrenzung von den Mitbewerbern in der politischen Mitte rufen. Im vergangenen Jahr forderte er ein Verbot der Gendersprache in staatlichen Dokumenten. "Wir brauchen wieder eine selbstbewusste bürgerliche Politik, die sich zum Beispiel klar gegen die identitätspolitischen Auswüchse der letzten Jahre positioniert", sagt Ploß.

Eine "laute, identitätspolitisch motivierte Minderheit" teile Menschen ständig in Kategorien ein, für die sie gar nichts können, wie etwa Geschlecht oder Hautfarbe. "Das führt zu einer Spaltung der Gesellschaft. Dies merken wir in den Großstädten als erstes", sagt Ploß. "Diesem von ganz links und rechts geführten Kulturkampf sollten wir uns als bürgerliche Mitte klar entgegenstellen und für gesellschaftlichen Zusammenhalt eintreten."

Viel Arbeit für den neuen Vorsitzenden

Wo positioniert sich die CDU in diesen angeblichen Kulturkämpfen? Darauf muss jetzt Friedrich Merz eine Antwort finden. Die gesellschaftlichen Konflikte, die auch die Unionsparteien intern umtreiben, sind jetzt seine Baustellen. Die Frage, wie die Partei mit dem ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten und neuerlichen Impfskeptiker Hans-Georg Maaßen umgeht, wird zum Beispiel auf seinem Schreibtisch landen.

Vier Landtagswahlen stehen in diesem Jahr an, bei drei Wahlen muss sich ein CDU-Amtsinhaber behaupten. Die offene Frage des Vorsitzes der Unionsfraktion muss der neue Parteichef ebenfalls beantworten. Bisher zeigt Amtsinhaber Ralph Brinkhaus wenig Bereitschaft, Merz den Posten zu überlassen.

Vielleicht wird also ein Aufatmen durch die Partei gehen, wenn Merz am Wochenende an ihrer Spitze steht. Doch Friedrich Merz wird wenig Zeit zum Durchatmen bleiben.

Quellen:

  • Gespräche mit Ruprecht Polenz, Serap Güler, Philipp Amthor und Christoph Ploß
  • Spiegel.de: Die wundersame Wandlung des Friedrich Merz
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