Einen Antrag mit Stimmen der AfD durch den Bundestag bringen? Für Friedrich Merz ist das eine Option. Der Union hat er damit eine neue Brandmauer-Debatte eingebracht. Warum macht er das?
"Das Maß ist endgültig voll", lautete das Resümee von
Und auch wenn den Umfragen zufolge alles danach aussieht, dass Merz dieses Ziel nach der Bundestagswahl am 23. Februar erreichen könnte – offenbar will er so lange nicht mehr warten. Denn nur einen Tag nach dieser Ankündigung macht Merz Druck: Schon in dieser Woche will die Union mehrere Anträge in den Bundestag bringen, um den Kurs in der Migrationspolitik zu verschärfen.
Mit seiner Ankündigung hat Merz nicht nur die Migrationsdebatte neu befeuert, sondern auch eine scharfe Diskussion über die Brandmauer der Union zur AfD. Worum es genau geht, was die Union will und warum der Plan von Merz für ihn auch nach hinten losgehen könnte.
Was plant die Union?
CDU/CSU wollen diese Woche im Bundestag insgesamt zwei Anträge einbringen. Der erste besteht aus einem Fünf-Punkte-Plan "für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration". Dieser beinhaltet die folgenden Punkte:
- Dauerhafte Grenzkontrollen zu allen Nachbarländern
- Einreiseverbot für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumente – auch wenn sie ein Schutzgesuch äußern
- Ausreisepflichtige sollen inhaftiert werden und Abschiebungen täglich erfolgen.
- Der Bund soll die Länder beim Vollzug der Ausreisepflicht unterstützen, etwa bei Beschaffung von Reisepapieren. Es sollen Bundesausreisezentren geschaffen werden.
- Ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder sollen in einem unbefristeten Ausreisearrest bleiben, bis sie freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren oder die Abschiebung vollzogen werden kann.
Der zweite Antrag hört auf den Namen: "Für einen Politikwechsel bei der Inneren Sicherheit". Dieser beinhaltet insgesamt 27 Maßnahmen "für eine wirksame Stärkung der Inneren Sicherheit und zur Beendigung der illegalen Einwanderung".
Dazu gehören unter anderem die Forderungen, die Nachrichtendienste, Sicherheitsbehörde und die Justiz zu stärken und die Videoüberwachung und elektronische Gesichtserkennung in Deutschland massiv auszubauen. Im Bezug auf Migration wird zudem gefordert, dass Schutzsuchende bei Straffälligkeit leichter abgeschoben werden können.
Auch sollen "Ausreisepflichtige in Abschiebegewahrsam" künftig keinen verpflichtenden Anspruch auf einen Rechtsbeistand mehr haben. Ihnen sollen zudem die Sozialleistungen nach dem "Grundsatz 'Bett, Brot und Seife'" zusammengestrichen werden.
Bei beiden Anträgen handelt es sich um sogenannte Entschließungsanträge. Diese sind als Abstimmungen zu verstehen, die der Regierung die "Auffassung des Bundestages zu politischen Fragen zum Ausdruck" bringen. Sie sind rechtlich nicht bindend, würden also auch nicht direkt zu Maßnahmen oder Gesetzesänderungen führen.
Darüber hinaus plant die Union auch noch einen Gesetzesentwurf, um Änderungen im Asyl- und Aufenthaltsgesetze zu erwirken. Eine endgültige Fassung des Entwurfs liegt aber noch nicht vor.
Worum geht es bei der Kritik an der Union?
Dass über die Anträge so kontrovers diskutiert wird, auch wenn sie keine unmittelbaren Konsequenzen hätten, liegt vor allem daran, dass die Union sie im Bundestag einbringen will "unabhängig davon, wer ihnen zustimmt".
Anders formuliert: CDU/CSU nehmen bewusst in Kauf, dass sie ihre Verschärfungen bei der Migration mit Stimmen der AfD durchsetzen.
Kritiker sehen darin einen eklatanten Widerspruch zur sogenannten Brandmauer der CDU. 2018 fasste die CDU auf ihrem Bundesparteitag einen Unvereinbarkeitsbeschluss, in dem es heißt, man lehne "Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit" mit der AfD ab.
Merz betonte in der Vergangenheit immer wieder, dass er eine Zusammenarbeit mit der AfD strikt ablehne. "Wir arbeiten nicht mit einer Partei zusammen, die ausländerfeindlich ist, die antisemitisch ist, die Rechtsradikale in ihren Reihen, die Kriminelle in ihren Reihen hält", erklärte er etwa Anfang Januar. Zudem knüpfte er damals sein "Schicksal als Parteivorsitzender der CDU an diese Antwort".
Dass er nun bereit ist, Anträge mit Stimmen der AfD durchzusetzen, wird deshalb von vielen als Wortbruch interpretiert.
Verrät die Union die Brandmauer?
Das ist Interpretationssache. In der Union argumentiert man, dass man nicht in der Hand habe, für welche Anträge die AfD stimmt. Allein die Zustimmung der Rechtspopulisten zu Vorhaben der Union sei keine Zusammenarbeit. Merz selbst hatte bei seiner Ankündigung betont, dass man auch "mit denen im Deutschen Bundestag nicht über irgendwelche Anträge" verhandeln werde.
Bei der SPD sieht man das anders. "Die Brandmauer von Friedrich Merz, sie ist aus Papier gebaut und sie brennt lichterloh", sagte etwa SPD-Chefin
Allerdings hatte selbst Bundeskanzler Olaf Scholz 2023 in einem Interview mit der "Thüringer Allgemeinen" gesagt, dass man bei einer bloßen Zustimmung der AfD zu einem Antrag noch nicht von Zusammenarbeit sprechen könne. Zumindest auf kommunaler Ebene.
Auf diesen Widerspruch angesprochen sagte eine Sprecherin des Kanzlers der SZ: "Niemand kann etwas dafür, wenn auch die AfD einem Antrag zustimmt." Neu sei allerdings, "dass in einer so grundsätzlichen Frage von dem Oppositionsführer auch Mehrheiten mithilfe der AfD billigend in Kauf genommen werden".
Laut einem Bericht der "Zeit" gibt es auch unionsintern Kritik an Merz. Ein nicht namentlich genanntes Mitglied des CDU-Bundesvorstands erklärte gegenüber der Zeitung, es sei unklug, vor der Bundestagswahl eine Debatte über die Brandmauer auszulösen. Diese könnte die SPD jetzt bis zum Wahltag ausnutzen. Eine weiteres Mitglied des Vorstands sprach derweil von "politischem Selbstmord".
Welche Kritik gibt es noch?
Neben der Debatte um die Brandmauer werfen SPD und Grüne der Union noch zwei weitere Dinge vor. Zum einen, dass Merz' Vorstoß einem Erpressungsversuch gleichkomme.
Grünen-Kanzlerkandidat
Zudem kritisieren Stimmen aus beiden Parteien, dass die in den Anträgen formulierten Maßnahmen juristisch nicht haltbar seien. "Zahlreiche Forderungen der Unions-Vorlagen sind nicht durchdacht oder verstoßen gegen Europa-, internationales und Verfassungsrecht", teilte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, auf Anfrage unserer Redaktion mit.
Zudem seien "dauerhafte Grenzkontrollen oder die grundsätzliche Zurückweisung Schutzsuchender an den deutschen Binnengrenze" schlicht nicht umsetzbar, "so einleuchtend die Pläne für manche auch klingen mögen." Wiese kritisierte zudem, Merz untergrabe mit solch nationalen Alleingängen "die europäische Solidarität – ausgerechnet jetzt, wo es auf Europas Einheit und Stärke ankommt".
Thorsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der Union, widersprach der Darstellung, die Unions-Pläne seien nicht mit europäischem Recht vereinbar. Viele andere europäische Länder würden diese Forderungen längst praktizieren. "Wir sind die Geisterfahrer in Europa."
Wie stehen die Chancen für den Antrag im Bundestag?
Grüne und SPD lehnen die Anträge bislang ab. Sollte sich daran nichts ändern, könnte nur dann eine Mehrheit für die Anträge gefunden werden, wenn AfD, FDP und BSW mit der Union zusammen für sie stimmen. Alle drei Parteien haben zuletzt Zustimmung für mögliche Verschärfungen bei der Migration signalisiert.
"Wir sehen, dass der Antrag der Union politisch in die richtige Richtung zielt", sagte etwa FDP-Parteichef
Ähnliches war aus dem BSW zu hören. "Wenn die Union sinnvolle Anträge in den Deutschen Bundestag einbringt, um die unkontrollierte Migration zu beenden und Ausreisepflichtige in ihre Heimatländer zurückzuführen, dann stimmen wir ihnen selbstverständlich zu", so Parteichefin Sahra Wagenknecht.
AfD-Chefin und Kanzlerkandidatin Alice Weidel hatte vergangene Woche in einem offenen Brief Merz eine Zusammenarbeit in Migrationsfragen angeboten. Allerdings übt die CDU in ihrem Antrag zu ihrem Fünf-Punkte-Plan explizit Kritik an der AfD.
So wirft sie der Partei darin vor, "Probleme, Sorgen und Ängste", die durch illegale Migration entstanden seien, zu nutzen, "um Fremdenfeindlichkeit zu schüren". Die Partei gefährde "Deutschlands Stabilität, Sicherheit und Wohlstand. Deshalb ist diese Partei kein Partner, sondern unser politischer Gegner."
Bei der AfD sorgte das für Empörung. Parteichef Tino Chrupalla warf der Union gegenüber dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" eine "Diffamierung" seiner Partei vor.
Was erhofft sich Merz?
Möglich ist, dass Merz mit seinem Manöver vor allem versucht, der AfD nach Aschaffenburg den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Partei hatte bereits direkt im Anschluss an die Attacke versucht, diese politisch auszunutzen. Nicht unwahrscheinlich, dass die Union Sorge hatte, durch eine Migrationsdebatte kurz vor der Bundestagswahl Wähler an die AfD zu verlieren.
Dazu kommt, dass auch der CDU/CSU nicht entgangen sein dürfte, dass sie seit Wochen in den Umfragen relativ konstant bei 30 Prozent stagniert. Zwar liegt die Union damit deutlich vor allen anderen Parteien. Aber angesichts der Angeschlagenheit von SPD, Grünen und FDP nach dem Ampel-Aus soll dieser Umstand Berichten zufolge für Nervosität innerhalb von CDU/CSU sorgen.
Mit dem Vorstoß von Merz hat die Union die Debatte nun aber fast vollständig auf sich fokussiert. Gleichzeitig macht sie der AfD mit der scharfen Kritik an der Partei in dem Antrag zum Fünf-Punkte-Plan eine Zustimmung extrem schwer. Merz kann also argumentieren, sich gleichzeitig von der AfD abgegrenzt zu haben und dennoch nicht tatenlos geblieben zu sein. Selbst wenn der Antrag scheitern sollte, verschafft ihm das einen Vorteil im Wahlkampf gegenüber SPD und Grünen.
Doch für die Union ist ihr Vorgehen nicht risikofrei. Genauso gut könnte die Partei für ihre Bereitschaft, auch mit Stimmen der AfD Politik zu machen, abgestraft werden. Immerhin befürworten 65 Prozent der Befragten im aktuellen ZDF-"Politbarometer" den strikten Abgrenzungskurs der CDU zur AfD. Innerhalb der CDU/CSU-Anhänger sind es sogar 73 Prozent.
Und auch wenn sich Parteichef Chrupalla über die Kritik an seiner Partei in einem der Anträge echauffiert – es ist nicht gesagt, dass die AfD nicht trotzdem für ihn stimmt.
Zum einen, um die Union in der Brandmauer-Diskussion in der Öffentlichkeit absichtlich weiter unter Druck zu setzen. Zum anderen könnte die AfD eine erfolgreiche Abstimmung für sich nutzen, um ihren Wählern zu symbolisieren, dass sie sich über die Kritik der Union stellt – solange man dafür politisch bekommt, was man will.
Verwendete Quellen:
- Agence France-Presse (afp)
- Deutsche Presse-Agentur (dpa)
- Handelsblatt: Der Merz-Faktor und warum er der Union Sorgen bereitet
- Homepage des Bundestags: Parlamentsbegriffe - Entschließungsantrag
- Schriftliche Anfrage bei Dirk Wiese (SPD)
- Spiegel.de: Union will nun offenbar auch das Asylgesetz ändern
- Süddeutsche Zeitung: Zurückweisungen: So einfach geht das nicht
- Süddeutsche Zeitung: Wie die SPD eine Antwort auf Merz sucht
- Tageschau.de: Merz‘ Fünf-Punkte-Plan: Rechtlich umsetzbar?
- Zeit.de: Die März-Zäsur
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