Es steht nicht gut um die Beziehung zwischen den USA und Europa. Das hat nicht zuletzt die gerade zu Ende gegangene Münchner Sicherheitskonferenz gezeigt. Überlagert wird die transatlantische Krise von einer grundsätzlich unterschiedlichen Auffassung, wie geopolitisch einflussreiche Staaten agieren sollen. Sechs Streitpunkte zeigen ganz konkret, wie weit sich die "alte" und die "neue Welt" voneinander entfremdet haben.

Mehr aktuelle Politik-News finden Sie hier

1. Streitpunkt: Nord Stream 2

Die geplante Gaspipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland ist den USA ein Dorn im Auge. Denn die Amerikaner sehen in dem Projekt die Gefahr, dass sich Europa und im Speziellen der Hauptverteiler Deutschland zu sehr in eine Abhängigkeit von Russland begeben.

US-Vizepräsident Mike Pence wurde auf der Münchner Sicherheitskonferenz nicht müde, Deutschland in diesem Punkt anzugreifen, ohne die Bundesrepublik explizit zu nennen. "Wir können die Verteidigung des Westens nicht garantieren, wenn unsere Bündnispartner sich vom Osten abhängig machen", sagte Pence. Das kann als Drohung verstanden werden, an die Adresse Deutschlands, einen Nato-Bündnispartner.

Dagegen verwahrte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Wenn man die Kontakte zu Russland kappe, überlasse man die Zusammenarbeit mit Moskau ganz China. "Wir wollen auch ein bisschen an den Handelsbeziehungen teilnehmen", sagte Merkel. Die Abhängigkeit Europas von russischem Gas hänge nicht daran, ob die Pipeline gebaut werde oder nicht. "Ein russisches Gasmolekül bleibt ein russisches Gasmolekül, egal, ob es über die Ukraine kommt oder ob es über die Ostsee kommt", so die Bundeskanzlerin.

2. Streitpunkt: Strafzölle auf europäische Autos

Heftige Kritik hagelte es nach der Drohung von US-Präsident Donald Trump, die aktuell noch ausgesetzten Sonderabgaben auf europäische Automobile möglicherweise nun doch zu erheben. Besonders betroffen wären laut einer Studie des Münchner ifo Instituts die deutschen Hersteller.

Für großes Unverständnis auf deutscher Seite sorgte die Begründung der US-Regierung, dass die Strafzölle aufgrund einer Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA erhoben würden. Kommt das US-Handelsministerium in seiner Einschätzung offiziell zu diesem Schluss, könnte Trump binnen 90 Tagen darüber befinden, ob er Sonderzölle erheben will.

Merkel kritisierte die Ankündigung scharf. Die bevorstehende Entscheidung sei für Deutschland erschreckend, sagte sie. Sie verstehe nicht, wie die Amerikaner deutsche Autos als Gefahr für die nationale Sicherheit einstufen könnten.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat die Europäische Union im Fall der Fälle zu Gegenmaßnahmen aufgerufen. "Die Argumente aus den USA sind absurd: Deutsche Autos sind keine Bedrohung der nationalen Sicherheit, sondern stärken den Automobilstandort USA", sagte Söder.

Mögliche Strafzölle auf europäische Autos sind auch in den USA umstritten. Experten warnen, höhere Zölle könnten die Verkaufszahlen in den USA bremsen und damit letztlich auch Jobs gefährden.

3. Streitpunkt: Atomabkommen mit dem Iran

Mike Pence' Botschaft war klar: Die Verbündeten der USA sollten sich ebenfalls aus dem Atomabkommen mit dem Iran zurückziehen. "Die Zeit für unsere europäischen Partner ist gekommen, an unserer Seite zu stehen." Laut Pence befürwortet "das iranische Regime (...) einen weiteren Holocaust und versucht ihn auch zu erreichen."

Passend dazu erhöhte Trump den Druck auf die europäischen Partner, indem er per Twitter Großbritannien, Frankreich und Deutschland aufforderte, Hunderte Staatsbürger, die als Kämpfer der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien gefangengenommen wurden, zurückzunehmen und vor Gericht zu stellen. Andernfalls wären die USA gezwungen, die Kämpfer auf freien Fuß zu setzen.

Merkel dagegen sprach sich dafür aus, das Abkommen zur Verhinderung einer iranischen Atombombe beizubehalten. Diesen "kleinen Anker" müsse man nutzen, um auf anderen Gebieten Druck zu machen. Weitaus deutlicher wies der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif den Vorwurf von Pence zurück: Die Argumentation der USA sei "lachhaft, aber gleichzeitig auch sehr, sehr gefährlich".

Sarif hielt den USA eine "pathologische Besessenheit" gegenüber Teheran vor. Die Europäer sollten sich von Washington emanzipieren. "Europa muss bereit sein, nass zu werden, wenn es gegen den gefährlichen Strom des US-Unilateralismus schwimmen will."

4. Streitpunkt: (Teil-)Abzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan und Syrien

Trump hat die Welt vor vollendete Tatsachen gestellt: Die USA werden sich aus Syrien komplett und aus Afghanistan zumindest teilweise zurückziehen. Merkel kritisierte diesen einseitigen Schritt. "Ist es denn nun gut, jetzt aus Syrien sofort und schnell abzuziehen vonseiten der Amerikaner? Oder ist es nicht auch wieder eine Stärkung der Möglichkeiten des Iran und Russlands, dort Einfluss zu nehmen? Auch darüber müssen wir sprechen", sagte die Bundeskanzlerin.

Mit Blick auf den einseitig beschlossenen Teilabzug der US-Truppen aus Afghanistan hat Merkel "(...) einfach die sehr herzliche Bitte, (...) dass wir auch über die Fragen der Fortentwicklung gemeinsam sprechen. Denn wir haben viel Überzeugungsarbeit auch bei unserer Bevölkerung gebraucht, um zu sagen: Ja, unsere Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt. Und ich möchte wirklich nicht erleben, dass wir dann eines Tages dastehen und einfach weggehen müssen."

5. Streitpunkt: Wehrausgaben der Nato-Verbündeten

Pence pochte erneut auf höhere Wehretats der Nato-Verbündeten. Zum Ärger Trumps liegen viele europäische Staaten trotz verstärkter Bemühungen, darunter auch Deutschland, weit unter der selbst gesteckten Zielmarke. Inzwischen habe sich die Zahl der Nato-Staaten verdoppelt, die mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung ausgeben.

Dies sei das Ergebnis der Forderung von Trump, der auf wirtschaftliche und militärische Stärke setze. "Amerika ist heute stärker als je zuvor und Amerika führt die Welt einmal mehr." Merkel stellte eine weitere Steigerung der deutschen Verteidigungsausgaben in Aussicht, wies aber auf die Bedeutung einer umfassenden Entwicklungspolitik hin.

6. Streitpunkt: Multilateralismus vs. "America First"

Die Frage der globalpolitischen Strategie überlagert letztlich alle anderen Dissonanzen zwischen den beiden Partnern. Auf der einen Seite Multilateralismus mit der Betonung auf Absprachen und verlässliche Partnerschaft - auf der anderern Seite die Ideologie von "America First" - auch dahingehend sind sich Europa und die USA kein Stück nähergekommen.

Merkel betonte in ihrer Rede auf der Sicherheitskonferenz die Bedeutung der globalen Zusammenarbeit. "Wir müssen in vernetzten Strukturen denken. (...) Was wir spüren, ist, dass diese Strukturen (...), in denen wir arbeiten, unglaublich unter Druck geraten, weil die Entwicklungen es erfordern, dass sie sich reformieren. Aber ich glaube, wir dürfen sie nicht einfach zerschlagen."

Als sie am Ende auf die Frage, wer denn nun die Puzzleteile wieder zusammensetze, in die die Welt gerade zerfällt, antwortete: "Nur wir alle zusammen", gab es sogar Standing Ovations. Doch wie Multilateralismus die Antwort auf die Probleme dieser Welt sein kann, wenn die einzige echte Weltmacht die internationale Ordnung offen infrage stellt - diese Frage ließ auch Merkel offen.

Mike Pence' Auftritt dagegen verdeutlichte einmal mehr die Haltung der Trump-Administration: über Stärke und Drohungen eigene Interessen durchsetzen. Dabei sieht Pence die USA nach wie vor als Speerspitze der Demokratie in der Welt, bezeichnet den US-Präsidenten als "Verfechter der Freiheit" - und feiert dessen umstrittene Außenpolitik als großen Erfolg. (szu/dpa/afp)

Unser Portal führt mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey eine Umfrage zur Beziehung zwischen den USA und Deutschland durch. Nehmen Sie gerne teil:

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.


JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.