Nach all der Kritik der letzten Wochen und Monate ist Olaf Scholz am Donnerstag nach Kiew gereist. Maybrit Illner diskutiert mit ihren Gästen die Reise des Bundeskanzlers und fragt "Warme Worte oder echte Hilfe?" Die Antwort der Runde fällt fast durchweg positiv aus – wenn nun auf die warmen Worte auch Taten folgen.

Christian Vock
Eine Kritik
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Bundeskanzler Olaf Scholz ist zusammen mit seinen Amtskollegen aus Frankreich und Italien, Emmanuel Macron und Mario Draghi, nach Kiew gereist. Doch was bringt dieser Besuch der Ukraine wirklich? Das will Maybrit Illner am Donnerstagabend herausfinden und fragt ihre Gäste: "Reise nach Kiew – warme Worte oder echte Hilfe?"

Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner:

  • Ralf Stegner (SPD). Stegner, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss, sieht sich nicht als Pazifist, möchte die Frage nach Hilfe für die Ukraine aber nicht auf Waffenlieferungen verengt wissen. Der SPD-Politiker mahnt: "Es muss doch Initiativen geben, zu versuchen, diesen Krieg zu beenden und gleichzeitig das auf eine Weise hinzukriegen, dass es keinen Diktatfrieden gibt, dass die Russen Interesse daran haben."
  • Katja Glogner. Die Journalistin schließt einen langen Krieg nicht aus und sagt: "Ich empfinde es als wichtig, dass die Lieferungen fortgesetzt werden, und zwar für einen möglicherweise unübersehbaren Zeitraum."
  • Roderich Kiesewetter (CDU). Kiesewetter ist Oberst a. D. und Bundestagsabgeordneter und kritisiert Bundeskanzler Scholz nach wie vor für die schleppende Lieferung von schweren Waffen und der bisher fehlenden Genehmigungen für die Rüstungsindustrie. Kiesewetter sagt: "Wir müssen uns hier in die Lage der Ukraine versetzen. Es drohen Hungersnöte, Kultur wird vernichtet, Familien sind auseinandergerissen, Zehntausende Tote im zivilen Bereich und in den Streitkräften. Das macht was mit einem Land."
  • Andrij Melnyk. Der Botschafter der Ukraine in Deutschland sagt über den Besuch des Kanzlers: "Es war ein wichtiger Besuch für die Ukraine. Auf jeden Fall. Aber hoffentlich auch für den Bundeskanzler selbst, weil er sich vor Ort ja ein Bild machen konnte, wie verzweifelt die Lage ist." Um zu überleben, brauche die Ukraine nun schwere Waffen.
  • Anne Gellinek (zugeschaltet) leitet das ZDF-Studio in Brüssel und berichtet, dass man nun an einen Wendepunkt gekommen sei, an dem alte sowjetische Waffen der Ukraine nicht mehr helfen und nun Ausbildung und Lieferung moderner westlicher Waffen benötigt würden.

Darüber diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen:

"Was ist dabei herausgekommen?" Illners Einstiegsfrage ist nach Olaf Scholz’ Besuch ebenso eindeutig wie naheliegend. Bei der Antwort ist sich die Runde zwar nicht in jedem Detail einig, wohl aber in der generell positiven Wahrnehmung des Besuchs. "Die Worte, die wir in Kiew gehört haben, geben uns auf jeden Fall ein bisschen Hoffnung", zieht Botschafter Melnyk ein vorsichtig optimistisches Fazit. Melnyk hofft, dass Scholz nicht nur die Unterstützung für einen EU-Beitritt seines Landes verkündet, sondern sich bei den anderen EU-Ländern auch aktiv dafür einsetzt.

Ralf Stegner ist da schon deutlicher: "Es ist ein starkes europäisches Signal, wenn man gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten, dem italienischen Präsidenten und dem rumänischen Regierungschef kommt und deutlich macht, dass es eine gemeinsame europäische Haltung gibt." Über den russischen Blick auf den Besuch und auf eine mögliche EU-Mitgliedschaft der Ukraine sagt Katja Glogner: "Die Ukraine hat eine europäische Perspektive und damit eine politische und ökonomische Zukunftsperspektive. Und das kann Wladimir Putin eigentlich nicht anders interpretieren als eine große politische Niederlage."

Roderich Kiesewetter von der CDU sieht den Besuch Scholz’ generell ebenfalls positiv, kritisiert aber die fehlende Erklärung seines Handelns bei der Zögerlichkeit der Lieferung von schweren Waffen beziehungsweise von deren Genehmigungen für die Industrie. Die deutsche Rüstungsindustrie könne viel mehr liefern, wenn sie eine Genehmigung hätte, sagt Kiesewetter und fordert: "Da würde ich mir eine Erklärung wünschen, warum er es nicht macht."

In Bezug auf eine mögliche Aufnahme in die EU zeigt sich Melnyk mit angemessenem Selbstbewusstsein: "Das ist kein Geschenk an die Ukraine. Das ist etwas, was aus unserer Sicht auch im ureigenen Interesse der Bundesrepublik ist, weil kein anderes Land mehr von der Osterweiterung der EU profitiert hat – wirtschaftlich und politisch. Wir glauben, dass die Ukraine einen Beitrag dazu leisten kann. Wir wollen ja keine Bittsteller in diesem Prozess sein. Wir wollen auch etwas leisten."

Weil Ralf Stegner immer wieder betont, dass Deutschland viel und vielfältige Hilfe leistet, man Hilfe aber nicht immer auf Waffenlieferungen reduzieren solle, widerspricht ihm Anne Gellinek: "Herr Stegner, natürlich wird das auf der europäischen Ebene schon so wahrgenommen, dass die deutsche Regierung zwar Ankündigungen macht, aber dann doch fast immer hinter den Ankündigungen erstmal wieder zurück bleibt."

In Bezug auf die Waffenlieferung im Generellen berichtet Gellinek von US-Einschätzungen, dass generell auf westlicher Seite zwar so viel wie möglich getan werde, das Problem sei aber, "dass nicht mehr so viel da ist." Dementsprechend setze nun ein Umdenken ein, der Ukraine nun doch moderne westliche Waffen zu liefern – mit all den Risiken, die das nach sich zieht.

Die Richtigstellung des Abends:

"Warum sagen Sie, dass Sie glauben, dass sich Ukrainer hier in Deutschland nicht mehr wohlfühlen?", fragt Maybrit Illner Melnyk in Bezug auf ein Zitat aus den vergangenen Tagen. Der Botschafter nutzt die Frage, um aufzuklären, dass es sich dabei um ein Missverständnis gehandelt hat: "Das habe ich nicht gesagt und das möchte ich auch heute bei Ihnen widerlegen. Das wurde aus dem Zusammenhang gerissen." Melnyk habe gesagt, dass die Ukrainer, die nach Deutschland geflohen sind, sehr dankbar für die Hilfe seien, aber eben auch die Diskussionen über die Zögerlichkeit der Bundesregierung mitbekämen und manche das Gefühl hätte, dass die Ukraine im Stich gelassen werde. Er selbst und seine Regierung schätze die Hilfe der Bundesregierung und der Deutschen sehr: "Das möchte ich heute nochmals bekräftigen", so Melnyk.

Das Fazit:

Wollte man lediglich eine Antwort auf die eigentliche Frage der Diskussionsrunde haben, ob die Reise nach Kiew nur warme Worte oder auch eine echte Hilfe gewesen ist, so kann man die jüngste Ausgabe von "maybrit illner" als Erfolg ansehen. Ja, die Reise war eine echte Hilfe, meinen Illners Gäste, doch nach dem Ja kommt wie so oft eben ein "aber". Und bei diesem "aber" teilt sich die Runde.

Ralf Stegner glaubt und betont immer wieder, dass Deutschland genug tue und man die Hilfe nicht nur anhand gelieferter Waffen messen dürfe. Gleichzeitig will Stegner aber der Ukraine keinen "Diktatfrieden" zumuten und bei dieser Argumentation zeigt sich der Knackpunkt der Diskussion. Denn um einen Diktatfrieden zu vermeiden, müsste die Ukraine in eine bessere Verhandlungsposition gebracht werden. Wie das aber ohne die Lieferung schwerer Waffen passieren soll, die Antwort bleibt Stegner schuldig und verweist nur darauf, dass die Sanktionen ja "nicht nichts" seien.

Und so bleibt als Gesamteindruck von dieser Ausgabe "maybri illner" der Grundtenor: Ja, der Besuch von Scholz und Co. war gut, aber nun müssen den Worten auch Taten folgen, wenn man wirklich will, dass die Ukraine überlebt.

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