Legt Horst Seehofer den CSU-Vorsitz zu spät nieder? Was bedeutet sein Abgang für das Verhältnis zur Schwesterpartei CDU und ist Nachfolger Markus Söder der geeignete Mann und eines Tages gar möglicher CSU-Kanzlerkandidat? Der Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber bezieht im Exklusiv-Interview im Vorfeld des CSU-Parteitags ausführlich Stellung.

Ein Interview

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"Sie sind der Erste, mit dem ich so etwas mache" - auch mit 77 Jahren ist Edmund Stoiber noch offen für Neues. Das Interview mit unserer Redaktion ist eine Premiere für den Ehrenvorsitzenden der CSU: sein erstes Gespräch, das er mit einem reinen Online-Medium führt.

Stoiber spricht über den bevorstehenden Stabwechsel auf dem CSU-Sonderparteitag am kommenden Samstag. Horst Seehofer wird nach über zehn Jahren an der Spitze den Parteivorsitz niederlegen. Designierter Nachfolger ist der bayrische Ministerpräsident Markus Söder.

Stoiber erklärt, warum durch Söder auch auf Bundesebene ein neues Kapitel aufgeschlagen wird. Außerdem verrät er, warum er Seehofers Rückzug nicht für verspätet hält, warum Stil und Respekt ihm wichtig sind und ob Söder ein möglicher zukünftiger CSU-Kanzlerkandidat wäre.

Herr Stoiber, am Samstag wird der CSU-Vorsitz von Horst Seehofer auf Markus Söder übergehen. Gehören bei der CSU das Amt des Ministerpräsidenten und der Parteivorsitz unbedingt in eine Hand?

Edmund Stoiber: Nicht unbedingt, aber es hat den Vorteil, dass es auch die Verantwortung zusammenführt. Die CSU ist eine regional begrenzte Partei, aber inhaltlich nicht nur für Bayern aufgestellt. Sie will mitgestalten in Deutschland und in Europa.

Ein Ministerpräsident, der gleichzeitig auch Parteivorsitzender ist, hat eine stärkere politische Position, im Bund wie im Land. Ich kann das beurteilen, denn ich habe alle Konstellationen erlebt.

Wenn man Teil der Bundesregierung ist, dann konzentriert es sich am Ende bei ganz entscheidenden Fragen auf die Runde der Parteivorsitzenden, wie in den letzten Jahren auf die Chefs von CDU, CSU und SPD. Das ist eine große Herausforderung und Aufgabe, die ich bei Markus Söder in den besten Händen sehe.

Vor etwas über einem Jahr sagten Sie, die Doppelspitze mit Seehofer und Söder sei die beste Lösung für die Zukunft der CSU, in Berlin und München. Warum gilt das jetzt nicht mehr?

Stoiber: Beide Modelle haben etwas für sich. Das hängt auch von der speziellen politischen Situation ab, die zum Zeitpunkt meiner damaligen Äußerung eine andere war. Aber grundsätzlich halte ich eine Ämterbündelung für vorzugswürdig.

Ich möchte es anhand eines Beispiels verdeutlichen. Auf dem Parteitag 1999 bin ich Nachfolger von Theo Waigel als CSU-Chef geworden. In seiner Abschlussrede sagte er an mich gerichtet: "Jetzt hast du den Vorteil, dass du dich nur noch mit dir selbst abstimmen musst."

Das war natürlich scherzhaft gemeint, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit. Wenn Söder beide Ämter innehat, kann er damit außerdem noch mehr für Bayern erreichen.

Horst Seehofer hat lange auf seinem Posten als CSU-Chef beharrt, trotz des schlechten Ergebnisses bei der Landtagswahl im Oktober 2018. Findet der Parteitag nicht mindestens zwei Monate zu spät statt?

Stoiber: Nein, das sehe ich ganz anders. Natürlich gab es auch Druck und Forderungen nach einem früheren Übergang. Aber Horst Seehofer ist ein ganz großes Kaliber und einer der ganz großen Repräsentanten der CSU.

Die zehn Jahre mit Seehofer als Ministerpräsident waren gute Jahre für das Land Bayern. Mit ihm als Spitzenkandidaten haben wir 2013 wieder die absolute Mehrheit gewonnen. Das war ein unheimlicher Kraftakt und Erfolg.

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War ein früherer Rücktrittszeitpunkt ausgeschlossen, weil das Wahlergebnis sonst Seehofer angekreidet worden wäre? Die 37,2 Prozent vom vergangenen Oktober sind ja nicht der Anspruch der CSU.

Stoiber: Der Anspruch der CSU ist ein anderer, das stimmt, aber das Wahlergebnis ist nicht allein hausgemacht, sondern auch den Schwierigkeiten geschuldet, die Volksparteien in den letzten Jahren allgemein in ganz Europa hatten.

Die Populisten sind stärker geworden. Das muss man schon in einem Zusammenhang sehen. Daher muss man bei jemandem wie Seehofer, der einen solchen Stempel hinterlassen hat in der Bundespolitik und als Ministerpräsident, die Frage angemessen beantworten, wie man den Wechsel an der Parteispitze gestaltet.

Und wie lautet die Antwort auf diese Frage?

Stoiber: Horst Seehofer hat selbst entschieden, dass er am 19. Januar 2019 den Parteivorsitz niederlegen und Markus Söder als neuen Parteivorsitzenden vorschlagen will. Der Generationswechsel muss mit Stil und mit Respekt vollzogen werden. So, wie es nun passiert, ist es angemessen.

Die Beziehung zwischen Seehofer und Söder war allerdings nicht immer die beste …

Stoiber: Natürlich hat es im Laufe der letzten Jahre Reibungspunkte gegeben. Aber das ist erledigt. Beide gehen respektvoll miteinander um. Das strahlt auch auf die CSU aus.

Die Popularitätswerte von Horst Seehofer waren aber schon mal besser. Ist daran allein der Koalitionsstreit in der Migrationsfrage vom vergangenen Sommer schuld?

Stoiber: Wie Politiker miteinander umgehen, spielt heute bei den Menschen eine größere Rolle als in früheren Jahrzehnten.

Der Stil der Auseinandersetzung überlagerte die inhaltlichen Meinungsverschiedenheiten. Aber das ist Vergangenheit. Die CSU setzt jetzt mit der Art und Weise des Wechsels im Parteivorsitz ein starkes Signal.

Was für ein Signal?

Stoiber: Es zeigt auch den Menschen, die der Politik und den Politikern sehr kritisch gegenübertreten, dass man einen Ämterwechsel in einer anständigen Form durchführt.

Ich als Ehrenvorsitzender der CSU sehe mit großer Freude, wie respektvoll zusammengearbeitet und harmonisch miteinander umgegangen wird.

Unter dem amtierenden Ministerpräsidenten Söder holte die CSU bei den letzten Landtagswahlen das schlechteste Ergebnis seit 1950. Jetzt wird Söder auch noch Parteichef. Wie passt das zusammen?

Stoiber: Sie müssen diese 37,2 Prozent immer auch an den Umfragen messen. Vor der Wahl lag die CSU bei 35 oder gar nur bei 33 Prozent.

Und: Die Union lag bundesweit zum Zeitpunkt der bayerischen Landtagswahl unter 30 Prozent! Was wir erreicht haben, ist zwar nach CSU-Maßstäben nicht befriedigend, aber gemessen an der Situation der Volksparteien in Deutschland und in Europa immer noch ein respektables Ergebnis.

Das müssen Sie erklären.

Stoiber: Zum Vergleich: 14 Tage später bei der Wahl in Hessen hat die CDU nur noch 27 Prozent erreicht. Und in Europa sieht es für die bürgerlich-konservativen Parteien größtenteils noch sehr viel schlechter aus.

Die Volkspartei CSU hat eine soziale, eine freiheitliche und eine konservative Wurzel, die bei jeder politischen Herausforderung immer wieder in Einklang miteinander gebracht werden müssen. Da geht es um Kompromissfindung. Das müssen Parteien, die nicht den Anspruch haben, alle Schichten der Bevölkerung anzusprechen, nicht.

Markus Söder war bekanntlich auch Ihr Generalsekretär von 2003 bis 2007. Hätten Sie ihm damals bereits zugetraut, eines Tages Ministerpräsident und CSU-Chef zu werden?

Stoiber: Ich habe ihn kennengelernt als jungen Abgeordneten und Landesvorsitzenden der Jungen Union. Ich war damals Ministerpräsident und habe natürlich gespürt, dass da ein großes politisches Talent heranwächst.

Sehr schnell war klar, dass er viele Qualitäten hat: Kraft, Ideen, Sprachgewalt, einer, der sich um die Menschen kümmert.

Und wenn ein junger Mann Generalsekretär der CSU wird, dann hat er sicherlich auch den Marschallstab im Tornister, wie Franz Josef Strauß gesagt hätte. Söder hat als Europaminister starke Akzente gesetzt und später unter Seehofer auch als Umweltminister - eine Herausforderung, die manch einer ihm so zunächst nicht zugetraut hatte. Er hat das Umweltministerium mit eigener Note weitergeführt und hervorragend geleitet.

Später, 2011, hat er dann noch das Finanzministerium von Georg Fahrenschon übernommen.

Stoiber: Ja, das ist das wichtigste Ministerium in jedem Kabinett und hat eine Sonderrolle. Zusammen mit Seehofer hat er die finanzpolitische Stabilität Bayerns gesichert. Als Seehofer bekannt gab, das Amt des Ministerpräsidenten niederlegen zu wollen, war Markus Söder eindeutig in einer starken Position, mit einem starken Gestaltungswillen.

Könnte Söder nach Franz Josef Strauß und Ihnen eines Tages der dritte CSU-Kanzlerkandidat werden?

Stoiber: Die Frage nach der Kanzlerkandidatur stellt sich aktuell wirklich nicht. Er ist jetzt Ministerpräsident und wird Parteivorsitzender. Damit hast du natürlich eine größere Verantwortung, auch in Berlin. Auch die CDU hat mit Annegret Kramp-Karrenbauer eine neue Vorsitzende. Die beiden haben die große Herausforderung, dass die Union bei den Bundestagswahlen im übernächsten Jahr das letzte Wahlergebnis wieder deutlich übertrifft. Das ist ein ambitioniertes Ziel.

Aber aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben...

Stoiber: Die CSU kann froh sein, jetzt drei vergleichsweise junge Leute an der Spitze zu haben: Markus Söder als der Mann für Bayern und gemeinsam mit Alexander Dobrindt für Berlin und Manfred Weber, der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für die Europawahlen, als Motor der europäischen Politik. Mit dieser besonderen Kombination hat die CSU alle Voraussetzungen, um wieder an alte Stärken anzuschließen. Söder hat mit der schnellen Regierungsbildung in Bayern, ohne Querelen oder öffentliche Auseinandersetzungen, gezeigt, dass er führen kann.

Haben Sie ihm Tipps gegeben, welche Fehler ein CSU-Vorsitzender nie begehen sollte?

Stoiber: Ach, Markus Söder hat so viel Erfahrung. Er hat ja noch Franz Josef Strauß erlebt. Er hat meine Doppelfunktion als Parteivorsitzender und Ministerpräsident miterlebt und als Generalsekretär auch mitgestaltet. Er weiß selbst, was er vielleicht anders gemacht hätte. Aber das muss jeder selber sehen, der in der Verantwortung steht. Ich will ihm da in keiner Weise Vorgaben machen, schon gar nicht öffentlich.

Hat er Sie nie um Rat gefragt?

Stoiber: Natürlich haben wir einen guten Austausch, aber unter vier Augen. Er entscheidet, wo er hin will und was er machen will. Als Ministerpräsident hat er schon vieles angestoßen und umgesetzt. Die Bayerntrend-Umfrage des BR hat vor Kurzem festgestellt, dass Söder in Bayern auf viel Zustimmung stößt.

Was kann Söder besser als Seehofer?

Stoiber: (lacht): Die spielen ja nicht gegeneinander. Aber man kann von jedem lernen.

Und was kann Söder von Seehofer lernen?

Stoiber: Jeder hat seine eigene Herangehensweise an die politischen Herausforderungen. Aber beide haben ein Gefühl für die Verbindung zwischen dem Bürger und der Politik. Zu spüren, was die Menschen wollen und herauszufinden, wo ihre Gemeinsamkeiten liegen trotz ihrer Unterschiedlichkeiten. Horst Seehofer hat als Ministerpräsident sogar eine "Koalition mit dem Bürger" ausgerufen. Bürgernähe war immer Markenzeichen der CSU, das führt Markus Söder auf seine Art und Weise fort.

Mit einem neuen Parteivorsitzenden könnte sich auch das Verhältnis zur CDU mit Kramp-Karrenbauer neu gestalten. Wird es besser als zwischen Merkel und Seehofer?

Stoiber: Seehofer hat als langjähriges Mitglied der Regierung Merkel als Landwirtschafts- und Innenminister immer ein vernünftiges Arbeitsverhältnis mit der Kanzlerin gehabt. Aber die entscheidende Auseinandersetzung um die Flüchtlingsfrage, wo es letztlich vor allem um den Stil ging, ist natürlich hängengeblieben. Daraus haben alle - CSU wie CDU - gelernt und Konsequenzen gezogen. Meinungsverschiedenheiten zwischen den Schwesterparteien wird es immer wieder mal geben. Sie sind im Ringen um die besten Lösungen in einer Demokratie doch selbstverständlich! Aber an die Art und Weise der Auseinandersetzung werden heute höhere Maßstäbe gesetzt. Ich bin sicher, dass Markus Söder und Annegret Kramp-Karrenbauer einen kollegialen Stil pflegen werden.

Also ein Neuanfang für die Union?

Stoiber: Die beiden neuen Parteivorsitzenden haben jetzt die große Chance, ohne irgendwelchen historischen Ballast in ihre neuen Ämter zu gehen. Die alten Streitigkeiten sind erledigt, jetzt gibt es neue Herausforderungen, denen man sich stellen muss. CSU und CDU stehen in "kooperativer Konkurrenz" zueinander, wie es Alexander Dobrindt gesagt hat, sie sind "Geschwister, aber keine Zwillinge", wie Frau Kramp-Karrenbauer es ausdrückt - beide Begrifflichkeiten gefallen mir.

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