Kai Wegner hat für die CDU Berlin erobert. Im Interview unserer Redaktion spricht der Regierende Bürgermeister über Wohnungsnot, schnellere Abschiebungen – und sein Wunschfinale bei der Fußball-EM.
Mit seiner Amtsvorgängerin hat Kai Wegner nicht gebrochen. An der Wand hinter seinem Schreibtisch im Roten Rathaus hängt noch das Gemälde, das
Seit April 2023 ist der CDU-Politiker
Herr Wegner, was ist für Sie typisch Berlin?
Kai Wegner: Berlin ist bunt, vielfältig, international – eine Metropole im besten Sinne. In der Stadt ist viel in Bewegung. Natürlich gibt es hier auch Probleme, die wir jetzt angehen. Berlin hat aber vor allem Chancen.
Wir denken bei Berlin auch an die Wohnungsnot. Die Mieten steigen immer weiter, Berlin ist inzwischen nach München die zweitteuerste deutsche Stadt.
Der Berliner Wohnungsmarkt ist kaputt. Das ist leider das Ergebnis verfehlter Stadtentwicklungspolitik der vergangenen Jahre. Die Leerstandsquote liegt bei 0,3 bis 0,5 Prozent. Das heißt: Faktisch gibt es keine freien Wohnungen. Ein gesunder Wohnungsmarkt hat Leerstandsquoten zwischen drei und fünf Prozent. Es gibt nur eine Lösung für dieses Problem: mehr bauen, schneller bauen, günstiger bauen. Und das zählt jetzt zu unseren obersten Prioritäten.
Neubau ist teuer. Oft liegt der Quadratmeterpreis bei 20 Euro kalt. Das ist auch für Durchschnittsverdiener kaum zu stemmen.
Je länger das Bauen dauert, desto teurer wird es. Daher müssen wir Verfahren beschleunigen. Wir haben eine Krise der Bauwirtschaft, das ist ein bundesweites Problem. Und das zeigt auch: Die Länder brauchen Unterstützung vom Bund. Ich denke an Instrumente der Förderbank KfW für den Wohnungsbau, die der Bund gestrichen hat – ein schwerer Fehler.
Müssen auch die Mieten im Bestand stärker reguliert werden? Kritiker meinen, dass die Mietpreisbremse nicht wirkt.
Es gibt hinsichtlich der Mietpreisbremse in Teilen ein Durchsetzungsproblem. Wenn ich auf Immobilienportalen nach Wohnungen in Berlin schaue, sehe ich häufig so hohe Mietpreise, die offensichtlich gegen die Mietpreisbremse verstoßen. Die Einhaltung der Mietpreisbremse muss viel stärker kontrolliert und auch sanktioniert werden. Wer Wohnungsnot ausnutzt, muss bestraft werden.
Wer ist gefordert, das zu ändern?
Auf der einen Seite der Bund, der gesetzliche Regelungen für Sanktionen etwa bei Wuchermieten schaffen muss. Da bremst die FDP. Aber auch die Länder müssen schauen, wie stärker und besser kontrolliert werden kann.
60 Prozent der Berliner haben sich in der Vergangenheit für einen anderen Weg ausgesprochen – nämlich die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen, sprich Enteignung.
Die Berliner haben damit deutlich gemacht, wie groß das Problem am Wohnungsmarkt ist. Nur: Enteignung kostet viele Milliarden Euro und schafft nicht eine Wohnung zusätzlich. Ich sehe zudem auch rechtliche Probleme. Deshalb sollten wir uns auf das konzentrieren, was wirklich etwas bringt: den Wohnungsneubau deutlich voranbringen und die Mietpreisbremse konsequent durchsetzen.
In Berlin haben immer mehr Menschen Anspruch auf eine geförderte Wohnung. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Sozialwohnungen weiter ab. Warum weiten Sie den Empfängerkreis dann noch aus?
Für mich als Regierender Bürgermeister ist klar: Wer morgens aufsteht, arbeiten geht, Steuern zahlt und ein normales Einkommen hat, der muss die Chance haben, in Berlin eine Wohnung zu finden. Ich denke an die Krankenschwester oder an den Polizisten. Für diese Menschen braucht es ein Angebot. Daher ist es auch ein politisches Signal, den Empfängerkreis für den Wohnberechtigungsschein zu erweitern. Das ändert aber nichts am Ziel, dass wir insgesamt ein größeres Angebot brauchen – also mehr Wohnraum.
Aktuell berät die Koalition über den Bundeshaushalt 2025. Ein zweistelliger Milliardenbeitrag fehlt, und die Regierung weiß nicht, wo das Geld herkommen soll. Zerbricht die Ampel daran?
Es wäre das Beste für unser Land, wenn diese Ampel-Koalition nicht mehr regieren würde. Die Menschen spüren, wie schwierig die Situation gerade ist. Wir haben Krisen, wir erleben Kriege, wir befinden uns in einer Rezession. Statt Antworten auf diese Krisen zu geben, ist die Bundesregierung mit Streit beschäftigt – ein Muster, das sich wiederholt, immer und immer wieder.
"Wenn wir unser Land kaputtsparen, wird es für spätere Generationen noch viel, viel teurer."
Die grundsätzliche Frage dahinter ist der Umgang mit der Schuldenbremse. Die wird auch von Ihrer Partei als unantastbar angesehen.
Es stimmt, dass dieses Thema in meiner Partei diskutiert, auch streitig diskutiert wird. Darüber sprechen wir gerade sehr intensiv mit den Ministerpräsidenten, der Bundestagsfraktion und dem Parteivorsitzenden. Uns ist allen sehr klar, dass wir Zukunftsinvestitionen brauchen: in unsere Verteidigungsfähigkeit, in Infrastruktur und Klimaschutz.
Das heißt?
Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir diese Investitionen ermöglichen. Meine Position ist sehr klar: Ich kann mir eine Reform der Schuldenbremse sehr gut vorstellen.
Ihre Erwartung ist also, dass eine unionsgeführte Bundesregierung die Schuldenbremse aufweicht?
Jeder Bundesregierung, die spätestens 2025 neu ins Amt kommt, stellt sich die Frage, wie sie die dringend erforderlichen Investitionen finanzieren kann. Es muss im Interesse aller – von Bund und Ländern – sein, dass Zukunftsinvestitionen getätigt werden können. Auch aus meiner Partei höre ich oft: Die nachfolgende Generation muss die Schulden bezahlen.
Das stimmt ja auch.
Wenn wir unser Land kaputtsparen, wird es für spätere Generationen noch viel, viel teurer. Ein Beispiel: Wenn ich die Verkehrswende will, muss massiv in die Schiene investiert werden. Die Deutsche Bahn braucht also deutlich mehr Geld. Das ist unter der Schuldenbremse derzeit aber nicht möglich.
Kai Wegner vor Ministerpräsidentenkonferenz: "Bund muss Hausaufgaben machen"
Am Donnerstag ist Ministerpräsidentenkonferenz. Da beraten die Länder mit dem Bundeskanzler auch über das Thema Migration. Berlin hat aus Ihrer Sicht bei der Aufnahme von Flüchtlingen die Belastungsgrenze erreicht. Woran machen Sie das fest?
Wir haben kaum noch Kapazitäten, Menschen unterzubringen. Es gibt bereits Großunterkünfte am ehemaligen Flughafen Tegel, bald auch am Flughafen Tempelhof. Das sind keine wünschenswerten Zustände – weder für die Menschen dort noch für mich als Regierender Bürgermeister. Ich kann die Menschen aber nicht in die Obdachlosigkeit schicken. Auch in Kitas und Schulen haben wir keine Plätze mehr. Und die Zahl der Geflüchteten steigt immer weiter. Berlin ist deshalb an seiner Belastungsgrenze, aber auch die anderen Bundesländer. Wir werden deshalb bei der Ministerpräsidentenkonferenz die Situation mit dem Kanzler besprechen.
Die Ampel hat das Asylrecht bereits verschärft. Die Bundesregierung hat die Einführung einer Bezahlkarte ermöglicht, sie lässt an den Grenzen kontrollieren, hat ein Abschiebepaket beschlossen. Was lässt sich da noch draufsatteln?
Der Bundeskanzler hat gesagt: Wir müssen mehr, schneller und konsequenter abschieben. Wir in Berlin machen das bereits. Ich erwarte, dass auch die Bundesregierung hier ihre Hausaufgaben macht. Oft sind den Ländern die Hände gebunden, weil Herkunftsländer ihre von uns abgeschobenen Staatsbürger nicht zurücknehmen. Da muss die Bundesregierung ihre Arbeit machen.
"Wir dürfen nicht zulassen, dass ausländische Schwerststraftäter im Land bleiben, weil wir sie nicht abschieben."
Und wie? Wenn ein Land sich weigert, abgeschobene Straftäter wieder aufzunehmen, kann die Bundesregierung es nicht einfach dazu verpflichten.
Da gibt es Mittel und Möglichkeiten. Deutschland zahlt Entwicklungshilfe an viele Länder oder unterstützt sie auf andere Weise. Wenn wir Erwartungen an diese Länder haben, muss man mit diesen Ländern so verhandeln, dass sie ihre Leute zurücknehmen. Außerdem werden Schwerststraftäter häufig in Linienmaschinen abgeschoben, was zu großen Schwierigkeiten führt. Ich wünsche mir, dass man für Abschiebungen eine Sondermaschine nimmt und Menschen konsequent zurückführt.
Der Bund dagegen sagt: Die Länder sind am Zug, denn für Abschiebungen sind die Länder zuständig. Machen Sie auch Ihre Hausaufgaben?
Die Länder machen ihre Hausaufgaben. Aber bei einer Rückführung übernimmt am Flughafen die Bundespolizei – und da brauchen wir mehr Unterstützung. Nach dem schrecklichen Attentat auf den Polizisten in Mannheim war die Empörung und das Entsetzen zu Recht groß. Aber Empörung allein reicht nicht, die Menschen wollen jetzt Taten sehen. Es gibt in Deutschland weiterhin eine große Bereitschaft, Menschen in Not zu helfen und sie hier zu integrieren. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass ausländische Schwerststraftäter im Land bleiben, weil wir sie nicht abschieben.
Schnellere Abschiebungen von Straftätern ändern aber nichts an hohen Flüchtlingszahlen.
Auch da gibt es einen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz: Wir brauchen schnellere Asylverfahren, auch an den europäischen Außengrenzen. Asylverfahren müssen vor den Grenzen Europas stattfinden, und die Menschen müssen dann verteilt werden. Ich erwarte vom Bundeskanzler, dass er diese Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz vom November letzten Jahres umsetzt.
Es gab doch das europäische Asylpaket.
Das war ein guter Schritt, aber der reicht offenkundig nicht aus. Die irreguläre Migration nimmt weiter zu. Wir müssen die irreguläre Migration deutlich begrenzen – in Europa, in Deutschland. Es ist der Punkt erreicht, an dem wir die Geflüchteten nicht mehr in dieser großen Zahl aufnehmen, unterbringen und integrieren können.
In Sachsen, Brandenburg und Thüringen stehen im September Landtagswahlen an. Die CDU sagt dort vor allem, was sie nicht will: Sie will nicht mit der AfD koalieren und nicht mit den Linken, eher nicht mit dem BSW von Sahra Wagenknecht und eigentlich auch nicht mit den Grünen. Was will die CDU denn?
Die CDU strebt immer Mehrheiten aus der politischen Mitte an. Das muss auch der Anspruch für diese Länder sein. Das Ziel der CDU ist es, stärkste Kraft zu werden. Dann wird die CDU schauen, wie sie Regierungen aus der Mitte bilden kann. Für mich ist klar: Es darf und wird keine Koalition mit der AfD geben. Ich würde aber niemals alle Wähler der AfD als Nazis beschimpfen, wie es der SPD-Vorsitzende nach der Europawahl gemacht hat. Wir müssen die Menschen wieder von der demokratischen Mitte überzeugen. Deswegen ist es auch so wichtig, dass die Bundesregierung beim Thema Asyl und Migration ins Handeln kommt.
Die wichtigste Frage zum Ende: Am 14. Juli findet in Berlin das Finale der Fußball-EM statt. Welche Mannschaften werden wir dort sehen?
Spanien ist in diesem Turnier ein sehr starker Gegner. Die Spanier drohen uns aber schon im Viertelfinale. Ein Finale Deutschland-England im Berliner Olympiastadion fände ich sehr spannend. Dann könnten wir uns auch für das Wembley-Tor von 1966 revanchieren. Ich würde mich über ein Finale Deutschland gegen England bei dieser Fußball-Europameisterschaft freuen.
Über den Gesprächspartner
- Kai Wegner wurde 1972 im Westberliner Bezirk Spandau geboren. Der Sohn einer Einzelhandelskauffrau und eines Bauarbeiters machte eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann und war Mitglied der Geschäftsführung in einem mittelständischen Bauunternehmen. Seit 1989 engagiert er sich politisch. Er war unter anderem Generalsekretär der CDU Berlin und Mitglied des Bundestags, bevor er im April 2023 zum Regierenden Bürgermeister der Hauptstadt gewählt wurde.
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