Nach den gemeinsamen Abstimmungen mit der AfD steht die CDU in der Kritik. Die stellvertretende Parteivorsitzende Karin Prien verteidigt im Interview mit unserer Redaktion den Kurs von Friedrich Merz – und zieht gleichzeitig eine rote Linie zur AfD.

Ein Interview

Friedrich Merz ist "all in" gegangen und hat das Land drei Wochen vor der Bundestagswahl polarisiert: Auf seine Initiative hin haben CDU und CSU im Bundestag zwei Mal mit der AfD für eine Verschärfung der Migrationspolitik gestimmt. In der Bevölkerung steht eine Mehrheit hinter diesem Vorgehen. Doch das Manöver hat auch im ganzen Land Menschen auf die Straßen getrieben, die weiterhin eine Brandmauer zur AfD fordern.

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Karin Prien ist Jüdin, Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, stellvertretende CDU-Vorsitzende – und eine der dezidiertesten Vertreterinnen des liberalen Parteiflügels. Wie steht sie zu den Ereignissen der vergangenen Woche? Ein Gespräch am Rande des CDU-Parteitags.

Frau Prien, die Abstimmungen im Bundestag haben das Land in Aufruhr versetzt. War es das wert?

Karin Prien: Das wird die Geschichte zeigen. Es bereitet mir große Sorge, dass es den demokratischen Parteien der Mitte nicht gelungen ist, zu einer Lösung zu kommen. Dabei erwarten die Menschen das von uns, und nur das hilft gegen den erstarkenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Alle, die es mit dem Land gut meinen, müssen jetzt aufeinander zugehen. Es braucht eine Vertrauensbasis, um nach dem 23. Februar zu einer stabilen Regierung zu kommen und eine Politikwende umzusetzen.

Das erscheint gerade schwer vorstellbar. Schon die Ampelkoalition ist gescheitert, weil die Parteien sich nicht mehr auf eine gemeinsame Politik einigen konnten. Wie kann das der nächsten Bundesregierung besser gelingen?

Mit Verlaub: Die Ampel ist gescheitert, weil sie schlecht geführt wurde. Ich erlebe in meinem Bundesland einen Ministerpräsidenten, der Parteien mit sehr unterschiedlichen weltanschaulichen Überzeugungen zusammenführt und das Einende ins Zentrum stellt. Der nächste Bundeskanzler wird das Land anders führen müssen, als Olaf Scholz das gemacht hat. Scholz ist auch als Führungspersönlichkeit gescheitert.

Das Anführen einer Koalition wird aber zunehmend schwierig, wenn Parteien vor allem auf ihre eigenen Ziele schauen.

Eine Koalition muss sich immer wieder auf gemeinsame Ziele besinnen. Sie müssen wichtiger sein als kleingeistiger Streit im Detail. Es geht jetzt um viel in Deutschland. Ich halte nicht viel von Katastrophen-Erzählungen, aber wir sehen weltweit das Erstarken autoritärer Bewegungen, weil die Menschen das Gefühl haben, dass die demokratischen politischen Systeme nicht in der Lage sind, offensichtliche Probleme auch zu lösen. Damit muss Schluss sein, sonst werden wir diesen Kampf nicht gewinnen.

Dann war es doch kontraproduktiv, dass die Union ihre Migrationspolitik im Hauruck-Verfahren bei unklaren Mehrheiten drei Wochen vor der Bundestagswahl durchdrücken wollte. Sinnvoller wäre es gewesen, das in Ruhe nach der Wahl zu machen.

Mein Eindruck ist, dass die inhaltliche Wende in der Migrationspolitik von der Mehrheit der Menschen in der Partei, aber auch im ganzen Land mitgetragen wird. Über rechtliche Bedenken kann man und muss man diskutieren. Wir in der CDU mussten uns fragen, wie wir es schaffen, bei diesem Thema Glaubwürdigkeit zu erlangen. Friedrich Merz hat sich für diesen Weg entschieden.

Möglich ist, dass es vor allem der AfD nützt.

Ich fürchte eher, dass solche Debatten wie am Freitag im Bundestag viele Menschen verstören. Am Ende ging es nicht um Inhalte, sondern um den kurzfristigen taktischen Erfolg. Ich erlebe jetzt, dass CDU-Mitglieder an Wahlkampfständen in die Nähe von Nazis gerückt werden. Das ist ein infamer Vorwurf, vor allem von den Sozialdemokraten. Darüber bin ich empört. Das wird eher zu Solidarität führen – unter den CDU-Mitgliedern, aber auch unter unseren Wählern.

"Für mich war das keine einfache Woche."

Karin Prien

Im Bundestag hat in der vergangenen Woche aber vor allem die AfD gejubelt. Ein Holocaust-Überlebender hat danach sein Bundesverdienstkreuz abgegeben, Michel Friedmann hat die CDU verlassen. Was macht das alles mit Ihnen?

Die Bilder von geifernden AfD-Abgeordneten waren furchtbar. Mit tut es persönlich unendlich leid, dass Michel Friedmann der CDU den Rücken kehrt. Für mich war das keine einfache Woche. Ich hatte sie am Montag mit einem Besuch in Auschwitz begonnen. Ich lasse mich in meinem antifaschistischen Antrieb nicht bremsen und brauche darin auch keine Nachhilfe.

Eine Volkspartei, wie die CDU es sein will, sollte Brücken bauen statt Gräben aufreißen. Wie wollen Sie die Polarisierung zurückfahren, die die vergangene Woche zweifellos befördert hat?

Wir müssen im Umgang miteinander anständig und respektvoll sein, auch gegenüber denjenigen, die andere Auffassungen vertreten. Ich glaube, das gelingt uns in der CDU ganz gut. Meine Ansichten stimmen nicht immer mit denen von Friedrich Merz überein – und ich werde trotzdem gehört und immer wertschätzend behandelt. Wir regieren in den Ländern mit anderen Parteien. In Schleswig-Holstein haben wir am vergangenen Mittwoch in der Koalition mit den Grünen sehr ernsthaft über eine Antisemitismusklausel im Förderrecht diskutiert. Das hat mir durch diesen schwierigen Tag geholfen.

Sie müssen sich aber seit vergangener Woche auch verstärkt fragen lassen, ob die CDU wirklich keine Zusammenarbeit mit der AfD anstrebt.

Keinen Millimeter. Es wird keine Minderheitsregierung, keine Art von Zusammenarbeit mit der AfD geben. Gar nichts. Das ist für mich eine absolute rote Linie. Die CDU hat eine antifaschistische und antitotalitäre DNA. Sie ist entstanden aus den Trümmern der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft. Für uns stehen die Menschenwürde und das christliche Menschenbild im Zentrum. Die Vorstellung, wir könnten mit Rechtsextremisten gemeinsame Sache machen, ist für mich vollkommen abwegig.

Über die Gesprächspartnerin

  • Karin Prien wurde 1965 in Amsterdam geboren. Die Eltern ihrer Mutter waren in den 1930er Jahren aus Deutschland vor dem Nationalsozialismus geflohen. Ihr Abitur machte sie in Rheinland-Pfalz, in Bonn studierte sie Rechtswissenschaften. Seit 2017 ist sie Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, seit 2022 auch stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende. Außerdem ist Prien Sprecherin des Jüdischen Forums der CDU.
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