Im Oktober wird in Bayern ein neuer Ministerpräsident gewählt. Die CSU mit ihrem Parteichef Markus Söder befindet sich gerade voll im Wahlkampfmodus. Jüngst teilte Söder auf einer Demo in Erding gegen Habecks Heizgesetz aus. Nutzt der bayerische Landesvater nur gefällige Aussagen oder driftet seine Rhetorik ins Populistische ab? Darüber hat unsere Redaktion mit der CSU-Expertin und Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch., gesprochen.

Ein Interview

Frau Münch, derzeit tingelt Markus Söder von Bierzelt zu Bierzelt, von Vereinsfeier zu CSU-Ortsverbandstreffen und verteilt verbale Ohrfeigen an die Ampel. Das ist nicht mehr der ruhigere, bedachtere Markus Söder von Beginn seiner Ministerpräsidentenzeit.

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Dr. Ursula Münch: Jetzt stehen auch Landtagswahlen vor der Tür, bei denen es bekanntlich um viel geht für die CSU. Aber eine One-Man-Show sehe ich bei Söder nicht. Er beschwört wieder den Team-Gedanken, den er schon in der Corona-Zeit verbreitet hat.

Mit dem "Team Vorsicht" wollte er die Bevölkerung vor Corona schützen. Mit dem Team "Augenmaß" gab er ihr die Freiheit zurück. Steht jetzt im Wahlkampf das "Team CSU" im Vordergrund?

Der CSU-Vorsitzende weiß, dass er den Rückhalt seiner Partei braucht. Im Wahlkampf steht die CSU eng zusammen. Man hört öffentlich kein schlechtes Wort über ihn. Das war schon mal anders.

Jetzt sitzt Markus Söder schon seit fünf Jahren fest im Sattel an der Spitze des Freistaats. Nach der Landtagswahl 2018 gab es aber einige Anlaufschwierigkeiten.

Der Start war nicht grandios. Die CSU fuhr ein historisch bescheidenes Wahlergebnis ein. Da musste sich Söder erst noch beweisen – vor allem in der eigenen Partei. Aber er ist dadurch selbstbewusster geworden.

Dr. Ursula Münch
Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung, weiß, dass die CSU früher schon schärfere Töne angeschlagen hat. © Akademie für Politische Bildung

Söder schaffte es, gestärkt durch Wahlniederlagen hervorzugehen

Es folgte eine kurze Schlacht mit Armin Laschet und die anschließende Klatsche in der Bundestagswahl 2021. All das scheint ihm kaum geschadet zu haben. Im Wahlkampf wirkt er so souverän wie selten zuvor.

Söder scheint immer wieder auf die Füße zu fallen. Seine Bekanntheit national wie international kommt auch der CSU zugute. Dank ihrer Doppelrolle als bayerische Regionalpartei mit bundes- und europapolitischer Präsenz kann die CSU für sich reklamieren, als einzige Landespartei ausschließlich bayerische Interessen im Bund und weltweit zu vertreten – nicht die bayerischen Grünen und nicht die bayerische SPD. Söder ist es auch gut gelungen, nach der für die Union missglückten Bundestagswahl sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen. Nach dem Hinweis: Ich habe es ja gleich gesagt, der Laschet taugt nichts.

Markus Söder und Armin Laschet.
Zwischen Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (l.) und dem ehemaligen Kanzlerkandidaten der CDU, Armin Laschet, war die Stimmung häufig eisig. © imago/Sven Simon/Frank Hoermann

Ist diese Sonderstellung von Söder und der CSU – dass sie sich im Augenblick nur um Bayern kümmern müssen – also ein Vorteil?

Sicher, welcher deutsche Ministerpräsident ist noch so bekannt wie Markus Söder? Und der Vorteil der CSU ist, dass sie als einzige Partei sagen kann, wir stehen für Bayern, während sich die anderen Parteien nach ihren stärkeren Bundesverbänden richten müssen. Bei den Christsozialen muss man das nicht und davon – so die CSU – profitiert die Wählerschaft. Natürlich gibt es innerhalb von CDU und auch CSU Leute, die Markus Söder die Schuld für das schlechte Abschneiden der Union bei der Bundestagswahl geben. Aber öffentlich wird das nicht thematisiert und innerparteilich ist das Thema längst abgehakt.

Söder greift Stimmungen in der Bevölkerung auf

Nun gibt es die Kritik, dass Markus Söder und die CSU immer populistischere Töne im Landtagswahlkampf anschlagen. Sehen Sie das auch so?

Ministerpräsident Söder versteht es gut, Stimmungen in der Bevölkerung aufzugreifen. Es wäre auch weltfremd, in diesen Zeiten einen Wahlkampf mit moderaten Tönen führen zu wollen. Es gab in der Vergangenheit aber auch schon schärfere Aussagen in der CSU. Und im Wahlkampfmodus mit einer Ampel-Regierung in Berlin ist es normal, dass man sich an den Grünen abarbeitet. Das wird sicher nach der Landtagswahl wieder abnehmen.

Warum das?

Jedem in der CDU/CSU ist klar, dass man nach der nächsten Bundestagswahl einen Koalitionspartner braucht. Das wird wohl kaum die FDP sein – zumindest nicht allein. Und in der SPD ist die Begeisterung für eine "Groko" unter Unionsführung sehr gering.

Finden Sie also nicht, dass er mit seiner Rhetorik manchmal über die Stränge schlägt?

Die Aussagen der CSU und Söders waren auch schon früher sehr deutlich. Sieht man sich beispielsweise den Streit in der CDU/CSU im Jahr 2018 zum Thema Migration an – und da war man selbst noch Teil der Bundesregierung. Damals haben viele Beobachter der CSU vorgeworfen, sich dem Sprachgebrauch der AfD anzunähern. Jetzt sitzt die CSU in der Opposition und arbeitet sich an der Regierung und ihrem Umgang mit dem Ukraine-Krieg und dessen Folgen sowie dem Heizungsthema ab. So ging man schon bei der rot-grünen Koalition unter Schröder vor. Und auch in den 1970er Jahren bei der sozial-liberalen Koalition. Also ich fand die Rhetorik früher schärfer.

Hat Sie also an Söders jüngsten Aussagen nichts gestört?

In der Graichen-Affäre sprach er sowohl auf dem Parteitag in Nürnberg als auch auf seinen Social-Media-Kanälen von Korruption. Das halte ich für unangemessen. Es war Vetternwirtschaft und Filz, aber keine Korruption.

Söders Aussagen kommen bei einem großen Teil der Bevölkerung gut an

Wenn Söder also keinen Populismus betreibt, wie würden Sie dann seinen Wahlkampf beschreiben?

Er setzt auf Themen, die in der Bevölkerung hitzig diskutiert werden, und das macht er ausgesprochen geschickt. Er transportiert einfache Wahrheiten und erzeugt schnell herstellbare Bilder im Kopf; so erspart er den Zuhörern die lästigen Details. Damit trifft man nicht nur die Seele der CSU-Wählerschaft, sondern auch die eines relativ großen Teils der Bevölkerung. Sicher sind es grobe Vereinfachungen, aber die kommen gut an. Das amüsiert die Leute und ist leichter vermittelbar als das schwierige Heiz-Thema oder Windenergie.

Aber genau das sind doch die Themen der Zukunft. Sein Abarbeiten an angeblicher "Wokeness" oder der Cannabis-Legalisierung sind doch nur Nebenkriegsschauplätze.

Solche komplexen Themen sind unter anderem in das jüngste Grundsatzprogramm der CSU eingeflossen. Aber auch in seiner Rede auf dem Parteitag wurden sie angeschnitten. Mit einer Hightech-Agenda kann man jedoch selten ein Bierzelt beglücken. Da kommt höchstens mal ein flotter Spruch über den Mond und dass man da auch mitmischen will.

Söder wird von Kritikern oft als Wendehals bezeichnet. Bestes Beispiel: der Atomausstieg. Als bayerischer Umweltminister wollte er 2011 nach Fukushima noch zurücktreten, sollten die Atomkraftwerke nicht abgeschaltet werden. Jetzt kämpft er vehement für einen Weiterbetrieb. Folgt er da derzeit nicht einfach immer der populärsten Meinung?

Nein, denn die Zeiten haben sich dramatisch verändert. Mit Blick auf Energie, Krieg und Klima kann der Ministerpräsident seinen Meinungswandel gut begründen. Das Festhalten an denselben Positionen in Zeiten großer Veränderungen war noch nie ein Qualitätsmerkmal für Politiker.

Der CSU können eigentlich nur die AfD und die Freien Wähler gefährlich werden

Es scheint fast so, als müsste Markus Söder ohnehin kaum etwas tun. Die meisten Umfragen sehen die CSU bei weit über 40 Prozent.

Sollte die CSU unter 40 Prozent landen, werden die fehlenden Wählerstimmen vor allem bei der AfD oder den Freien Wähler gelandet sein – nicht bei den bayerischen Ampel-Parteien. Und sollte die Landtagswahl nicht gut ausgehen, dann wäre es auch vorbei mit der CSU-internen Begeisterung für Markus Söder. Dann gäbe es genug Hoffende, die an seinem Stuhl sägen würden.

Die AfD müsste eigentlich ein genauso großer politischer Gegner wie die Grünen sein. Warum arbeitet sich Söder und die CSU nicht mehr an ihr ab?

Erst einmal ist die AfD nicht nur ein Problem der CSU, sondern aller Parteien. Sie erhält Stimmen aus fast allen Lagern. Aber mich hat auch gewundert, dass das Thema Krieg, Flüchtlinge und Ukraine wenig bespielt wird. Migration kommt bei der CSU nicht so wirklich vor – zumindest nicht polemisch. Vielleicht ist das eine Lehre aus 2018. Man will der AfD und ihren Themen nicht noch mehr Zulauf verschaffen, als diese angesichts der Unzufriedenheit in der Bevölkerung über verschiedene Aspekte der Migration ohnehin schon hat.

Jetzt ist man in Bayern mit den Freien Wählern in einer Regierungskoalition. Die Stimmung zwischen beiden Lagern war in der Corona-Zeit teilweise sehr angespannt. Wird es dennoch zu einer Fortsetzung kommen?

Das Verhältnis hat sich deutlich verbessert. In der CSU schaut man aber genau auf die Freien Wähler. Die und ihr Parteichef Hubert Aiwanger schlagen im Wahlkampf schon manchmal über die Stränge. Nur Aiwanger scheint es die Öffentlichkeit nicht übelzunehmen. Bei ihm wird es als Folklore abgetan. Hinter vorgehaltener Hand hat man in der CSU aber immer noch die Hoffnung, es auch ohne die Freien Wähler zu schaffen. Das laut auszusprechen, ist jedoch verpönt.

Hubert Aiwanger und Markus Söder
Zwischen ihnen kriselte es in der Corona-Zeit häufiger. Jetzt sind sie Konkurrenten um den Chefsessel in Bayern. Wirtschaftsminister und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger (l.) und Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder. © picture alliance/dpa/Daniel Karmann

Die CSU muss dafür sorgen, dass Bayern wirtschaftlich nicht abgehängt wird

Ein Vorwurf, der Markus Söder immer wieder gemacht wird, ist, dass er viele Themen ankündigt, aber wenig umsetzt. Sehen Sie das auch so?

Das ist ein berechtigter Vorwurf. Aber Bayern bleibt nichts anderes übrig als beispielsweise den Ausbau von Stromtrassen voranzutreiben, wenn man den Ruf als Industriestandort nicht verlieren will. Der Ministerpräsident wie auch die CSU haben hier natürlich ein massives Eigeninteresse, dass der Freistaat nicht abgehängt wird. Die bayerische Industrie- und Handelskammer hat bereits große Sorgen geäußert, dass Firmen abwandern könnten. Und sollte es so weit kommen, könnte man das kaum der Bundesregierung zuschieben.

Eine Frage, die man spätestens nach der letzten Bundestagswahl stellen muss: Wird Markus Söder nach der Landtagswahl wieder seinen Blick nach Berlin und auf das Kanzleramt richten?

Ausschließen würde ich das nicht. Das Ziel bleibt verführerisch. Wahrscheinlich würde der CSU-Vorsitzende wieder seine guten Umfragewerte als Argument vorbringen. Aber man muss sehen, ob ihn die CSU lässt. Und Friedrich Merz wird sicher auch etwas dagegen haben.

Sie sagen, wenn ihn die CSU lässt. Warum nicht die CDU?

Ein Bundeskanzler der CSU ist nicht unbedingt im Interesse der CSU. Für Söders Prestige und Selbstwertgefühl wäre eine Kanzlerschaft gut. Aber der CSU würde damit ihr Alleinstellungsmerkmal und damit ein Vorteil verloren gehen. Bislang muss sie nur Politik für Bayern machen. Das könnte man nicht mehr, wenn man den Kanzler stellt. Es gab durchaus Stimmen in der CSU, die gesagt haben: Damit würden wir unser Geschäftsmodell verlieren.

Zur Person: Dr. Ursula Münch ist Politikwissenschaftlerin und Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tuzting. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die umfassen Föderalismusforschung, Parteienforschung und Politikfeldanalysen (Asylpolitik und Einwanderungspolitik, Bildungspolitik, Familienpolitik, Innere Sicherheit).
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