• Die Klimakrise sollte, gemessen an ihrer Gefahr, eigentlich das Hauptthema des Wahlkampfs sein.
  • Am Sonntagabend sieht bei "Anne Will" ein Gast die gebotene Ernsthaftigkeit des Problems aber bei keiner Partei – und leider auch nicht beim Wähler.
Christian Vock
Eine Kritik
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Bei der aktuellen Bundestagswahl gibt es zur Stunde zwischen Laschet und Scholz keinen haushohen Gewinner. SPD gewinnt jedoch nach Auszählung aller Stimmen die Wahl vor der Union knapp. Eine andere Interpretation dieses Kopf-an-Kopf-Rennens könnte lauten, dass die Hälfte der Wähler offenbar ein "Weiter so" möchte. Und um genau dieses "Weiter so" sollte es am Sonntagabend bei der Nachwahlbetrachtung von Anne Will und ihren Gästen gehen.

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Mit diesen Gästen diskutierte Anne Will:

Darüber diskutierte Anne Will mit ihren Gästen:

Eine Nachwahl-Talkshow beginnt in der Regel damit, dass die Moderatorin mit den Ergebnissen einsteigt, die Parteienvertreter nach den eigenen Interpretationen fragt und dann mögliche Koalitionen abklopft. Anne Will startet an diesem Wahlsonntag aber mit einer ganz anderen Frage. Es sei in den letzten Wochen immer die Rede davon gewesen, dass es "einen kraftvollen Neuanfang" brauche. Nun will Will von Kristina Dunz wissen, ob sie in der Elefantenrunde etwas von diesem Neuanfang gespürt habe.

Das kann Journalistin Dunz ganz klar verneinen: "Ich hatte eher das Gefühl, dass sich zwei mögliche Kanzler belauern, Herr Scholz und Herr Laschet", erklärt Kunz und sagt, was sie eigentlich erwartet hatte: "Ein Aufbruch hätte es inhaltlich eigentlich sein müssen. Man hätte sehr schnell das größte Thema, nämlich die Klimakrise, besprechen müssen, um Aufbruch zu vermitteln." Hier habe die Union aber bereits in der Elefantenrunde schon tiefgestapelt.

Da passt es ins Bild, dass auch Reiner Haseloff erst einmal nicht wirklich inhaltlich wird. Als Anne Will den Ministerpräsidenten fragt, ob Armin Laschet mit diesem Ergebnis wirklich den Regierungsanspruch so formulieren kann, wie er es kurz zuvor getan hat, gibt sich Haseloff zwar angesichts des "historisch schlechtesten Ergebnisses" demütig. Zugleich bleibt er aber auch nichtssagend, denn man solle sich nun erst einmal sammeln und unter Demokraten sehen, "was dieses Land jetzt braucht."

Es ist wenig überraschend, aber trotzdem auffällig, dass auch Cem Özdemir und Volker Wissing angesichts des Wahlergebnisses wenig konkret werden, um sich alle realistischen Optionen (Ampel und Jamaika) offen zu halten. "Wir werden uns an Inhalten orientieren", verspricht Volker Wissing. Bei der Steuerpolitik sei ihm die Union näher, bei Fragen der Modernisierung könne man aber auch bei anderen Parteien "spannende Dinge entdecken".

Cem Özdemir steigt erst einmal parteiübergreifend ein und lobt den Wahlkampf der demokratischen Parteien, wird bei den Anforderungen an den möglichen Koalitionspartner aber dann sehr konkret. Man werde mit allen reden und dann fragen: "Wer bietet beim Klimaschutz am meisten, wer bietet bei der Modernisierung des Landes am meisten? (…) Wir werden schauen, wer die Zeichen der Zeit erkannt hat und bereit ist, das Land so zu modernisieren." Was das konkret bedeutet, zeigt Özdemir mit seiner Frage an Klingbeil und Haseloff: "Früherer Kohleausstieg, ja oder nein?"

Bundestagswahl 2021: Die Entlarvung des Abends, Teil I

Mehr oder weniger große Bekenntnisse zum Klimaschutz gab es während des Wahlkampfs viele. Für Kristina Dunz ist davon an diesem Abend aber nicht mehr viel zu spüren: "Was mir zu wenig von den möglichen Beteiligten kommt, ist der Klimaschutz." Für die Journalistin ist klar: "Wer auch immer die Regierung stellen wird, wird auch immer daran gemessen, was in der Corona-Pandemie möglich gemacht wurde."

Die Pandemie habe gezeigt, was alles möglich ist, wenn nur die Notwendigkeit verstanden wird und der politische Wille da ist. Beim Klimaschutz müsse genau das Gleiche gelten, doch davon seine alle Beteiligten ein ganzes Stück weit entfernt. Daher Dunz’ Ermahnung an die Runde: "Alles, was Sie im Klimabereich verzögern und weiter verschleppen, wird sehr, sehr bitter auf die jüngere Generation zurückkommen. So viel Zeit haben Sie da nicht mehr."

Die Entlarvung des Abends, Teil II:

Dass Klimaschutz gleich Menschenschutz bedeutet, scheinen SPD und CDU in den vergangenen Jahren nicht verstanden zu haben. Nicht umsonst hatte sogar Kanzlerin Merkel kurz vor Schluss noch erklärt, viel Zeit beim Klimaschutz verloren zu haben. Auch bei Armin Laschet hatte man nie das Gefühl, dass der Schutz des Klimas und damit der Schutz künftiger Generationen an erster Stelle stehen. Zu viele Abers, zu wenig echte Bekenntnisse, die Dimension des Problems verstanden zu haben.

Dementsprechend passte es ins Bild, dass auch Reiner Haseloff statt einen echten Aufbruch zu fordern lieber in der Vergangenheit schwelgt: "Wir sollten nicht so tun, als ob wir einen absoluten Neustart machen. (…) Unser Angebot ist Konstanz." Ganz nach dem Motto: War ja nicht alles schlecht. War es sicher nicht, aber es nützt unseren Kindern und Enkeln wenig, wenn das größte Problem nicht angepackt wird. Auch für Özdemir ist so viel "Weiter so" nicht zukunftstauglich: "Das ist mir ein bisschen viel Kontinuität angesichts dessen, dass sich die Welt dramatisch verändert."

Grün und Gelb oder die offensten Arme des Abends:

Nicht nur einen Aufbruch im Klimaschutz, sondern auch in der Art, Politik zu machen, hatte Annalena Baerbock im Wahlkampf versprochen. Was genau Die Grünen damit meinen, erklärt Cem Özdemir am Sonntagabend: "Die Art, wie wir bislang regieren, ist doch so: Das eine Ressort von der einen Partei will das eine, das andere bremst es. Und dann wundern wir uns nach vier Jahren, dass beim Klimaschutz, bei der Digitalisierung nichts vorangeht." Da stimmt ihm sogar Volker Wissing von der FDP zu: "Da haben Sie einen Punkt, das darf nicht passieren."

Stattdessen will Özdemir auf Gemeinsamkeit setzen: "Also brauchst du am Anfang gemeinsame Ziele, auf die sich alle verständigen, und dann buchstabieren wir es in jedem Ressort durch. Dann ist der Erfolg einer FDP-Kollegin, eines FDP-Kollegen auch unser Erfolg und umgekehrt – mit wem auch immer. So muss man doch regieren. Dafür haben wir einfach zu viel wertvolle Zeit verloren." Und auch hier gibt es wieder Anerkennung von Wissing: "Man muss sich von Anfang an die Frage stellen: Wie kann denn aus der Zusammensetzung, die am Ende entsteht, für die Gesellschaft ein Mehrwert entstehen?"

Am Ende teilt auch Lars Klingbeil diesen neuen Politikansatz: "Ehrlicherweise hat das der vorherigen Regierung gefehlt. (…) Wann gab es das letzte Mal eine Regierung, die wirklich ein Narrativ, eine Erzählung hatte?" Für Klingbeil gibt es drei Hauptaufgaben für die nächste Legislatur: Klima, Digitalisierung, Staatsmodernisierung. Daher müsse man klären: "Was ist die Erzählung der nächsten Regierung? Eine Erzählung, hinter der sich alle drei Koalitionspartner wiederfinden?"

Der Erkenntnisgewinn des Abends bei "Anne Will":

Auch wenn sich niemand an diesem Abend weit aus dem Fenster lehnte, wurde klar, dass nicht die beiden Parteien mit den meisten Stimmen das Ruder in der Hand haben. Sowohl Grüne als auch FDP sind diesmal die Königsmacher und das werden sie bei den Koalitionsverhandlungen ausspielen. Doch wie auch immer die neue Regierung aussehen wird, beim Klimaschutz muss sie zeigen, was ihr das Wohl ihrer Kinder wirklich Wert ist.

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, vor der sich der Wähler aber offenbar wieder gedrückt hat, wie Kristina Dunz glaubt: "Die Mehrheit in Deutschland will nicht wirklich einen Wandel, ist vielleicht erschrocken von Vorschlägen der Grünen, wie scharf der Klimawandel bekämpft werden müsste. Dass wir wirklich umdenken müssten, dass die Reicheren verzichten müssten, dass es sozial gerecht gestaltet wird. (…) Dass wir alle uns wahnsinnig mit diesem Thema Klima beschäftigen müssen – das ist vielleicht doch noch eine große Angst in diesem Land, weswegen der Wandel nicht wirklich gewählt wird."

Das Fazit:

Es war ein etwas anderer Nachwahl-Talk an diesem Sonntagabend. Man sah diesmal keine zankenden Parteienvertreter, sondern welche in Lauerstellung, aber auch mit offenen Armen nach allen demokratischen Seiten. Das mag am Wahlergebnis liegen, aber man hatte trotzdem das Gefühl, dass zumindest Özdemir, Klingbeil und Wissing die Dringlichkeit der vor ihnen liegenden Aufgaben sehen.

Bei Reiner Haseloff als Unionsvertreter kann man die Notwendigkeit, umzudenken, an diesem Abend nicht in dieser Deutlichkeit erkennen. Stattdessen klingt bei ihm alles eher nach einem "Weiter so" als nach einem echtem Willen zum Klimaschutz. Die Wähler scheinen das jedoch genauso zu sehen und haben mehr Angst vor Veränderungen als vor der Klimakrise. Für die jüngeren Generationen ein fataler Irrtum.

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