Baut Robert Habeck die Grünen zu einer Ein-Mann-Partei um?

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Wolfram Weimer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Der Umsturz bei den Grünen kennt viele Verlierer, aber nur einen großen Gewinner: Robert Habeck. Gleich reihenweise sind seine innerparteilichen Kritiker zurückgetreten. Oder vom Wähler zurückgetreten worden. Dafür wird er nun alleiniger Spitzenkandidat, seine Vertraute und Staatssekretärin Franziska Brantner installiert er als Parteivorsitzende, sein anderer Staatssekretär Sven Giegold soll "Politischer Geschäftsführer" der Grünen werden, fehlt nur noch dass sein dritter Staatssekretär Michael Kellner als offizieller Kronenputzer der Grünen für Robert Habeck bestellt wird.

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Die FAZ nennt den Umsturz "einen kleinen Putsch", der Spiegel einen "Coup", mehrere Leitartikler unken, dass aus den Grünen jetzt ein "BRH – Bündnis Robert Habeck" nach dem Vorbild der Wagenknechtpartei werde.

Tatsächlich wird der Habeck-Putschcoup nicht nur Gesichter austauschen, er kann die Grünen neu positionieren. Statt links-woker Ideologen soll die Partei mittiger, bürgerlicher werden. Schon kommen aus dem Realo-Flügel der Partei laute Markierungen, wo die Reise hingeht. Cem Özdemir fordert in der FAZ erneute Verschärfungen in der Asylpolitik und argumentierte damit, dass seine Tochter häufig von Ausländern belästigt werde.

Winfried Kretschmann beklagt, dass bei Linken immer dieser schreckliche "gesinnungsethische Überschuss" herrsche, der "in Bekenntnissen" lande, man wolle immer "recht haben". In einer Demokratie brauche man Pragmatismus und Mehrheiten. Kretschmann sagte, er habe sich schon lange von der "ganzen linken Denke" verabschiedet – und empfiehlt es nun auch allen andern Grünen.

Selbst Boris Palmer kommt aus der Deckung, wittert Morgenluft und lobt die Rücktritte als eine "gute Entwicklung". Für den Klimaschutz müsse man mit der Wirtschaft zusammenarbeiten, anstatt sie zu bekämpfen.

Wandel bei den Grünen

Die Medienresonanz zum Grünen-Umbruch ist reichlich negativ, die politische Konkurrenz überbietet sich gar in hämischen Kommentaren. Doch die könnten verfrüht sein, denn die Habeck-Halse hat bessere Chancen als man derzeit denkt. Erste Umfragen signalisiert bereits eine Stabilisierung für die Grünen.

Strategisch ist die mittige Positionierung mit bürgerlich-seriösen Gesichtern für die Grünen die richtige Entscheidung. Jahrelang blieb die Partei mit den linkslastigen Jürgen Trittins, Hans-Christian Ströbeles, Renate Künasts, Claudia Roths gefangen im Akzeptanz-Miniraum von 6 bis 9 Prozent, 2013 erreichten die Grünen 8,4 Prozent bei der Bundestagswahl, 2017 kaum bessere 8,9 Prozent. Erst als die Realos die Oberhand gewannen und mit Annalena Baerbock und Robert Habeck bürgerlich anschlussfähige Kandidaten präsentierten, öffnete sich das Tor zur Volksparteiengröße.

Hierzulande werden nicht nur Mehrheiten in der Mitte gewonnen, sondern auch Vertrauen. Deutschland ist – was im öffentlichen Diskurs gerne übersehen wird – in seiner breiten Wählerschaft zutiefst geprägt von einem links-skeptischen Instinkt. Es hat einen kulturellen Grund, warum alleine die CSU in nur einem Bundesland mehr Mitglieder hat als die Grünen in allen 16 zusammen.

Von den 75 Jahren Bundesrepublik hat die CDU mehr als 50 Jahre regiert, selbst moderate Sozialdemokraten kamen nur an die Macht, wenn ihre Kanzlerkandidaten sich wie Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder pointiert nicht-links präsentiert haben. Da Deutschland – wie alle westlichen Länder – derzeit einen weiträumigen Rechtsruck erleben, gilt umso mehr, dass linke Positionen nur eine kleine Minderheit ansprechen.

Habeck liegt also mit seiner Trendwende mitten im Zeitgeist. Seine Chance liegt darin, dass er die sozial-liberalen Wähler der FDP ebenso an sich binden könnte wie ehemalige Merkel-Wähler der CDU.

Wahlforscher: 30 Prozent möglich

Wahlforscher beziffern das grundsätzliche Wähler-Potential der Grünen auf bis zu 30 Prozent, falls sich die Partei als eine Volkspartei der Mitte glaubwürdig positionieren könnte. Wenn Habeck seine Partei jetzt neu justiert, dann hat er den Vorteil, dass er für die Bundestagswahl 2025 schon frühzeitig in neuer Formation starten kann. Und Habeck kann immer noch Sympathiepunkte sammeln, glänzend reden und er ist als guter Wahlkämpfer bekannt.

Es gibt gleichwohl zwei große Probleme, die gegen das große Grünen-Comeback sprechen.

Erstens ist der ausgebootete linke Flügel der Partei völlig demobilisiert. Den Grünen ist nicht nur der komplette Vorstand und die Führung der Grünen Jugend abhandengekommen, auch das Wählerspektrum der öko-sozialistisch Denkenden ist abgängig.

Die Grünen haben durch ihre bellizistische Ukraine-Politik bereits den pazifistischen Flügel verloren. Sie sind durch ihre Staats-Strenge in der Corona-Zeit für den herrschaftskritischen, den anarchistisch-liberalen Flügel ebenfalls unwählbar geworden. Wenn sie nun auch noch das links-woke-multikulturelle Milieu der Großstädte verprellen, dann wird es schwierig mit guten Wahlergebnissen.

Habecks Probleme

Der Absturz der Grünen in der Wählergunst ist ohnedies dramatisch. Vor 16 Monaten erreichten die Grünen Rekordzustimmungswerte von 24 bis 26 Prozent. Jetzt kommen sie kaum noch auf die Hälfte. Jeder zweite potentielle Wähler hat sich bereits abgewandt, das Kernmilieu aber will sich gerade für Robert Habeck nicht neu ins Zeug legen.

Der Wirtschaftsminister wird derzeit nirgends schärfer kritisiert als just in den Teeküchen des Prenzlauer Bergs, des Frankfurter Nordends oder in Freiburgs Studentenkneipen. Dort wird über den "Rechtsruck-Robert", seinen "Ego-Trip", den "Verrat der Ideale" hergezogen und über die "BorisPalmerisierung der Grünen" geunkt. Habeck hat die innerparteiliche Macht zwar gewonnen, aber an echtem Rückhalt enorm verloren.

Das zweite Problem Habecks besteht in seinem persönlichen Image. Der Niedergang der Grünen der letzten anderthalb Jahre hat weniger mit dem Duo Lang/Nouripour zu tun, als just mit dem Vizekanzler und Wirtschaftsminister in der katastrophalen Ampelregierung. Vor zweieinhalb Jahren war Robert Habeck Deutschlands beliebtester Politiker, Habeck wuchs in die Rolle des gefühlten Kanzlerkandidaten, Scholz wirkte schon schwach und Merz noch nicht so stark. "Habeck 2025" klang für viele wie eine Verheißung.

Heute hat sich das Bild genau umgekehrt. Sich als Kanzlerkandidat zu positionieren, würde derzeit geradezu lächerlich wirken. Dazu hat Habeck im Ministeramt zu viele grobe handwerkliche Fehler gemacht. Von der grotesk gescheiterten Gasumlage über den Graichen-Vetternwirtschafts-Skandal bis zu den unausgegorenen Heizungsverboten reicht die Kette von Fehlern im Wirtschaftsministerium.

Es fehlte Habeck, als Philosoph selbst eher fachfremd, schlicht an ökonomischem Sachverstand – und die ganze Republik hat gemerkt. Wenn man in Gasthäusern von Garmisch bis Flensburg nur das Wort "Heizungsgesetz" ausspricht, dann wird es zuweilen schwer, noch ein zweites Bierchen zu bekommen. Das Image des "Wärmepumpen-Minister" hat sich tief eingebrannt, so dass jeder Wahlkampf zur Mobilisierung der wirtschaftenden Mitte schwierig wird.

Wahrscheinlich kommt Habecks Griff nach der grünen Macht einfach vier Jahre zu spät. 2020/21 hatten die Grünen eine historische Gelegenheit, sich als neue Volkspartei der linken Mitte gegen eine arg schwächelnde SPD durchzusetzen, die Resonanzböden der Partei waren zeitgeistig randvoll, die grünen Klimathemen dominierten den öffentlichen Diskurs, das neue Spitzenpersonal wirkte geradezu cool.

Doch damals musste Habeck der ehrgeizigen Annalena Baerbock den Vortritt zur Kandidatur lassen – doch sie vermasselte den Wahlkampf gründlich und damit die historische Chance der Grünen. Heute könnte ein Comeback im besten Fall noch dazu reichen, sich in eine neue Koalition mit einem Kanzler Merz zu retten – immerhin dafür könnte die Habeck-Halse freilich noch hilfreich sein.

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